Wo die Rasenmäher singen
Drei amerikanische Meisterwerke des großen Filmemachers Louis Malle in einer DVD-Box: „Gottes eigenes Land“, „… und das Streben nach Glück“ und „Mein Essen mit André“
Woher genau kommen Sie?“, fragt die Frau des Ladeninhabers den Franzosen Louis Malle. „Aus Paris“, sagt der. „Alle Franzosen behaupten, dass sie aus Paris kommen.“ Malle war 1976 in die USA emigriert, nachdem er in Frankreich Filme wie „Fahrstuhl zum Schafott“ und „Zazie“ gedreht hatte und dann in Indien vestörende mystizistische Werke wie „Black Moon“. In Amerika hatte er schon „Pretty Baby“ inszeniert, als er 1979 die Bürger des Städtchens Glencoe in Minnesota beobachtete. Er befragt eine alte Dame, die das Gemüse in ihrem Vorgarten hegt, er ist beim jährlichen Feuerwehrfest dabei, er besucht die Farmer und fährt mit ihnen aufs Feld, und er wird Zeuge einer Trauung und der anschließenden Feier. Die Vorfahren der Bürger von Glencoe waren Deutsche – vielleicht fahren deshalb so viele mit Rasenmähern durch ihren Garten.
„Gottes eigenes Land“ ist ein zärtlicher, empathischer Dokumentarfilm: Der komische, neugierige Franzose stellt seine Fragen forsch aus dem Off, die Amerikaner halten ihn für einen Außerirdischen: Kriegsveteranen schwadronieren bramsig, ein Rentner empört sich bitter über sein Altenheim, in dem die Greise bei laufendem Fernseher verdämmern; ein Farmer gibt zu, dass Glencoe kein Ort für Schwarze sei: „Sie mögen es einfach nicht.“ Malle befragt eine städtische Bedienstete in ihrem Schlafzimmer so stoisch nach Liebschaften und der Bedeutung von Sexualität in ihrem Leben, dass sie verschämt ins Stottern gerät. Dann erfährt man, dass die meisten Männer hier dumpf seien und Homosexuelle geächtet werden. Sechs Jahre später kehrt Malle zurück; die nun 93-jährige Dame bestellt noch immer ihren Vorgarten, und Malle ruft: „Still going strong, he?“
In „… und das Streben nach Glück“ untersuchte der Regisseur 1986 die Immigranten in Florida, Texas, Kalifornien. Er begegnet Kambodschanern, die kein Englisch sprechen, am Flughafen, befragt einen russischen Schauspieler, der jetzt ein paar Schülern die Stanislawski-Methode vermittelt, spricht mit dem Dampfplauderer Derek Walcott, und ein Architekt aus dem Libanon sagt: „Die Amerikaner glauben bei jedem Araber, er habe früher im Zelt gewohnt und sei auf Kamelen geritten.“ Einige Immigranten haben ein Taxi-Unternehmen gegründet, eine muslimische Lehrerin arbeitet als Kosmetikerin. Ein äthiopischer Computer-Experte empfiehlt, all den kulturellen Ballast aufzugeben. Louis Malle stellt die richtigen, die Kinderfragen.
„Mein Essen mit André“ ist ein einziger langer Dialog zwischen dem Dramatiker Wallace Shawn und dem Theatermacher André Gregory, 1981. Das Abendessen folgt einem Skript, die einzelnen Abschnitte wurden genau geprobt: Gregory, der das Theater aufgegeben hat, erzählt von seiner Sinnkrise, mystischen Erlebnissen, gespenstischen Zufällen. Shawn ist der postivistische Skeptiker und braucht lange, bis er in Gregorys Suada eingreift. Dass jeder Mensch eine Rolle spielt, ist eine der billigeren Erkenntnisse des verschwatzten Abends. Am Ende fährt Shawn im Taxi durchs nächtliche New York, man hört Eric Saties Klaviermusik – und genießt das Schweigen.