WILLIE NELSON
Willie rules. Rituell fliegt eine rote Bandana nach der anderen ins Publikum, original-schweißbenetzt. Stetsons und ähnliche breitkrempige Kopfbedeckungen werden dem Verehrungswürdigen gereicht, und der verwandelt sie in Devotionalien, indem er sie kurz aufsetzt und dann zurückfeuert, aus der Hüfte. Willie Nelson, Volksheld, Good Old Boy und Schutzpatron keineswegs nur der dubiosen Hobby-Cowboys, die sich besonders lautstark bemerkbar machen, wenn der ewige Outlaw sich mal ausnahmsweise an einem mediokren Song zu schaffen macht wie etwa „Mama, Don’t Let Your Babies Grow Up To Be Cowboys“. Nein, Willie ist auch Lichtgestalt für Hippies und Rocker, für Studis und Straights, für Alt und Jung.
Gut zwei Stunden steht er heute auf der Bühne, aufgeräumt und phasenweise gar konzentriert. Rodney Crowells „Til I Gain Control Again“ vor allem und Townes Van Zandts „Pancho & Lefty“ wird die Aufmerksamkeit zuteil, die sie verdienen. Dazu reicht Willie den üblichen Medley-Salat und kredenzt einen unbekannten, leider ziemlich abgestandenen Latino-Cocktail von seiner nächsten Platte. Hält die Vorfreude durchaus in engen Grenzen, ebenso übrigens wie der einzige brandneue Song aus des Mei sters Feder, dessen Titel ich vergessen habe, nicht aber die verheerend klischierte Schlüsselzeile „She was a whore with a heart of gold“. Solch seichter Schund wäre ihm in seiner großen Zeit nie über die Lippen gekommen.
Schwamm drüber. Einem wie Willie Nelson verzeiht man derlei Verfehlungen, wie man Elvis die Filme nachsieht oder Bob Dylan die gesamten Achtziger. Das Erhebende überwiegt eh: Willies unnachahmliche Moll-Kaskaden auf dieser zerschossenen Gitarre, seine leichte, aber nie leichtfertige Jazz-Phrasierung, ruhige, andächtige Momente wie bei Leon Russells „A Song For You“ oder dem Semi-Traditional „Blue Eyes Crying In The Rain“, Mickey Raphaels routinierte, aber treffsichere Harmonika-Einsprengsel, Jody Paynes Strumming (George Jones he ain’t) und der Barroom-Boogie am Grand Piano von „little sister“ Bobbie Nelson. Fashion-Apercu: Willie trägt sein Haar heute nicht offen, sondern indianisch zu Zöpfen geflochten. Sieht auch echt aus. Und am Ende gibt’s Autogramme ohne Ende. Willie rules.