WM-Blog: It’s coming home … it’s coming home … It’s coming …,
Football's coming home. Am Morgen vor dem Finale - WM-Blog, Folge 24
Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.
It’s coming home … it’s coming home … It’s coming …,
„Beauty comes first. Victory is secondary. What matters is Joy.“
Socrates“
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„Was ist eigentlich“, fragte Martina vor dem Spiel, „wenn die Brasilianer heute Holland klar besiegen? Heißt das dann, dass Argentinien gar nicht so stark ist und keine Chance gegen Deutschland hat?“ – „Tja, das heißt das dann wohl, habe ich geantwortet, aber vielleicht gewinnen ja die Holländer klar, und das hieße dann ja, dass Deutschland vielleicht den viel leichteren Weg ins Finale hatte.
Wir wissen ja nun, wie das „kleine Finale“ gestern ausgegangen ist. Der 3-0 Sieg der Niederlande macht zumindest eines endgültig klar: Das 7-1 war zwar katastrophal, aber keine Ausnahme, Brasilien war grundsätzlich überschätzt bei der WM. Davor und während. Sie wurden vor allem vom Publikum ins Halbfinale getragen. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen, wäre Brasilien längst zuvor ausgeschieden, gegen Chile spätestens, oder gegen Kolumbien.
Was an den Brasilianern zudem jenseits ihres vom ersten Spiel an öden, uninspirierten Gekickes, ihres Sicherheitsfußballs, ihrer Genielosigkeit nervt, ist, dass sie aus allem immer eine Befindlichkeitsshow machen: Diese furchtbare Weinerlichkeit, die dann als tropicale Emotion verkauft wird, die zur Schau getragene und zur Grundsatzgeste gesteigerte Softness, die dann zusammengeht mit den härtesten Fouls der WM. Der Glaube, mit gutem Aussehen und der Tatsache, dass jeder offenbar Brasilien sympathisch findet, käme man überall durch.
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Was das Ganze dann nicht besser macht, sind Statements wie jener „offene Brief eines brasilianischen Fans“, den „11 Freunde“ veröffentlichte. Englischlehrerin Fabiola Moura zieht aus dem Halbfinale das Fazit. „Es wird Generationen von Kindern lehren, wie wichtig es ist, ständig zu üben, zu trainieren und sich weiterzubilden, wenn man ein Ziel erreichen will. Es ist der Endpunkt in der Geschichte von brasilianischen Schwindlern, die meinen, ihr Geld zu verdienen, ohne zu schwitzen, die Staatsmänner werden wollen, ohne ein Studium zu absolvieren. Das Vermächtnis dieser Weltmeisterschaft soll ein Vorbild für Generationen sein, denn es beweist, dass unser geliebtes Land von uns wiedergeliebt werden muss, jeden Tag bei der Arbeit, bei unseren Studien und durch unsere Ehrlichkeit. Das Land durch ein Fußballspiel zu lieben und es am nächsten Tag durch Korruption zu bestehlen, es in einer Tour zu betrügen, Steuern zu erhöhen, zu rauben, zu töten, das funktioniert nun nicht mehr.“
Die Brasilianer sind also, lehrt uns Leser diese Lehrerin, genau so, wie man sie sich am deutschen Stammtisch vorstellt. Und die Deutschen offenbar auch: Das mag ja von Brasilien aus betrachtet, auch so sein. Von Deutschland aus sieht es ein bisschen anders aus, und bevor sich jetzt jemand aufregt, könnte man ja von diesem brasilianischen Brief noch etwas anderes lernen: Die Tugend der Selbstkritik.
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Der schönste Fußball-Song handelt von Niederlagen. „Three Lions“ von den „Lightening Seeds“ erzählt von Fan-Hoffnungen und ihrer regelmäßigen Zerstörung in der Wirklichkeit. Er erzählt von der ultimativen Lehre des Fußballspiels, dass Siegen nicht alles ist, dass es darauf ankommt, wie man siegt und mit wem, und dass es manchmal besser ist, mit den Richtigen zu verlieren, als mit den Falschen zu gewinnen.
Die Deutschen tun sich mit dem Siegen immer schon leichter als mit dem Verlieren. Unsympathisch. Dem deutschen Fan fehlt die Demut, die die meisten anderen Länder auszeichnet. Eine Halbfinalteilnahme ist Pflicht, wäre Deutschland im Viertelfinale ausgeschieden, dann hätte Löw gehen müssen. Dabei geht es beim Fußball, das wissen alle, außer den Bayern-Fans, nicht allein um Resultate. Wenn es um die Nationalmannschaft geht, dann aber verhalten wir uns plötzlich in großer Mehrheit wie Bayern-Fans. Das mag damit zu tun haben, dass zwei Drittel der Nationalelf aus Bayern-Spielern bestehen, und sie auch gern die Bayern-typische Arroganz zur Schau tragen.
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Aber das allein reicht nicht als Erklärung. So oder so wäre aber weniger Bayern eine sympathischere Nationalmannschaft. Dabei endeten einige der schönsten Turniere nicht mit dem Titelgewinn: 2006, 2010. 2014 war kein schönes Titelturnier für die deutsche Mannschaft, trotz des sagenhaften 7-1 Sieges. Es kam nie echte Stimmung auf, nie ein echter Zug. Die (vielleicht übertriebene, aber immerhin unschuldig-ehrliche) Begeisterung nach dem Auftakt 4-0 über Portugal wurde von dem schlechten Ghana-Spiel erstickt, das 1-0 über die USA war krampfig und glücklich, das 2-1 gegen Algerien eine Katastrophe, bei der die Algerier den Sieg verdient hätten, das 1-0 über Frankreich eine Pflichtübung, die immerhin verdient war, wenn auch glücklich, bei der immerhin Neuer und Hummels überzeugten.
Wie aber eine WM laufen könnte, das zeigte am gestern Abend der Dokumentarfilm „Wir holen den Pokal“ im ZDF, der von der WM 1990 erzählt, eine Menge Klatsch bietet, und vor allem auf Sepp Mayers Privatvideos basiert. Der Film erzählt, wie wichtig Lockerheit und Laissez-faire für den Sieg waren, wie tolerant Beckenbauer sein Team führte.
Der Film arbeitet indirekt aber auch gegen jede Verklärung des letzten deutschen WM-Titels an. Er zeigt, dass die deutsche Mannschaft 1990 nach dem hochspannenden Achtelfinale gegen die Niederlande nur noch Schrott gespielt haben. Dass sie im Viertelfinale nur mit einem Elfmeter in einem schlechten Spiel gegen die CSSR siegten. Dass sie im Halbfinale nur per Elfmeterschießen gegen England weiterkamen. Und auch gegen Argentinien im Finale kein Feldtor schossen: Nur mit Elfmeter überwanden sie das vernagelte Tor der Gaucho-Kicker.
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Davor im ZDF Luis Cesar Menotti. Er lobt die Deutschen, sagt, „theoretisch“ hätten sie „einen leichten Vorteil“. Bei den Namen der Spieler, die er herausragend findet, kann man nur zustimmen: Neuer, Hummels und Kroos. Eben nicht Müller, nicht Lahm. Ich sehe es genauso, würde nur Khedira hinzüfügen.
Es ist mir schleierhaft, wieso Kroos derzeit offenbar für 25 Millionen verrammscht wird, während der FC Barcelona für Suarez über 75 Millionen bezahlt. Es ist mir auch ein Rätsel, wieso Borussia Dortmund nicht Kroos sofort für diesen Betrag kauft. Dann muss Guardiola mit Gözinho spielen, und wird sehen, wo er bleibt.
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Interessant, dass schon seit Tagen, ja Wochen keiner mehr vom Klima redet. und was hat man nicht alles vom Klima gesprochen. Die Ergebnisse der KO-Runde belegen aber, dass das Klima offenbar doch nicht so entscheidend ist für die Ergebnisse. Dass die Lateinamerika auch längst nicht so überlegen und im Vorteil sind, wie man glaubte. Dass unter den Lateinamerikanern die lieben süßen putzigen „Kleinen“, zu denen besonders fußballferne Mädchen gern halten, doch nicht die besten sind, und sie am Ende eben wieder so rausfliegen, wie immer schon, wie immer auch die Afrikaner.
Es bleibt dabei: Noch hat keine europäische Mannschaft in Lateinamerika gewonnen. Vielleicht ist es heute Abend anders. Abwarten.