Wie boykottiere ich die WM in Katar (und kann trotzdem Spiele sehen)?
Die Fußball-WM in Katar findet unter schwierigen Bedingungen statt. Die FIFA und das Gastgeberland setzen rigoros ihre Vorstellungen um, obwohl die Kritik nicht abbricht. Das sollte man nicht hinnehmen. Doch es gibt verschiedene Varianten des Boykotts.
Die FIFA-WM 2022 in Katar steht unter keinem guten Stern. Es handelt sich möglicherweise um ein mit viel Geld und politischem Einfluss erkauftes Turnier, für das unzählige Bauarbeiter unter skandalösen Arbeitsbedingungen ihr Leben lassen mussten.
Hinzu kommt, dass die Führung des Landes ihre moralischen Vorstellungen und kulturellen Sitten kaum zugunsten einer wenn auch nur für wenige Wochen geöffneten liberalen Blase eingegrenzt sehen will. Bier ist im Stadion verboten, die FIFA drohte Mannschaften aus Europa, darunter Deutschland, dass sie für das Tragen einer für Toleranz werbenden „ONE LOVE“-Binde bestraft werden würden. Und dann kommt noch hinzu, dass die klimatischen Bedingungen in dem winzigen Wüstenstaat mit den gewaltigen Rohstoffreserven es nötig machten, die WM im frühen Winter fast bis kurz vor Weihnachten stattfinden zu lassen. Meistens eine Zeit des Bilanzierens – und das fällt in einem Jahr mit Corona-Toten, Kriegs-Toten, dem Anbruch von Energiekrise und Inflation nicht unbedingt einfach.
Pech für Katar und die FIFA, wenn die meisten Menschen eben einfach keine Lust haben auf ein auf ökonomische Effizienz getrimmtes Mega-Event, das zwar sicher viele Emotionen zu bieten hat, deren Beitrag zur Völkerverständigung aber durch die offensichtlichen politischen Tendenzen Katars, mehr globalen Einfluss gerade auch im Sport, aber eben auch in anderen Wirtschaftsfeldern zu erzwingen, in den Schatten gestellt wird.
Umso mehr stellt sich die Frage, ob man diese WM nicht einfach boykottieren sollte. Aber wie am besten? Wem wäre geholfen, wenn man einfach die Augen verschlösse? Hier sind einige Vorschläge.
1. Nur die Spiele der DFB-Elf sehen
Eine Fußball-WM lebt von der Atmosphäre, von der ganzen Bandbreite von sehr vielen Spielen in kurzer Zeit. Würden Fans sich nur für ihre eigene Nation interessieren, wären die Einschaltquoten im Keller und wohl auch viele Stadien nur halb gefüllt. Das Interesse am Abschneiden der eigenen Nation ist natürlich vor jedem Turnier da, egal wo es stattfindet oder wie die Vergabe zustande gekommen ist (auch wenn dies erst seit der Veranstaltung in Putin-Russland im Jahr 2018 so richtig auf den Magen schlägt, wird wohl etwas verdrängt, wie die WM 1978 in Argentinien auch einer knallharten Militärdiktatur in die Hände spielte). Warum sollte man dies den Menschen verwehren? Es wäre schon ein Zeichen, wenn man sich eben nur für das Abschneiden der DFB-Elf interessierte und nur ausschließlich deren Spiele gucken würde. Aber war es nun feige, dass Manuel Neuer und Co. nach Androhung von Konsequenzen auf das Tragen der „One Love“-Binde verzichteten? Auch solche Entscheidungen können für schlechte Laune sorgen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass gerade Menschen, die sich sonst nur bei den großen Turnieren für Fußball oder gar nur für die deutsche Nationalmannschaft interessieren, gar keine Lust mehr haben.
2. Nur die Spiele ab dem Achtelfinale sehen
Die Vorrunde ist natürlich spannungsärmer als die Finalrunde, wenn dann tatsächlich die besten Nationen und einige überraschende Außenseiter (Saudi Arabien?) gegeneinander antreten. Aber der eigentliche Reiz eines Turniers liegt natürlich in der Ballung der Ereignisse, sozusagen ein Strom von Spielen, bei denen sich ein Höhepunkt an den nächsten reiht und am Ende nicht nur Glück oder der Videoschiedsrichter über das Weiterkommen entscheiden. Doch darauf kann man auch verzichten. Das hieße, nur noch 16 Spiele von insgesamt 64 Austragungen zu sehen. Ohne wirklich etwas Spannendes zu verpassen, hätte man auf 48 Partien keinen Wert gelegt. Ab 2028 sollen 48 Teilnehmer statt 32 Mannschaften dabei sein. Das würde wohl schnell wieder in Frage gestellt, wenn die so dann noch weiter aufgeblähte Vorrunde kaum Interesse erzeugt.
3. Einfach nur Spiele gucken, aber nicht mehr
Jede Fußball-WM lebt von ihrem Flair, von der Verlockung, fast rund um die Uhr Geschichten von Siegern und Verlieren präsentiert zu bekommen. Experten geben ihre Einschätzungen ab, Reporter berichten aus den Trainingscamps in luxuriösen 5-Sterne-Hotels. Darauf kann man verzichten. Es ist ja neben der kritischen Berichterstattung über die Verhältnisse im Land Katar eben immer auch ein – wenn auch unbewusst geschürter – Werbeeffekt für die reichen Gastgeber dabei, wenn die prunkvollen Lokalspezialitäten und nur für dieses Turnier errichteten Stadientempel gezeigt werden. Und Übertragungsanstalten wie nun ARD/ZDF/Magenta überlegen sich bei sinkenden Quoten auch für das Restprogramm ganz sicher, ob sie bei einem nächsten Turnier noch einmal so viel auffahren wollen, wenn es die Menschen weniger interessiert. Denn auch wenn die Lizenzgebühren für die Übertragung der Spiele teuer sein mögen, die Produktion rundherum verschlingt ebenfalls riesige Summen an Personalkosten und Equipment.
4. Fußball auf nüchternem Magen
Natürlich verdient die FIFA mit ihrer WM ordentlich Geld, es wird von einem höheren einstelligen Milliardenbetrag gesprochen. Auch für das reiche Katar wird sich das Turnier auszahlen, obwohl angeblich zuvor die gigantische Summe von bis zu 200 Milliarden US-Dollar investiert worden sein soll (zum Vergleich: die WM in Russland soll nur etwa 11,5 Milliarden US-Dollar gekostet haben). Doch das Geld wird nicht nur mit Fußball wieder reingeholt. Unzählige Marken werben bei dem Turnier für sich, in den Supermärkten gibt es Nutella-Gläser mit Gewinnspielen zur Fußball-WM und Chips- und Bierproduzenten freuen sich auf den besten Umsatz seit vielen Jahren. Doch wenn der ausbleibt, weil einfach nichts gekauft wird, weil lediglich nüchtern die Spiele geschaut werden und die Party-Laune eben einfach mal ausfällt, dann werden sich Sponsoren in Zukunft zweimal überlegen, ob sie ihr Geld für ein unter fragwürdigen Umständen stattfindendes Turnier ausgeben wollen. In Zeiten der globalen Inflation, die auch die Unternehmen sehr hart trifft, ist dies ein überzeugender Hebel. Der Druck, den der Kunde heute ausübt, wird der Konzern morgen weiterreichen.
5. Nur mit halbem Auge Fußball schauen
Die eigentliche Währung für den beliebtesten Sport der Welt ist Aufmerksamkeit. Natürlich können die Quoten hoch ausfallen, wenn die Spiele spannend sind (und wer mag das im Vorhinein schon vorhersagen, wie viele Überraschungsmomente ein WM-Turnier erzeugt), aber wer misst, wie viel Konzentration und Interesse man dem Geschehen wirklich beimisst? Natürlich ist es eine Methode des Boykotts, wenn man das, was passiert, einfach links liegen lässt. Das heißt nicht, dass abgeschaltet werden muss. Aber es ist dann eben für einige Wochen mal nicht so wichtig, wie es das in den vergangenen Jahrzehnten war. Und ein gemeinsamer Ausflug zum Weihnachtsmarkt ist dann vielleicht einfach auch interessanter als England gegen USA oder Niederlande gegen Katar. Man kann ja immer noch die Ergebnisse in einer Nachrichten-App checken.