WM-Blog: An Hollands Grenze
Das zweite Halbfinale und Fernsehen im Ländervergleich - WM-Blog, Folge 22
Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.
An Hollands Grenze
Da hat Mehmet Scholl schon recht, dass Louis van Gaal die WM für die Niederlande vergeigt hat. Es ist zwar nicht gesagt, dass Argentinien geschlagen worden wäre, aber man hätte es zumindest versuchen können. Das Halbfinale wurde von Oranje mehr verloren, als von Argentinien gewonnen.
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Das Spiel Hollands gegen Argentinien habe ich ganz nahe an der niederländischen Grenze gesehen, in einem kleinen belgischen Küstenort namens De Haan, der weniger zugebaut ist, als die meisten anderen Plätze hier. Viele alte Holz-und Ziegelgebäude, das eine oder andere von ihnen ist ganz im modernistischen Stil errichtet, es könnte sich um Bauhaus-Schüler handeln oder wenn Mondrian Architekt gewesen wäre, hätte er solche Häuser gebaut. Das Lokal selbst, eine Sport-Bar – oder Taverne, wie sie es hier nennen – namens „De Zeeduif“ ist basic, aber verlässlich, eine typische Fußball-Kneipe, in der man auf mehreren Großleinwänden Fußball gucken und dazu Bier trinken kann – etwas Stylisches hätte ich auch nicht gewollt. Die Wände hängen noch voll mit Schwarz-Gelb-Roten Fahnen und Wimpeln der „Red Devils“, wie sie hier ihr Team nennen, das im Viertelfinale unglücklich ausgeschieden war. „Danke Red Devils“ stand am Vormittag auf einer Tageszeitung. Tatsächlich ist für mich dann seit dem zweiten Spiel der Vorrunde eine der positivsten Erfahrungen dieser WM gewesen: Teilweise und besonders im Spiel gegen die USA erschienen sie als die neuen Spanier: Alles außer Toren gelang ihnen, permanente Offensive, permanenter Druck, sicher ohne die Genialität im Abschluss, ohne allerletzte Konsequenz, aber toll anzusehen.
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Der Wirt der Kneipe ist für die Niederlande, das Lokal ist mäßig besetzt, gestern sagt er, sei es beim Spiel der Brasilianer gegen die Deutschen rappelvoll gewesen. „This place is very german hier“ sagt er und meint es ohne merkliches Ressentiment, als nüchterne Feststellung.
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WM-Berichterstattung im belgisches Fernsehen: Ein Dreiviertelrund mit Bildschirmen an der Wand und vor ihnen Zuschauer, die alle in drei Teamfarben eingekleidet waren: Belgier, Niederländer und Argentinier.
Mitten in dieser Arena ein runder Tisch. Alle sitzen. Keiner steht wie im Deutschen Fernsehen, was dem Reden über Fußball dort immer etwas die Gemütlichkeit nimmt, ihm etwas Staatstragendes, Nachrichtensprechermäßiges gibt, es stramm und steif erscheinen lässt.
Die Eingeladenen hier sind auch keine Experten, obwohl sie das natürlich sind, sondern Menschen mit Ansichten. Meinungsträger.
In der Mitte sitzt der Moderator, der ein bisschen aussieht wie ein strohblonde, kinnbetonte Ausgabe von Markus Lanz, sich aber deutlich zurückhält. Um ihn herum: Jan Mulder, Vater des früheren Schalke-Stars Youri Mulder, ein paar Mal niederländischer Nationalspieler, vor allem aber jahrelanger Torjäger für RSC Anderlecht, daher auch den Belgiern gut bekannt, später noch bei Ajax Amsterdam, und seit den 80er Jahren Fußballkommentator. Dann Gert Verheyen, vielfacher Nationalspieler der Belgier, und der belgische Ex-Torhüter Geert de Vlieger.
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Was am belgischen WM-Berichts-Fernsehen vor allem auffällt: Es ist diskursiv, ein Stammtisch, aber nicht Waldis „Stammtisch“, sondern sachlicher, kompetenter. Wobei Waldis Stammtisch ja gar nicht so schlecht war, verglichen mit der Nicht-Berichterstattung bei dieser WM.
Markus Lanz, man mag ihn oder seine Sendung hassen, wie man will, kommt da noch am ehesten ran.
Im Vergleich wird klar, was das deutsche Fernsehen alles verschenkt mit seinem pseudoobjektivem staatstragenden Expertentum, den Kahns und Scholls. Scholl ist ja super, aber auch ihm hat man es abgewöhnt, ernsthaft kritisch zu sein, wirklich etwas gegen die deutsche Mannschaft und den Trainer zu sagen. Zu spotten, zu lästern, sarkastisch zu sein. All das blitzt auf bei Scholl, aber es bleibt bei kurzem Flackern.
Vor allem aber bringt das Konzept ein Moderator, ein Experte, automatisch diesen Dualismus, dieses Ping-Pong mit sich. Der Schweizer Schiedsrichter, der im ZDF ab und zu dazutreten darf, um in der dritten Zeitlupe Schiedsrichterfehler auszumachen und dann Schiedsrichter zu kritisieren, ist sowieso nur ein Maskottchen, um die Schweizverachtung der Deutschen zu kanalisieren.
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Was auch auffällt: Viel weniger Firlefanz. Auch hier gibt es Computeranalysen, die mir visuell besser vorkommen, als die in Deutschland, aber da trübt vielleicht die Ferienstimmung die Wahrnehmung. Aber keine nuttig gekleideten „Moderatorinnen“, die von verregneten Fanmeilen oder überhitzten Stränden berichten, keine Gespräche „mit dem Volk“, was der Brasilianer so denkt ob er immer noch alegre ist, nachdem die Deutschen die Selecao abgeschossen haben, keine Interviews mit besoffenen deutschen (oder hier halt belgischen) Fans nach dem achten Caipi, keine pseudobetroffenen pseudoernsthaften Reportagen aus den Slums, dass ja jetzt nach dem Ende der WM, jaja, das Elend weitergeht, und schlimmschlimm, es den Leuten in den Slums eher schlechter geht,als vorher.
Und keine Frau Müller-Reichparteitag mit Wasserstandsmeldungen „aus dem deutschen Lager“. Warum müssen die Deutschen eigentlich auch hier wieder ein Lager haben? Na gut, falsche Frage, man will ja kein Partycrasher sein.
Das belgische Fernsehen jedenfalls war mal eine angenehme Abwechslung.
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Schon vor Spielbeginn kritisiert Jan Mulder die Holländer sehr stark. Das geht in die gleiche Richtung wie Cruyff und später Scholl: Van Gaal habe den Oranje-Stil geopfert.
Gert Verheyen lobt das deutsche Spiel, weit über das Brasilien-Match hinaus. Es sei ein absolutes Vorbild, „Total Voetbal“, so benutzt er den magischen Begriff aus der Goldenen Zeit des niederländischen Fußballs. Ich bin überrascht, das geb‘ ich zu, und ich bin ganz anderer Ansicht. Aber dazu ein andermal.
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Dann das Spiel. erwartbar ausgeglichen, erwartbar spannend. Auch stilistisch ganz gut. Die Deutschen sollten sich nicht einreden, mit Argentinien ein leichtes Spiel zu haben. Werden sie natürlich doch, und vielleicht haben sie ja recht.
Schon früh konnte man sehen, wie im Mexiko-Spiel, dass die Niederländer Probleme haben würden. Sie spielten viel zu konservativ, ängstlich, auf Sicherheit bedacht. Alles ging über Robben, Van Persie bekam kaum Bälle, und Sneijder auch zuwenig.
Kuyt traute sich lange nix, musste auch das mittlere Drittel als Abwehrhelfer verbringen. De Jong spielte zu defensiv. Die Abwehr zeigte Schwächen. Aber einmal mehr zeigte sich, dass Robben in der Regel nur gegen schwache Teams gut ist, nicht gegen richtig starke das Spiel dominiert.
Als Ergebnis schlugen die Niederländer immer wieder lange dumme Bälle nach vorne, die in der argentinischen Abwehr hängen blieben.
Beide Teams waren über Rechts stark, über Links schwach. zur Halbzeit reagierte Van Gaal darauf gut, aber um den Preis der Schwächung der starken rechten Seite.
Bei den Argentiniern gefielen mir Garay, Lavezzi, Mascherano, Higuain besonders gut. Das team ist zäh, sehr geduldig, sehr diszipliniert. Nur Demichelis der Schwachpunkt, der er schon vor vier Jahren war, schon in seiner Zeit beim FC Bayern.
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So gewann Argentinien glücklich aber verdient. Es verlor das schlechte und eitle Coaching von Van Gaal, der Depay nicht brachte, und sein Team dadurch lähmte.