Wodka und Weihe
INE UMGEBAUTE KIRche ist der perfekte Ort für die Wiederauferstehung von Alison Goldfrapp. Am zweiten Abend ihrer Doppelshow beim Manchester International Festival steht „eine der rätselhaftesten Frauengestalten der Popmusik“ („The Independent“) im schwarzen Flattergewand vor den Musikern des Royal Northern College of Music. Sie ist zurückgekehrt in jene sphärische Aura aus Film-Scores und geisterhaften Melodien, mit denen sie selbst im Hochsommer das Weihwasser gefrieren lässt.
Mit sanfter Schauderstimme erzählt Goldfrapp von „Annabel“, die im Körper eines Jungen gefangen ist. Im Schwarz-Weiß-Video zu ihrer neuen Single „Drew“ streift sie durch einen verlassenen Landsitz, in dem nackte Gespenster ihr Unwesen treiben. Auch die anderen neun Songs des Albums „Tales Of Us“ lassen die Knalligkeit ihrer Hits „Ooh La La“ oder „Train“ weit hinter sich. Als hätte sie eine geheimnisvolle Spur wiedergefunden, so verzichtet Mrs. Goldfrapp auf jede Glamour-Inszenierung und kehrt zurück in ihre künstlerische Heimat. Die rauschenden Zeiten als Lady-Gaga-inspirierende Modeikone jedenfalls sind passé.
Bunt raus, Anthrazit rein. Passend dazu treffen unter den Kirchenbögen von Manchester die neuen Psychostudien von „Thea“, „Simone“ oder „Stranger“ auf ihre alte Moritat „Lovely Head“. Ein Kreis schließt sich zum unvergessenen Auftritt im November 2000 an der Berliner Volksbühne beim „Stumm“-Abend des Labels Mute. Unterstützt von Produzent und Sidekick Will Gregory überstrahlte Goldfrapps Sirenen-Organ damals die versammelte Herrentruppe von Adamson bis Cave. Zwei Wochen vor dem Kirchenkonzert in Manchester bekam man eine Ahnung davon, dass eineinhalb Jahrzehnte Showgeschäft durchaus zerstörerisch wirken können.
Alison Goldfrapp wirkt beim Interview in Berlin etwas angeschossen von den geschäftlichen und persönlichen Tiefschlägen, die sie zuletzt einstecken musste. Da vermischt sich das Bild der zierlich-toughen Engländerin mit Anmerkungen über das Älterwerden oder zum Tode der Mutter. Die Turbulenzen um ihr Hauslabel Mute und die absurden Verkaufszahlen-Debatten bei der untergegangenen Major-Firma EMI addieren sich zu einem gewissen Weltschmerz. Die Künstlerin in ihr hatte einfach genug. Und so sehr das Spiel mit Mode, Images und Design auch Spaß machen konnte, wurde es irgendwann zu einem nicht mehr beherrschbaren Monster. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie befreiend es war, wieder mit Gregory im Proberaum in Bristol zu stehen und einfach nur drauflos zu machen.“
Der Neustart, der ihr nach dem kommerziellen Misserfolg des vierten Albums „Seventh Tree“ 2010 vergönnt war, führte zurück in die Charts. Das System wollte „Ooh La La“ und sechsstellige Zahlen. Also schufen sie „Rocket“, in dessen Video Goldfrapp als Fernfahrer-Kylie-Minogue über staubige Pisten brettert. „Natürlich sind auch solche Pop-Entwürfe eine Herausforderung, aber für mich ist die Zeit der pinken Miniröcke erst mal vorbei.“ Und so sitzt sie da im schlichten Kostüm, erzählt von im Bücherregal entdeckten Romanen von Patricia Highsmith und wirkt ein wenig, als hätte sie den kreative Burn-out gerade noch mal abgebogen.
Noch flackert da etwas. Die milden, selbstironischen Scherze lassen auf eine baldige Genesung hoffen. Und bereits bei den Comeback-Shows auf dem Londoner „Lovebox“-Weekender oder eben in Manchester wirkt Goldfrapp wie ausgewechselt. Der Auftritt endet mit einem Gesangsduell mit dem College-Chor zum finalen „Caravan Girl“. Sie hält munter dagegen und in den tobenden Applaus hinein lässt sie den wenig sphärischen Wunsch „Give me a fuckin‘ vodka“ erklingen.