Wolf im Sprachspelz
Der Romancier, Dichter und Tonkünstler Ror Wolf wird zu seinem 80. Geburtstag endlich mit einer umfassenden Werkausgabe geehrt.
Der Generalbass, der Ror Wolfs vielgestaltiges Werk unterschwellig verbindet, ist der beharrliche Versuch, die eingespielten ästhetischen Konventionen zu durchbrechen. Seine Romane haben keinen nennenswerten Plot, seine Erzählungen brechen immer wieder nach einer vielversprechenden Exposition ab, verweigern schlicht die Arbeit. Und die Gedichte sind immerhin gereimt und metrisch streng gebaut, aber sein Dichterkollege Robert Gernhardt bemerkt auch hier zu Recht die entgrenzende, beinahe anarchische Poetik. „Kein Zweifel, da hat nicht nur er (der Wolf), da hat auch es (das Sprachpotenzial) gedichtet.“
Wolf lässt es laufen, er überlässt sich den Worten, er improvisiert, das Kalkül kommt erst viel später ins Spiel. Als ich ihn nach den Ursachen seines ästhetischen Nonkonformismus frage, kommt er nicht von ungefähr auf seine Jazz-Sozialisation zu sprechen. „Ich wohnte in der DDR und war vom Jazz ganz und gar beeindruckt. Jazz war verboten oder wenigstens unerwünscht, galt als dekadent und war nur in West-Sendern zu hören, nachts. Das waren einzigartige nächtliche Abenteuer.“
Wolf ist ein Sprachmusiker, der genauso um die Gewalttätigkeit und Inhumanität der Worte weiß wie um ihre musikalische Schönheit und ihr Glückspotenzial – und in dessen Werk immer beides, oft genug unmittelbar nebeneinander steht. Schon mit seinen ersten Gedichten und Prosaarbeiten aus den 60er-Jahren hatte er eine Art Universalpoesie im Sinn: „Spiel, Heckmeck, Hokuspokus, Burleske, Spaß; Spaß, der freilich an jeder Stelle umschlagen kann in Entsetzen.“
Exemplarisch findet er dies alles eine Zeit lang im „Totaltheater“ des Fußballs. Er legt sich in den 60er- und 70er-Jahren ein akustisches Archiv an, aus dem dann seine vielgerühmten „Radio-Collagen“ hervorgehen. „Ich war mit Tonbandgeräten in Fußballstadien, in Fan-Club-Kneipen, bei Busfahrten zu Auswärtsspielen, in Spielerkabinen“, erklärt er. „Ich habe jahrelang Radioreportagen mitgeschnitten und alles das in vielen Arbeitsgängen ausgewertet, extrahiert, mehrfach transkribiert, geschnitten – immer wieder. Es war ein jahrelanger gnadenloser Prozess am Schneidetisch.“ Diese akustischen Collagen machten ihn auch außerhalb der eingeweihten Kreise im Literaturbetrieb bekannt und erschienen auch in Buchform. Aber der geschriebene Text ist nur der halbe Spaß.
Wolfs Hausverlag Schöffling hat gerade die ersten beiden Bände einer 13bändigen Werkausgabe veröffentlicht („Im Zustand vergrößerter Ruhe. Die Gedichte“, „Raoul Tranchirers Enzyklopädie für unerschrockene Leser“). Man kann nur hoffen, dass dem Leser in den Folgebänden mittels beigelegter CD auch ein Eindruck vom Tonkünstler Wolf gewährt wird.