Wir weden dieselben sein
Arne Willander über Klugscheißer und Kriegsgewinnler, die Solidarität mit Amerika und die Propheten, Dichter und Sänger der Apokalypse
Es war die Stunde der Patrioten — und naturgemäß die Stunde der Schwätzer, der Prediger, der Apokalyptiker, der Bedenkenträger, der Militärs, der Helden, der Toten, der Experten, der Besserwisser, der Hymniker, der Tagebuchschreiber, der Augenzeugen und Davongekommenen. Alles, was Beine hatte, rannte. Der „Spiegel“-Reporter lief den einstürzenden Neubauten davon, nachdem er sich zunächst frech per Fahrrad den Weg gebahnt hatte. Ein paar Tage später lieferte er nach dem Katastrophen-Bericht schon wieder ein Kneipen-Lamento unter Maklern an der Wall Street, wie er es bei Bret Easton Ellis gelernt hatte. Der deutsche Dichter Durs Grünbein hatte allerlei vorausgesehen. Der deutsche Deuter Botho Strauß auch, schon vor acht Jahren in einem Essay. Peter Scholl-Latour („Opa Partisan“) schon immer. Der Guerilla-Greis laberte sich warm, und als endlich der Krieg in Afghanistan vermeldet wurde, war er sofort zur Stelle. Was der Aufwand der Amerikaner bringe, wurde er gefragt, „überhaupt nichts“, entschied Scholl-Latour, der 73 Jahre alt ist, und wir ahnten: Es bleibt alles anders.
Geschichte war Guido Knopp mit „Hitlers Frauen“ und ähnlich aufregendem Nazi-Trash, war Nordirland in der Schule und der amerikanische Bürgerkrieg im Film. Geschichte war der Terrorismus der 70er Jahre, „Landshut“ und Schleyer und Schmidt und Ben Wisch. Die Kanzler Schmidt und Kohl stellten fest, dass die Nachgeborenen nicht durch das Feuer des Krieges gegangen sind. Dort erkannten sich die Alten, das verband. Wir hatten bloß den Golfkrieg II und Hans Magnus Enzensberger, wir hatten Pazifisten und Bellizisten, und dann war wieder Ruhe. Wir wurden erzogen zur Toleranz, waren Christen, Sankt-Ansgar-Schule, danke. Wir gingen zur Bundeswehr oder nicht, wir blieben skeptisch bei der deutschen Einheit, wir wurden kritisch gegenüber Amerika. Aber wir hörten amerikanische Musik, sahen amerikanische Filme, lasen amerikanische Bücher.
Natürlich hat „Bild“ versucht, die Gründe aufzuzählen, weshalb wir zu Amerika halten müssen: den Po von Jennifer Lopez, zum Beispiel. Die Freiheit. Die Care-Pakete. Es waren nicht dabei: Hemingway, Pynchon, Salinger, Roth, Ford, Scorsese, Kubrick, Coppola, Dylan, Newman, Brando, de Niro. Spontan aufgezählt. Es würden uns nicht viele entsprechende Deutsche einfallen, auch im Ernstfall nicht. Aber natürlich sind diese Amerikaner auch keine Amerikaner. Ihre Vorfahren kamen von irgendwoher, doch ihr Land sind eben die Vereinigten Staaten. Darüber haben wir nie nachgedacht. Donald Rumsfeld hat Verwandte in Niedersachsen: Folklore. Wenn jetzt Willie Nelson, schon etwas senil, „America The Beautiful“ anstimmt und die Hollywood-Schauspieler mitsingen, so gut es geht, dann wird der Film „Wag The Dog“ bestätigt, eine ätzende Satire auf die amerikanische Politik. Wenn Präsident Bush im Parlament auftritt, denken wir an die zahlreichen Präsidentendarsteller (Bush ist ein guter).
So denken wir an den Vietnamkrieg, also die Filme darüber, wenn wir an Afghanistan denken, denn Bilder sehen wir nicht, nur grünes Leuchten. Vielleicht denken wir an „The Deer Hunter“, vielleicht an „Top Gun“. In unserer ästhetischen Wahrnehmung macht das den Unterschied ums Ganze aus: das Inferno oder die Propaganda. Das Fanal von New York war im Kino längst vorweggenommen worden, und dass die fertiggestellten Katastrophenschinken gerade nicht verkäuflich sind, bedeutet nichts anderes, als dass sie vor dem Hintergrund der Authentizität in einem Jahr ein gewaltiges Publikum haben werden. Der Attentäter Atta lieh sich „Ace Ventura“ aus der Videothek in Hamburg-Harburg. Das ist die Globalisierung, die uns jetzt das Fürchten lehrt. Wir kennen keine Filme aus dem Iran, aus dem Jemen oder aus Afghanistan. Menschen, die dort geboren wurden, betreiben hier Telefonläden und studieren an Universitäten. Sie sind die netten Ausländer von nebenan. Wir wissen nichts von ihnen, weil sie uns nie interessiert haben. Jede Kebab-Bude ist jetzt Bin Ladens Höhle.
Es ist die Stunde der Bekenntnisse. Wer eine Meinung hat, der steht auf. Pazifisten machen sich verdächtig. Kriegstreiber auch. Die Gaga-Poeten Norbert Körzdörfer und Franz-Josef Wagner müllen uns mit ihrem Familien- und Gesinnungs-Terror in „Bild“ voll. Sie sind die Kriegsgewinnler: Kitsch und Paranoia-Prosa werden gebraucht wie Scholl-Latour. Die Meister der bescheuerten Lebensregeln hebeln mit ihren Aphorismen schon Montaigne und Schopenhauer aus. Sie werden auch den Milzbrand zu besingen wissen. Sie werden den Außenminister, das Häuflein Elend, zur Haltung zwingen. Und sie werden, wenn gewünscht, mit ihrem Ränzel in den Krieg ziehen. Entwarnung: Wir werden immerdieselben sein.