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Arne Willander schaut fernKolumne

Willander sieht fern: Titel hereinlassen

Johannes B. Kerner ließ im Sommerloch „Unsere größten Hits“ vorsingen.

Sie werden eine Sendung erleben – wirklich versprochen! –, wie Sie sie noch nie im deutschen Fernsehen erlebt haben“, sagt Johannes B. Kerner. Vielleicht stimmt das sogar, vielleicht glaubt Kerner es, aber man glaubt es gerade nicht, weil er es verspricht. „Unsere größten Hits“ sind irgendwelche Hits aus 40 Jahren, nämlich den letzten 40. Angeblich wurden vor 40 Jahren die Singles-Charts erfunden, was natürlich Quatsch ist – aber Media Control gab seitdem diese Plakate heraus mit 75 Notierungen, die wie eine amtliche Statistik aussahen und die es jetzt nicht mehr gibt. So kann man auf vier Jahrzehnte zurückblicken und noch einmal Willy Brandts Kniefall zeigen, versenkbare Autoscheinwerfer, den Würstchenautomaten, die deutsche Fußballnationalmannschaft, Vader Abraham, den Zauberwürfel, eine VHS-Kassette, den Mauerfall. Thomas Hermanns kann wieder über ABBA sprechen und immer „Dancing Queen!“ rufen und zahnreich grienen. Man kann das Sommerloch füllen.

Und man braucht all die Leute nicht, die all die Hits sangen, denn jetzt werden sie von anderen Leuten gesungen, zum Beispiel von Thomas Anders, der „Love Is In The Air“ vorträgt, weil John Paul Young nicht kann, und von Uwe Ochsenknecht, der „Baby Jane“ bellt, weil Rod Stewart verhindert ist. Miroslav Nemec belfert „Flugzeuge im Bauch“, Stephanie Stumph gibt Lady Gaga mit „Poker Face“, und es ist nicht mal schlecht. Doch, es ist schlecht. Fünf Trachtenburschen in Lederhosen, die sich voXXclub nennen, exekutieren zu Ballerbeats und Gaudi-Akkordeon ein Potpourri aus Songs von ABBA und den Bee Gees, nie hat man Scheußlicheres gehört. „Danke, dass ihr den kleinen Spaß mitgemacht habt“, sagt Kerner. Annett Louisan sieht endgültig aus wie eine Frau, die eine trutschige Frau aus den 50er-Jahren spielt, und piepst patentiert „So lang’ man Träume noch leben kann“ zu angejazztem Klimperklavier, Standbass und Besenschlagzeug – sie kann das wahrscheinlich auch mit „Beat It“ oder „When Doves Cry“.

Das Angenehme an Kerner ist, dass er so mühelos schleimig sein kann, dass es als die einzig mögliche Darbietungsform erscheint. Andrea Kiewel nennt er „Chefgärtnerin“, weil sie den „ZDF-Fernsehgarten“ moderiert, und Kerner freut sich über diesen Begriff, und Kiewel freut sich auch. Es wird gezeigt, wie sie 1990 im DFF die Nachrichten verliest und „Blasmusikorchester Schwarze Pumpe“ sagt, und alle beömmeln sich über ihre Russinnen-Frisur. „Ich bin seit 30 Jahren Mutter!“, ruft Kiewel ungefragt. Auch Claudia Roth sitzt auf dem Sofa, sie erzählt wieder, dass sie die Geschicke von Ton Steine Scherben lenkte, „Schneewittchen und die sieben Scherben“ sagten sie damals.

Dann kommt eine Epiphanie, es ist der leibhaftige Dieter Thomas Heck. Bei seinem Abschied vom ZDF war Heck unter Tränen von sich selbst gerührt, er wollte nicht loslassen. Nun ist er 78, er hat losgelassen, tapert fast zart in den Saal, er sieht gut aus, die grauen Haare sind sorgfältig onduliert, das Mikrofon hält er geziert mit zwei Fingern wie früher, die durchdringend sonore Stimme ist fast intakt. Die Zuschauer stehen auf, Dieter Thomas Heck ist jetzt die Autorität im Saal, und der Media- Control-Erfinder Karlheinz Kögel sagt auf dem Sofa: „Wir haben Dieter unendlich viel zu verdanken“ und klatscht, und das Publikum klatscht auch, und Heck sagt: „Das war jetzt im Namen der Firma“, und Kögel sagt: „Auch ich persönlich.“ Und dann sagt Heck es: „Titel“. Nicht „Song“, „Lied“ oder „Stück“ – es gab immer nur „ Titel“, so wie es nur „Interpreten“ gab. Haben Sie denn dieses verrückte Zeug der Neuen Deutschen Welle hereingelassen? „Wir ham gesagt: Wenn es diese Titel gibt, dann muss man die auch reinlassen.“

So müsste die Sendung heißen: „Unsere größten Titel“.

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