Wilco live beim ROLLING STONE Weekender: Virtuose Lässigkeit
Wilco sind der ideale Abschluss für den diesjährigen ROLLING STONE Weekender und spielen sich mit Raffinesse und auch einer gewissen Coolness durch ihren großen Song-Katalog.
Es gibt gleich mehrere Gründe, warum Wilco unbedingt zum Abschluss eines Festivals spielen sollten – so wie nun geschehen beim ROLLING STONE Weekender am Samstag in der Zeltbühne: Diese Band absolviert einfach keine schlechten Konzerte mehr, schon seit vielen Jahren nicht. Es gibt entweder nur sehr gute oder herausragende Auftritte.
Live bewegen sich die Chicagoer in einer eigenen Liga, weil sie ihre vielschichtigen, komplizierten Arrangements wie im Traum beherrschen und scheinbar mühelos Fahrt aufnehmen und Luft rausnehmen können. Obwohl ihre neue Platte, „Schmilco“, erst vor wenigen Monaten erschienen ist, starten Wilco mit zwei ruppigen Songs aus dem Vorgängeralbum „Star Wars“ in den Abend.
Wilco haben sich ihre Freiheiten hart erarbeitet
Auch das ist einer dieser Gründe für Wilco als krönenden Abschluss: Diese Gruppe überrascht immer wieder, sie wiederholt keine Setlists, variiert das Gewohnte und erfreut sich vielleicht sogar daran, keinen offiziellen Hit zu haben, nach dem die Fans lautstark rufen. Freiheit heißt eben, tun und lassen zu können, was man will.
Früh im Programm wird „Art Of Almost“ serviert. Schwindelerregend viele musikalische Einzelteile werden hier kunstvoll zu einem flirrenden, hocherregten Fiebertraum vermengt, bei dem Drummer Glenn Koche zum Abschluss sein Schlagzeug verdrischt und Nels Cline mit seiner Gitarre ins All schwebt. Die Tonmischung ist, anders als beim brechendlauten Gig von Dinosaur Jr. am Vorabend, nahezu perfekt.
Experimentierlust auf der Bühne
Wilco, auch dies ein Grund, warum diese Musiker live ein Ereignis sind, reproduzieren ihre Songs nicht einfach nur fürs Publikum, sie arbeiten kontinuierlich an deren DNA. „I Am Trying To Break Your Heart“ (aus dem längst zum amerikanischen Klassiker erhobenen „Yankee Hotel Foxtrot“) kommt mit verschlepptem Tempo und subtil verzogenem Elektrokorsett daher. Die Mordfantasie „Bull Black Nova“ wird plötzlich wie eine lakonischer Folkweise leise ausgeblendet. Und bei „Misunderstood“ lamentiert Sänger Jeff Tweedy (der sich lautstark wundert, wie oft seine Band nun schon zum Weißenhäuser Strand gefahren ist) nicht mehr wie früher im Dutzend, dass er sich im Grunde für nichts bedanken möchte.
Stattdessen bedanken sich die Zuschauer mit lautem Applaus. Am deutlichsten, nachdem Wilco „Impossible Germany“ aus der Zauberkiste holen und Nels Cline zu einem seiner vielen, schier atemberaubenden Soli ansetzt. Von allen zehn famosen Studioeinspielungen der Band gibt es etwas zu hören, für „Oldtimer“ (Tweedy) sogar „Box Full Of Letters“ aus dem Wilco-Debüt „A.M.“. Wie weit entfernt ist dieser unbekümmerte Alt-Country-Kracher von den versponnenen Folk-Liedern auf „Schmilco“?
The Late Greats
Davon werden „Someone To Lose“, „If I Ever Was A Child“, „We Aren’t The World (Safety Girl)“ und das zirpende „Locator“ präsentiert. Auf der Bühne sind diese Songs wesentlich konsistenter, überhaupt nicht mehr brüchig oder gar zurückhaltend. Gleiches gilt auch für die fragmentarischen „Star Wars“-Tracks „The Joke Explained“ und „Pickled Ginger“: Live vermögen diese Songs ein kleines Klanguniversum zu öffnen und schließen sich leichtfüßig und wie selbstverständlich an oft gespielte und auch an diesem Abend gefeierte Favoriten wie „Via Chicago“ und natürlich „Jesus etc.“ an.
Zum Abschluss gibt es „The Late Greats“, also jene beschwingte Nummer, in der Wilco sich selbstbewusst und doch ironisch zum natürlich viel zu wenig bekannten, dafür aber umso wertvolleren Unikat erklären: „So good you won’t ever know/They never even played a show/Can’t hear them on the radio“. Ein Glück, sie hören und sehen zu dürfen.