WM-Blog: Favoritensterben oder natürliche Auslese

Romantiker und Darwinisten; oder: Was heißt beim Fußball "Realismus"? - WM-Blog, Folge 9

Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

WM-Blog: Favoritensterben oder natürliche Auslese

„We still believe! We still believe! We still believe!“

(The Lightning Seeds: „Football’s coming home“)

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Schon die Marx Brothers wussten: „We do it my way or Uruguay“ – jetzt wissen es auch die Engländer. Noch gestern konnte man lesen, dass die Wetten der Londoner Buchmacher weit günstiger für einen englischen Sieg standen, nicht für einen lateinamerikanischen. Jetzt wissen es alle besser: Feine, aber entscheidende Unterschiede trennten her majesties men von den Pampakickern, Niederlage von Sieg. „Humpty dumpty sat on a wall …“

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Why why Uruguay? War England so schlecht, oder die Latinos so gut? Ganz bestimmt ist England etwas überschätzt worden. Ihr Spiel gegen Italien war schön anzusehen, aber längst nicht so gut, wie es stellenweise beschrieben wurde. Und vor allen hatte man in all den Lobeshymnen mal kurz das Wichtigste übersehen: England hatte gegen Italien verloren!

Die Londoner Zeitungen überschlagen sich heute mit klugen Erklärungen, warum das Team von Gestern ist, warum Steven Gerrard das Ende seines Wegs erreicht habe. Aber das meiste davon ist Bullshit. Viele sind heute unter den ersten Kritikern, die England vor Wochenfrist zum Mitfavoriten ausgerufen hatten, wie toll ihr Offensivspiel gewesen sei. Unsinn! Das war alles recht uneffektiv und latent chaotisch. Meiner Ansicht nach leidet das englische Spiel genau an einem Mangel dessen, was man als englische Stärke ansieht: Teamplay. Es leidet an zu einseitiger Ausrichtung auf einen Spieler, der sich alles erlauben darf, vor allem schwache Defensivleistungen: Vielleicht ist nicht Gerrard überschätzt, sondern Rooney.

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England fast raus, Spanien ganz raus. Was passiert da? Ist es das Sterben der Favoriten, der Teams, die Jahrzehnte den Weltfußball beherrscht und geprägt haben? Kann man so sehen. Muss man aber nicht. Denn es ist halt immer so, dass aus 32 Teams 16 werden, aus denen 8 und aus denen 4 werden müssen. Im Fußball herrscht das kühle Prinzip des Survival of the fittest.

„We’ve lost our hunger“, sagte Xabi Alonso nach dem Aus der Spanier.

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Es ist überaus ärgerlich, wenn jetzt – vorzugsweise in Deutschland und England, also bei den Nationen des Rumpelfußballs – zu lesen ist: „Das Tiki-Taka ist tot und mit ihm eine Dynastie, die zwei Europameisterschaften gewährt hatte und eine Weltmeisterschaft.“ Wir freuen uns schon darauf, wie dies bei zukünftigen deutsch-spanischen Duellen widerlegt wird. Wer behauptet, Tiki-Taka sei tot, der outet sich erstmal, dass er Tiki-Taka gar nicht verstanden hat, es auf ein Klischee reduziert und offenbar übersieht, dass die Deutschen sich seit 2008 an diesem Stil ausrichten. Das Problem des spanischen Spiels ist ja diesmal eher gewesen, dass sie nie zum Tiki-Taka gefunden haben, dass sie zu müde und mit sich selbst gelangweilt gespielt haben.

Ein gehässiger Unterton schwingt da mit. Und der wiegt schwerer. Es ist der alte Hass des Deutschen auf das Schöne, das Zwecklose, die – so nennt man dass dann gern – „bloße Ästhetik“.

Aber worum soll es im Fußball gehen, sagt der Romantiker in mir, wenn nicht zuallererst und zuallerletzt um Schönheit?

Um den Sieg, antwortet der Darwinist. Und der Realist weiß, dass Schönheit ohne Erfolg nicht schön ist. Erfolg ohne Schönheit aber noch schlimmer. Beides muss zusammengehen, wie Jahrelang bei den Spaniern.

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Womit wir bei Italien wären. sind das Realisten oder Darwinisten? Romantiker jedenfalls nicht. Mal sehen, ob sie es als erste europäische Mannschaft heute schaffen, ein Latino-Team zu besiegen.

Heute Abend nun Italien. In den letzten 20 Jahren waren sie immer wieder überaus cool und relaxed. Bereits im ersten Spiel der Gruppenphase hat Italien jene Killer-Mentalität gezeigt, auf die es in der KO-Runde ankommt, wenn man Weltmeister werden will.

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