Will Oldham
Der große amerikanische Songwriter über musikalische Helden und sein Alter Ego Bonnie "Prince" Billy.
Will Oldham ist äußerst schlecht gelaunt, als er das Berliner Büro seines Labels betritt. Er reißt sich seine rot-weiße Strickmütze vom Kopf und zetert: „Das war entwürdigend und peinlich. Wie ich diese Fotosessions hasse. Fuck, fuck, fuck.“ Doch der Fotograf ist noch nicht fertig mit ihm. Die Bilder, die Sie über diesem Artikel sehen, fordern ihm noch einmal alles ab. „So ist es halt. Das ist mein Job, richtig?“ Richtig. Er hat sich das zu einem gewissen Grad selbst eingebrockt. Denn er hat einen Deal gemacht. Oder – wie er es nennt: „Ich habe meine Seele an die Plattenfirma verkauft.“ Für das letzte Studioalbum unter dem Namen Bonnie „Prince“ Billy, „Lie Dowm ln The Light“, musste er kein einziges Interview geben – unter der Bedingung, dass er für den Nachfolger alles tut, was von ihm verlangt wird. „Beware“ heißt das neue Werk-oder einfach nur „the big record“. .“Lie Dowm ln The Light’entstammte meiner persönlichen Erfahrung und ist viel näher an meinem Leben dran“, erklärt Oldham, „,Beware’dagegen ist Teil einer großen Galaxie, ist vernetzt mit anderen Songs und anderen Sängern.“ Während er das letzte Album vor allem mit seiner Tour-Band einspielte, waren dieses Mal bei den Sessions in Chicago viele Gäste beteiligt, Ex-Wilco-Gitarrist Leroy Bach zum Beispiel, Pedal-Steeler Greg Leisz und Jon Langford von Oldhams Jugendidolen The Mekons.
Als wir uns vor zwei Jahren das letzte Mal trafen, hast du mir von deinem ersten Mekons-Konzert 1989 in New Orleans vorgeschwärmt. Jetzt singt Jon Langford auf deinem neuen Album mit. Wie lange kennt ihr euch schon?
Das erste Mal mit ihm gesprochen habe ich wohl damals in New Orleans. Und ich erinnere mich, dass ich ihn so um 1994 in einer Bar in Chicago getroffen habe, kurz nachdem wir mit Palace (den Mecons-Song) „Horses“ aufgenommen haben. Wir haben uns die Aufnahme dann zusammen in meinem Auto angehört. Aber er hatte natürlich keine Ahnung, wer ich war. 2006 traf ich ihn dann bei einer Radio-Show, und in den letzten anderthalb Jahren hatten wir mehr Kontakt. Ich habe auch bei zwei Shows anlässlich des 30-jährigen Mekons-Jubiläums mitgesungen.
Horst du die Mekons anders, seit du sie persönlich kennst?
Wenn ich früher die Mekons gehört habe, war das eine regelrechte Versenkung, die volle Identifikation. Als ich dann angefangen habe, selbst Platten aufzunehmen, hat sich die Art und Weise, wie ich Musik gehört habe, vollkommen verändert. Eine Zeit lang war es mir wichtig, nur Dinge zu hören, zu denen ich überhaupt keine Beziehung hatte. Denn Musik bedeutet für mich, für einen Moment das irdische Selbst zu verlassen und in eine andere Dimension aufzubrechen. Also habe ich Sachen, die ich verstand, gemieden. Auch die Mekons. Erst vor ein paar Jahren habe ich wieder angefangen, ihre Platten zu hören. Und zu dem Zeitpunkt hatte ich schon gelernt, meine Person von meiner Singstimme zu trennen. Und das hat dann bei den Mekons auch funktioniert.
Du hast ja immer großen Wert darauf gelegt, dass man deine Musik unabhängig von deiner Person betrachtet. Und da niemand so recht wusste, wer dieser Typ hinter den vielen Pseudonymen eigentlich ist, haben die Leute sich seltsame Geschichten über dich ausgedacht.
Das war kostenloses Marketing (grinst).
Hat funktioniert.
Kann man sagen. Ich finde einfach, dass es ein großer Fehler ist, die Singstimme mit dem Individuum gleichzusetzen, dem die Stimmbänder gehören. Für mich sind Stimme, Musiker und Produzenten eins. Und natürlich das Management (lacht).
Weil das letzten Endes das öffentliche Bild des Künstlers bestimmt.
Genau. Guck dir Neil Young an oder Bob Dylan – sein Manager Albert Grossman war zu großen Teilen für das Bild verantwortlich, was die Leute damals von Dylan hatten.
Aber du hast ja gar kein Management, oder?
Stimmt. Da ist es noch schwieriger, sich den ganzen Mist vom Leib zu halten… Es gibt wirklich eine Menge wunderliche Geschichten über mich…
Kannst du dich an eine erinnern?
Hm… ein Freund hat mir neulich geschrieben, man erzähle sich, ich würde mir, wenn ich die Bühne verlasse, die Klamotten vom Leib reißen und in eine große, mit Wasser gefüllte Wanne springen.
Stimmt nicht?
Vielleicht ist es mal passiert, aber ich kann mich nicht erinnern. Wenn ich so darüber nachdenke… sooo seltsam klingt das jetzt auch wieder nicht.
Du hast dich in einen alten Folksong- Charakter verwandelt.
Nicht ich. Bonnie „Prince“ Billy.
Ein direkter Nachfahre von…
…Stagger Lee! (lacht)
Oder irgendeine Figur aus einer appalachischen Ballade. Zu Beginn deiner Karriere hieß es ja immer, du seist stark von dieser Musik beeinflusst.
Ja. Jeder hat das geschrieben. Die beste Erklärung dafür scheint mir, dass ich damals viel britischen und irischen Folk gehört habe und versucht habe, diese Musik in einen amerikanischen Kontext zu überführen. Und das ist ja im Wesentlichen auch das, was die Musik aus den Appalachen ausmacht. Die Leute haben also gehört, wie ein Typ aus Louisville/ Kentucky schottische und irische Balladen spielt und gedacht: „Ah, der bezieht sich auf die Folktradition der Appalachen.“ Ich habe also die Tradition wiederholt, ohne es zu wissen.
Ein langer Weg von dort zu R. Kelly, von dem du im letzten Jahr ein Stück gecovert hast. Du hast ihn sogar mal getroffen, oder?
Ja. Das war in der Woche, in der „The Letting Go“ rauskam. Wir spielten im Fernsehen bei „Late Night With Conan O’Brien“, und dann kam dieser Anruf: Kannst du nach Chicago kommen und in R. Kellys Film (der Hip-Hopera „Trapped In The Closet“) mitspielen? Das war wirklich die verrückteste Woche überhaupt, hehehe.
Wie war er?
Es gibt natürlich viele Gründe, ihn moralisch zu verurteilen. Aber ich muss gestehen, dass ich alle Bedenken beiseite geräumt habe und ihm staunend und mit großem Respekt begegnet bin.
Warst du nervös?
Es kommt zwar schon mal vor, dass ich bei sowas nervös werde, aber in diesem Fall – wie auch, als ich Johnny Cash getroffen habe — war es ganz anders. Einfach weil beide so eine unglaubliche Bedeutung ausstrahlen. Man kann einfach da sitzen und sie beobachten oder zuhören, wie sie über Musik sprechen. Man ist nicht nervös, sondern fasziniert, weil alles eine Bedeutung zu haben scheint.