Wikilix und Wildschwein: „Asterix“ ist zurück – und so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr
Nach langem kreativen Niedergang findet die Comic-Serie „Asterix“ nun zu alter Brillanz zurück
Eine der wohl tiefsten Krisen der Comic-Welt ist überwunden: Mit dem 36. „Asterix“-Album haben die Franzosen Jean-Yves Ferri und Didier Conrad die lange vor sich hin dümpelnde Serie endlich aus dem Sumpf der Beliebigkeit gezogen, in der sie seit Jahrzehnten steckte. Die Schöpfer des neuen „Asterix“ wirken gelöst, fast überdreht, als sie am Rande der Frankfurter Buchmesse den neuen Band, „Der Papyrus des Cäsar“, vorstellen. Auf die Frage, wie es sich anfühle, für diese berühmte Comic-Serie verantwortlich zu sein, antwortet Conrad, das sei gut fürs Ego. Was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen: „Der Papyrus des Cäsar“ wird einhellig als wundersame Reanimation eines tot geglaubten Patienten gefeiert werden.
Die neue Geschichte beginnt mit der Veröffentlichung von Cäsars „De bello Gallico“, aus dem der römische Feldherr auf den Rat des Verlegers Rufus Syndicus hin das Kapitel über den erfolglosen Kampf gegen die unbeugsamen Bewohner eines kleinen, dem Leser wohlvertrauten Dorfes im Nordwesten des Landes streichen lässt. Doch es gibt eine undichte Stelle. Als einer von Syndicus’ Schreibern das brisante Kapitel heimlich dem gallischen „Kolporteur“ Polemix in die Hände spielt, gerät Cäsars Ruf in Gefahr. Denn natürlich will dieser antike Doppelgänger des WikiLeaks-Gründers, Julian Assange, der für die „Gallische Revue“ aus Rom berichtet, mit diesem unterschlagenen Papyrus aus den Händen des Feldherrn einen Scoop landen, der das Reich in seinen Grundfesten erschüttern soll. Doch zunächst muss er sich und seinen Schatz in Sicherheit bringen.
Ferri und Conrad knüpfen mit ihrem nach „Asterix bei den Pikten“ zweiten Album spielerisch an die Erfolgsgeschichte von Goscinny und Uderzo an, mit denen sie groß wurden. Beide sind 1959 geboren – dem Geburtsjahr von Asterix und Obelix. Da sind der Karnutenwald aus „Die goldene Sichel“, der Aberglaube aus „Der Seher“, die druidische Verwirrung aus „Der Kampf der Häuptlinge“ und natürlich die Schlägereien mit den Römern. Selbst die Piraten haben einen kurzen Auftritt.
Vor allem aber knüpfen sie an Goscinnys hintersinnigen Witz an, der seit dessen Tod 1977 abhandengekommen war. Denn so genial Uderzo mit dem Pinsel umging, so heillos überfordert war er seit je als Autor. Mit der absurden Visite von Außer-irdischen in „Gallien in Gefahr“ und dem tranigen Selbstbeweihräucherungsalbum „Asterix und Obelix feiern Geburtstag“ zum 50. Jubiläum anno 2009 hatte er die Gallier ihrem unrühmlichen Tiefpunkt zugeführt.
Journalismus und die staatliche Gewalt
Der Neuanfang mit Ferri und Conrad kam 2012 wohl nicht zuletzt auch auf Drängen von Verlag und Aktionären zustande, die sich um ihre Anlage sorgten. Denn Uderzo „hatte immer Zweifel, dass man die Serie überhaupt in andere Hände geben kann“, erinnert sich Conrad. „Asterix bei den Pikten“ stand dann in der Tradition der frühen Reisegeschichten und wurde überwiegend positiv aufgenommen. Mehr als fünf Millionen verkaufte Alben sprechen für sich.
Von so vielen „Lesern“ kann Polemix nur träumen, zumal seine eigenen mehrheitlich Analphabeten sind – die Gallier pflegen die mündliche Überlieferung. Als er mit der brisanten Schriftrolle im berühmt-berüchtigten Küstendorf ankommt, schenken dessen Bewohner ihrem Horoskop aber mehr Beachtung als Cäsars Ergüssen. „Wir mussten uns etwas einfallen lassen, dass Asterix und Obelix sich für Cäsars Buch interessieren“, so Ferri. Sie seien dann schnell bei Fragen zur Kommunikation in der Antike und ganz allgemein beim Thema Journalismus als Gegengewicht zur staatlichen Gewalt gelandet. „Es geht letztendlich darum, wie Informationen fließen und kontrolliert werden“, ergänzt Conrad.
Die Informationen fließen bei den Römern in Kurznachrichtenform und werden mit der Brieftaube ausgeliefert. Das klingt antiquiert, ist aber hier in der Antike naturgemäß der letzte Schrei. Wie so oft bei Innovationen fehlt es aber an Verlässlichkeit, weshalb hier Nachrichten im Nebel versanden, Anhänge vergessen werden oder „die Verbindung“ ganz unterbrochen ist. Anders die gallischen Druiden, die als Bewahrer der Traditionen auf die Rohrpost zurückgreifen und das wortwörtliche Whistleblowing meisterlich beherrschen.
Ins Dorf kommt Moderne
Der neue „Asterix“ ist aber nicht zeitgemäßer, weil Autor und Zeichner die modernen Medien aufgreifen, sondern weil sie beharrlich an den Beziehungen der Comic-Helden arbeiten. Bereits in „Asterix bei den Pikten“ hatten sie dem unverständlichen Gebrabbel des numidischen Piraten ein Ende gemacht. Mit den Reisegeschichten könne man die Serie aber nicht so richtig modernisieren, weil sie immer auf das Parodieren der Stereotype anderer Völker hinausliefen. „Besser sind Geschichten, die im Dorf spielen, weil man da die Beziehungen im Dorf verändern kann“, betont Ferri. „Hier wollen wir auch ansetzen, um Asterix etwas moderner zu machen.“
Mit dem „gallischen Horoskop“ setzen sie den Dorfbewohnern einige herausfordernde Flöhe ins Ohr. So empfiehlt der Druide Apollosix der Häuptlingsgattin Gutemine, sie solle endlich den Chef wecken, der in ihr schlummere, was Majestix einige Kopfschmerzen bereitet. Obelix bekommt den Ratschlag, Konflikte zu meiden und weniger Wildschwein zu essen. Eine geradezu unlösbare Aufgabe, die den dicksten – „Dick? Wer ist hier dick?“ – pardon, gewichtigsten Gallier in eine veritable „Midleifkreisix“ stürzt. Wie Asterix ihm mit freudscher Analyse und Gallierschläue aus dieser hinaushilft, ist einfach nur genial.
Der rüstige Methusalix wiederum muss einsehen, dass die vorausgesagte „Zeit für neue Eroberungen“ für Männer in seinem Alter nichts mehr ist. Feminismus, Schlankheitswahn, Hirnyoga und Altern trotz Zaubertrank: Das klingt nach zu viel, ist es aber nicht. Diese gallische Gesellschaft ist ein ernst zu nehmender Spiegel unserer Zeit und bleibt dennoch auf ansteckende Weise kindlich naiv. Gerade deshalb hat uns auch dieses „Asterix“-Abenteuer wieder etwas zu sagen.
Im Grunde sind wir Botschafter eines Kulturerbes
Jede Neuerung ist freilich auch ein Tanz auf Messers Schneide, „Asterix“-Fans sind detailversessen und penibel. Vor allem in Frankreich, wo niemand zwischen 6 und 60 Jahren ohne die Serie aufgewachsen ist. Als im letzten Album der Satz „Die spinnen, die Römer!“ fehlte und Idefix nicht mit auf Reisen ging, hagelte es Beschwerdemails. Et voilà, beide sind wieder da. „Im Grunde sind wir Botschafter eines Kulturerbes“, meint Ferri nachdenklich und findet damit die diplomatisch korrekte Formel für den goldenen Käfig, in dem die neuen „Asterix“-Macher wohlwollend mit der Hinterlassenschaft ihrer Vorgänger ringen.
Conrad habe akzeptiert, dass er nicht das Recht habe, „großartig etwas zu ändern“. Er verschiebe nur Nuancen. Aber selbst das sei nicht so einfach, denn „Uderzo ist bis ins kleinste Detail enorm vielfältig und genau“. Ferri seinerseits suche nach dem Geheimnis seines Vorgängers, der „in Frankreich einen nahezu göttlichen Status“ genieße und im Grunde „nicht zu imitieren“ sei. Er habe sich „die große Klarheit des Textes und die Genauigkeit, mit der Goscinny seine Figuren bis ins kleinste Detail charakterisiert“, abgeschaut. Diese Klarheit bis ins Detail findet man im neuen Album in Text und Bild wieder.
Das Erbe setzt aber auch thematisch Grenzen. „Die Herausforderung von ‚Asterix‘ ist, in der Gegenwart etwas zu finden, das man durch das Prisma des Antiken, der Geschichte also, erzählen kann“, macht Conrad deutlich. „Egal was wir betrachten, wir tragen dabei immer eine ‚Asterix‘-Brille“, schiebt Ferri einen Satz wie in Hinkelstein gemeißelt nach.
Diese Brille scheint formidabel zu sitzen. Ferri und Conrad ist es mit „Der Papyrus des Cäsar“ gelungen, die nicht immer leichte Tradition des Kulturerbes zu wahren und zugleich eine sehr heutige Geschichte zu erzählen. Nach jahrzehntelanger Flaute hält man endlich wieder ein federleichtes gallisches Lehrstück über die Verhältnisse unserer Zeit in den Händen. Asterix lebt, beim Teutates!
(Thomas Hummitzsch, ROLLING STONE 12/2015)