Wilde Tiere aus dem Märchenwald
Sie musizieren in der Wildnis und suchen die Freiheit des Ausdrucks: Josh Homme führt die Queens Of The Stone Age als Experimentalprojekt unter Drogeneinfluss
Der Himmel über Hollywood ist an diesem grauen Winter Nachmittag eine so trostlose Angelegenheit, dass selbst die Sonne Reißaus nimmt und in schmierig grauen Schlieren untergeht. Auf dem Sunset Boulevard leuchten stattdessen die ersten Neonreklamen der Bars – die abendliche Cocktail-Stunde ist eröffnet. Nur in einem Hotelzimmer wird noch gearbeitet: Troy, Joey und Josh reiben sich müde die rotgeränderten Augen und öffnen ein paar Heineken für das letzte Interview des Tages. Das Trio bildet die aktuelle Besetzung der Queens Of The Stone Age, würde aber auch gut in einen Siebziger-Jahre-Western passen: Troy Van Leeuwen ist der Dandy mit dem Pokerface, bei dem man nie so genau weiß, was er gerade spielt – Gitarre, Bass, Piano oder Lap Steel Guitar. Im Sessel neben ihm räkelt sich der Mexikaner Joey Castillo. Der Mund des ehemaligen Danzig-Schlagzeugers ist breit wie ein Froschtümpel, die Lippen weich und wulstig, der Rest des Gesichts verschwindet unter einem stacheligen Banditenbart. Josh Homme ist ganz eindeutig der Boss, und inzwischen auch das einzig verbliebene Originalmitglied. Die muskulösen Arme des blonden Hünen sind mit krakeligen Tätowierungen bedeckt, die aussehen, als seinen sie im Knast oder im Vollrausch entstanden. Auch auf den Fingern steht etwas Unleserliches, Bläuliches. Allerdings nicht Love oder Hate, dafür ist Josh Homme zu gescheit. Andererseits hat der 32-Jährige aus Palm Desert kürzlich in einem Interview geprahlt, er habe die Band Terrorvision verprügelt Die Band!
Seinem langjährigen Freund Nick Oliveri, mit dem er bereits 1989 bei Kyuss spielte, blieb physische Gewalt erspart: Homme warf den Bassisten und Sänger im letzten Frühjahr einfach so aus der Combo. Hinterher wurde alles wieder heruntergespielt. In Dutzenden von Interviews versicherten die Beteiligten, selbstverständlich noch gute Freunde zu sein, und irgendwann wolle man auch wieder zusammen trinken und rocken.
Doch von Oliveri, der bei Auftritten gerne mal nackt auf die Bühne kommt und auch sonst kein Kind von Traurigkeit ist, ist auf dem neuen Album „Lullabies To Paralyze“ kein Ton zu hören. Es war wohl ein Fehler, „etwas Blödes über Brody“ Dalle zu sagen. Die Sängerin der Distillers ist die Freundin von Josh Homme und im Team mit Shirley Manson auch auf „You Got A Killer Scene There Man“ zu hören, einem der besten Songs des Albums. „Wir wollten für das Stück etwas weiblichen Backing-Gesang“, erzählt Troy Van Leeuwen. „Da war es natürlich perfekt, dass die beiden gerade in der Lounge saßen und Wein tranken. Wir brauchten bloß zu rufen: Los Mädels, kommt rein!“ Klingt nach einem idyllischen Kumpelnest, verschleiert allerdings die Tatsache, dass die Queens Of The Stone Age 2005 vor allem aus einem Mitglied bestehen: Josh Homme.
Kann man bei QOTSA überhaupt noch von einer Band sprechen, oder ist das inzwischen nicht eher eine Variation der „Reise nach Jerusalem“? Es gibt nur noch einen Stuhl, und auf dem sitzt immer Josh…
JOSH: (die anderen lachen prustend im Hintergrund) „Das ist keine Absicht, es liegt einfach daran, dass für uns die Musik zuerst kommt. Und um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eben die unterschiedlichsten Leute.“ JOEY: „Auf der letzten Tour passierten ein paar verdammt chaotische Dinge, Nick flog aus der Band, und am Ende waren nur noch drei Leute mit der gleichen Sichtweise übrig. Also gaben wir uns den Auftrag, eine Platte zu machen.“
Das Album habt ihr „Lullabies To Paralyze“ genannt und in einem Presseinfo als finster surreale Fabel beschrieben. Worum geht es da?
JOSH: „Es ist die Geschichte von vier jungen Tieren vom Bauernhof, die alle das Bedürfnis haben abzuhauen, anstatt gefunden zu werden.“
Also eine Variation der Bremer Stadtmusikanten?
JOSH: „Genau. ‚Lullabies To Paralyze‘ ist eine Art dunkles Märchen. Weil Presseinfos normalerweise langweilig und trivial sind, haben wir es vorgezogen, die Geschichte einer Band zu erzählen, die nicht wie die anderen sein wollte und es deshalb vorzog zu verschwinden. Denn die Musik lebt dort draußen, in den Bäumen…“ JOEY: „Nach dem Durcheinander, das Nicks Rausschmiss folgte, haben wir uns erst mal in den Wäldern verkrochen und Musik gemacht Die Leute dachten schon wir hätten uns getrennt, doch wir sind nur dorthin zurückgegangen, wo wir uns auskennen. Das war der angenehmste TeiL“ JOSH: „Wir haben in Joshua Tree geprobt, draußen in der Wüste, wo wir allein sein konnten. Aufgenommen haben wir aber in LA., damit wir wieder etwas Bodenhaftung bekommen.“
Wenn er redet, dominiert Josh Homme den Raum. Dass er dabei seine Wollmütze immer wieder auf und ab setzt, hat nichts mit Unsicherheit zu tun, sondern liegt eher an dem pharmakologisch induzierten Erregungszustand, in dem er sich offenbar befindet. Dennoch (oder deswegen?) ist der Wüstenbewohner schnell, witzig und eloquent. Was die Einschätzung des Albums angeht, hat er absolut Recht. Das von ihm selbst und Joe Barresi produzierte „Lullabies To Paralyze“ ist die bisher dunkelste Veröffentlichung der Queens Of The Stone Age. Der Opener „Lullaby“ besteht nur aus Mark Lanegans Gesang und Joshs eindringlichem Gitarrenspiel. Ein Leonard-Cohen-Song, der sich in die Wüste verirrt hat. Andere Stücke werden untermalt von den delirierenden Tubas und Posaunen der Main Street Band. Bei dem Boogie from Outerspace „Burn The Witch“ und zwei weiteren Stücken greift sogar der alte ZZ Top-Rauschebart Billy Gibbons in die Saiten: „Ich war begeistert“ schwärmt Homme über die Zusammenarbeit. „Ich höre ihn, seit ich zwölf bin, für mich ist er einer der größten Gitarristen überhaupt. Trotzdem glaube ich, dass wir auf einer musikalischen Ebene ein paar Dinge austauschen können, die für uns beide lebenswichtig sind.“
Nein, ein Leisetreter ist Big Josh wirklich nicht. Und damit sein Ego auch schön funkelt, hat er wieder ein paar der üblichen hilfreichen Verdächtigen eingeladen: Masters Of Reality-Mann Chris Goss, Alain Johannes und Jesse Hughes, mit dem Homme das Hobby Eagles Of Death Metal teilt. Das stilistische Spektrum ist diesmal allerdings größer als je zuvor. Wen wundert’s, Homme ist in seinem Wüstendomizil ja auch permanent am jammen und Rocken. Fast ein Hippie-Idyl, wenn man an die vielen Drogen denkt, die dort angeblich verzehrt werden. Die auf vier CDs dokumentierten „Desert Sessions“ geben einen ungefähren Eindruck von so einem Wochenende zwischen Staub und Kakteen. An den rauen, aber herzlich beschwingten Meetings beteiligen sich bisher Größen wie PJ Harvey, Dean Ween, Mark Lanegan sowie ehemalige Soundgarden- und Kyuss-Musiker. Auf „Lullabys To Paralyze“ wird dem Spieltrieb der Musiker erst recht keine Grenze gesetzt. Die Mitwirkung der Bläserkapelle The Main Street Band ist ein besonders gelungener Coup und Seht ihr euch als eine Art „Rock Liberation Proiect“?
Josh: „Hahaha! Hey Mann, das ist ein verdammt großartiger Slogan. Den werde ich dir klauen! Es gibt gleich mehrere Songs, die deine These untermauern: .Medication‘ ist eine sehr schöne Bebilderung davon, ‚You Got A Killer Scene There Man‘, beschreibt einen weiteren Aspekt: Do you want me? Come and get me! Ich verstecke mich nicht. Deshalb ist das ,Rock Liberation Project‘ absolut zutreffend, mein Freund.“
Die deutsche Band Can hat ähnlich gearbeitet wie ihr: Die haben sich tagelang im Studio verkrochen und alles, was dabei herauskam, aufgenommen.
TROY: „Can sind ein tolles Beispiel, weil sie nur sehr wenige Regeln akzeptiert haben. Unsere Methode ist ähnlich: Es ist uns völlig egal, woher der Sound kommt – Hauptsache, es funktioniert. Das reicht vom Straßenverkehr vorm Studio bis zu einer längst vergessenen magischen Bass-Spur, die man irgendwann mal aufgenommen hat.“
JOSH: „Ich würde sagen, der magische Bass ist letztlich für alles verantwortlich. Jedes Mal, wenn man ihn anfasst, macht es Booooh…“
JOEY: „Er wird immer weitergereicht…“
JOSH: „Und jeder kämpft darum, Bass spielen zu dürfen. Immer wieder ging es im Studio: Öhem, also… diesmal spiele ich aber den Bass!“
TROY: „Aber ich habe doch schon diesen Lauf…™“
Der Bass ist für die Band momentan wohl auch deshalb so „magisch“, weil noch immer kein Ersatz für Oliveri gefunden wurde. Im „Märchen zur Platte“ ist jedenfalls nicht von drei, sondern von vier players die Rede: The Cock (Josh), The Quack (Troy), The Ass (Joey). Hinter „The Pig“ steht New Guy. Doch der fehlende Bassist bereitet den drei verbliebenen Rock’n’Roll-Animals mit Sicherheit keine schlaflosen Nächte. Bei Auftritten macht zurzeit Dan Druff den Job. Ob sich daraus eine bleibende Mitgliedschaft in der Truppe entwickeln? Man wird sehen. Im Januar absolvierte Big Josh erst mal einen rein akustischen Duo-Auftritt bei einem Benefiz-Konzert zugunsten der asiatischen Tsunami-Opfer. Sein Partner war allerdings keiner der anderen Queens-Musiker, sondern Dave Grohl – der Schlagzeuger des letzten Albums, „Songs For The Deaf“. Jene Platte war das Monument des Stoner-Rock, eine gewaltige psychedelische Jam-Orgie, die ähnliche Großtaten von Mark Lanegans Screaming Trees noch übertraf. Bei allem Gegniedel bleiben die Songs aber strukturiert, fast eingängig – auch ein Effekt der Redundanzen.
QOTSA stehen heute mehr denn je für ein offenes Forschungs-Projekt zur spielerischen Entwicklung einer ungezähmten, aber Song-basierten Rockmusik. Den grandiosen Moment, wenn tonnenschwere Riffmonster federleicht in die Lüfte entschwinden und sich in Drei-Minuten-Songs plötzlich Falltüren und Geheimkabinette öffnen. Der Geist des Punk ist immer dabei Ist euer häufiges Wechseln der Instrumente eine Kampfansage an das übertriebene Virtuosentum?
JOSH: „Absolut! Es ist schwer zu rebellieren, wenn man die Regeln der Revolte so sehr perfektioniert hat, dass man sie sogar auf dem Kopf stehend spielen kann. Wenn man handwerklich nicht so gut ist, setzt man eher seinen Kopf ein. Das ist die Philosophie von Punkrock, mit dem wir aufgewachsen sind. Heute ist Punk oft nur noch ein Kleiderdesign, ein Gespür für Mode. Für mich dagegen bedeutete das Wort immer Infiltration, Zerstörung, Rebellion.“
Im Refrain von „Feel Good Hit Of The Summer“ habt ihr von Nikotin über Marihuana bis zu „C-c-ccocaine“ alle bekannten Drogen aufgezählt. Gilt auch für euch das Motto der Spacemen 3: „Taking drugs to make music to take drugs to“?
JOSH: „Um es etwas mysteriös auszudrücken: Ich habe keine Angst davor, alles Notwendige zu tun, um gute Musik zu machen, (zieht die Nase hoch) Aber was ist schon notwendig? Dass wir alle einen Hang zur Party haben, ist ein offenes Geheimnis.“ (dröhnendes Gelächter der Kollegen) Das war keine wirklich erschöpfende Antwort…
JOSH: „Auf der letzten Platte gibt es einen Song ‚First It Giveth‘, mit dem ich mich identifiziere. Der Refrain geht: „First it giveth, then take it away.“ Zuerst geben dir Drogen Inspiration und fuhren dich einen Weg entlang, aber dann schließen sie die Tür und machen das Licht aus, und du denkst: Oh, Scheiße! Die Angewohnheit, die wir gerne hätten, ist keine Angewohnheiten zu haben, egal ob es sich um das Songwriting handelt oder die Drogen. Ich möchte in der Lage sein, alles zu tun, was ich möchte und wann ich es möchte. Ich mag es nicht, wenn mich etwas stoppt.“
Sagt’s, nimmt noch einen Schluck aus der Heineken-Flasche und verschwindet auf der Toilette. Vermutlich, um in Gedanken einen neuen Song zu schreiben.