WM-Blog: Das kleine Finale!
Brasilien gegen Holland, das wäre ein schönes Finale gewesen; Fußball & Film - Anmerkungen zu einer problematischen Beziehung - WM-Blog, Folge 23
Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.
WM-Blog: Das kleine Finale!
Am nächsten Montag ist wieder Kinotag, der Tag nach dem Finale. Egal wie es ausgeht, die Kinobesitzer werden aufatmen. Denn Montag sei Kinotag, sagt man. Ein Relikt aus den 70er Jahren. Die letzten vier Wochen waren die Kinos leer, hatten die Fernsehsender schlechte Quoten – mit einer Ausnahme: Das Programm, wo der wahre Straßenfeger lief: Die WM-Übertragung. Gleich zweimal spielte Montags sogar die deutsche Nationalmannschaft.
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Auf den ersten Blick scheinen sich Fußball und Film überaus ähnlich zu sein: Sie wollen Emotionen wecken und das gelingt ihnen auch, sie können ungemein spannend sein, mitunter sehr langweilig, sie sind manchmal vorhersehbar und manchmal völlig überraschend, aber fast immer unterhaltsam. Auch Fußball ist Teamwork, auch er hat seine Stars und Helden. Es geht in beiden um viel Geld, aber es geht im Grunde immer um mehr und um anderes: Um ein Spektakel, das sich selbst genügt.
Und wer in den letzten Jahrzehnten Texte über Fußball liest, der weiß, dass es sich hierbei eigentlich um die längste Daily-Soap der Welt handelt, mit Figuren, die uns unser Leben lang begleiten, sein Teil werden, so sie ihr Leben immer im Rampenlicht führen, fürs Publikum.
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Wie kommt es bei all diesen Gemeinsamkeiten also, dass die Beziehung zwischen Fußball und Film so problematisch ist. Denn Sportfilme haben im Kino durchaus Tradition. Schon Buster Keatons Baseball-Film „College“ von 1927, Alfred Hitchcocks Boxer-Drama „The Ring“ bis zu Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier“ oder Oliver Stones American-Football-Tragödie „Any Given Sunday“. Fußball aber scheint im Kino keine Rolle zu spielen, es gibt kaum einen einzigen wirklich guten Spielfilm über Fußball, und auch keine Fernsehserie.
Wir sprechen jetzt nicht von Dokumentarfilmen, und auch nicht von jenen sonderbaren Beispielen, wenn ein Fußballer mal in einem Spielfilm auftritt, wie einst Paul Breitner an der Seite von Hardy Krueger 1975 in Peter Schamonis deutschem Western „Potato Fritz“. Aber richtige Fußballfilme gibt es kaum, und das nicht allein in Deutschland. Und wenn es mal einer versucht, wie vor Jahren Sönke Wortmann mit „Das Wunder von Bern“, dann geht es eher schief. Wortmann wollte mit seinem Fußballfilm einerseits die Situation des Landes zwischen Kriegsheimkehr und Wirtschaftswunder spiegeln, andererseits dann doch die Hintergründe des ersten deutschen Weltmeisterschaftssiegs 1954 erzählen.
Das geriet recht holzschnittartig, selbst da, wo Wortmann sich auskennt, beim Fußball selbst: „Wir haben einen großen taktischen Vorteil Männer: … Sie wissen nicht, dass wir stark genug sind, sie zu schlagen.“ Ob Sepp Herberger wirklich so gesprochen hat?
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Eher nicht. Wer sich heute nicht für das Spiel um den dritten Platz interessiert, der kann sich die Zeit bis zum Finale überbrücken, und auf YouTube nach Sepp Herberger googeln: Da findet man irgendwo, aber nicht auf die Schnelle, zwanzig Minuten über den Sohn Mannheims, und sowieso alles über die Mythen von 1954.
Wer sich für Argentinien ein grooven möchte, der kann nochmal von weniger lang vergangenen Zeiten träumen: Hier findet sich das komplette Spiel von 2010, das 4-0. Da wird man aber auch sehen, um wieviel schlechter eine deutsche Mannschaft heute spielt, obwohl die Aufstellung bis auf Podolski, Friedrich und (vermutlich) Mertesacker identisch ist.
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Den Unmut über das Spiel um den dritten Platz kann ich aber nicht verstehen. Man muss nur mit der richtigen Einstellung reingehen, immerhin geht es um den dritten Platz in der Welt! Deutschland – Portugal 2006 war super.
Und Holland – Brasilien ist fast ein Klassiker. Erinnern wir uns nur an Hollands Sieg im Viertelfinale 2010. Das war eines der besten Spiele der letzten WM. Also Kopf hoch: Beide haben heute viel gutzumachen.
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Aber nochmal zurück: Woran liegt es eigentlich, dass die Beziehung Fußball – Film nicht funktioniert? Den vielleicht wichtigsten Grund kannte schon eben der legendäre Sepp Herberger: „Warum gehen die Leute ins Stadion? Weil sie nicht wissen, wie es ausgeht“.
Das ist der entscheidende Unterschied zum Kino. Wo das Kino zunehmend schematisch ist, verkitscht und eine Handlung sich nicht nur Kennern spätestens nach 15 Minuten erschließt, weil alles festen dramaturgischen Regeln folgt, da ist der Fußball das große Unvorhersehbare. Der letzte Ort des Chaos in den geregelten, ordentlichen Verhältnissen unserer risikolosen Moderne.
Der zweite Grund ist eher handwerklicher Natur: Schauspieler können fast alles, aber sie können selbst mithilfe modernster Computertechniken nicht so gut Fußball spielen, dass es halbwegs Informierte überzeugt – von den Fans gar nicht zu reden. Wenn Schauspieler Fußball spielen, ist es bestenfalls Regionalliga. Und dafür geht man nicht ins Kino.
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Früher war das mal anders: Im Herbst 1927 kamen zwei deutsche Filme in die Kinos: „Die elf Teufel“ von Zoltan Korda und „König der Mittelstürmer“ von Fritz Freisler. Beide sind auf DVD bei der „edition filmmuseum“ erhältlich, bei beiden handelt es sich um bezaubernde Dokumente, die geschickt dokumentarisches Material und Spielszenen mischen.
In jüngerer Zeit schaffte es das Kino nur in wenigen Fällen, dem Fußball wenigstens einen prominenten Platz zu geben. Dem Briten Ken Loach gelang das in seiner Komödie „Looking for Eric“, in der ein Postbote sich mit dem Fußball-Rebellen Eric Cantona identifiziert. Cantona selbst spielte mit, und sagte den legendären Satz: „I am not a man, I am Cantona“
Der wohl bekannteste, schönste Spielfilm mit einer Fußballszene stammt aber aus dem deutschen Kino, von Rainer Werner Fassbinder. Denn die komplette Schlussszene von dessen Wirtschaftswundernachkriegszeitabrechnungsmelodram „Die Ehe der Maria Braun“ ereignet sich parallel zur bekanntesten Radioreportage des deutschen Fußballs, zu Herbert Zimmermanns Beschreibung der letzten Minuten von Bern, 1954: „Rahn müsste schießen, Rahn schießt, Tor, Toor, Tooor, drei zu zwei“, dann kommt eine Riesenexplosion, zwei Menschen sind vermutlich tot, die Nachkriegszeit vorbei, nur das Radio läuft weiter: „Aus, aus, aus, das Spiel ist aus…“