Wie uns der Abschied von Johnny Cash und Warren Zevon das deutsche Elend noch augenfälliger macht

Schon Wochen, bevor der an sich unsterbliche Johnny Cash dieses Jammertal verließ, meldete sich in „Bild“ immer wieder „Countrystar“ (Mark Pittelkau) Gunter Gabriel vom Krankenbett in Tennessee: Dem „Freund“ Cash gehe es sehr schlecht. Freilich, denn gegen Gabriels Heimsuchung konnte er sich nicht mehr wehren. „Ich sah Johnny und wusste, dass ich dem Tod ins Auge schaute. Er war vergreist, sein Körper geschrumpft. Seine Arme und Beine waren spindeldürr und mit Beulen übersät, seine Haut wie verbrannt.“ Es ist ja nicht die fehlende Pietät, die einen kotzen lässt. Auch der Tod muss beschrieben werden, schlimmstenfalls von Gunter Gabriel. Aber die Chuzpe, mit der dieser stets würdelose Fernfahrer-Darsteller sich jahrelang an Cash herangeschmissen hat, ist von überwältigender Scheußlichkeit. „Fünf Tage“, berichtet „Bild“, nahm Gabriel im Studio von Johnny Cash mit dessen Musikern Cash-Songs auf – „in deutsch“. Welche Cash-Musiker mögen es gewesen sein? Und welche Cash-Songs? „Delia ist gegangen“, „Großer Fluss“, „Ein Junge namens Sue“, „Schick ein Foto von Mutter“, „Die Legende von Joe Henrys Hammer“, „Heh Boss, ich brauch mehr Geld“ – you name it. Der selbsternannte Schutzpatron der Brummifahrer Deutschlands als buddy des mystischen Mannes in Schwarz, der laut „Bild“ „als Arbeiter auf Baumwollfeldern“ begonnen – aber später immerhin „150 Hits“ hatte.

Bei der neuerdings fieberhaften Fahndung nach den „erfolgreichsten Alben“ (Oliver Geißen bei RTL) und dem „Jahrhundert-Hit“ (Axel Bulthaupt in der ARD) hatte Cash leider keine Chance. Geißen ließ die Intellektuellenzeitschrift „Musikmarkt“ alle zehn ersten Plätze seit 1968 zusammenrechnen und präsentierte dann – Tusch! – überraschend das so genannte Rote Album der Beatles i als Sieger, naturgemäß eine Sammlung von Gassenhauern. Das so genannte Weiße Album: weit dahinter.

Alle paar Minuten belegte James Last mit irgendeinem Potpourri „Nonstop Dancing“ (sie!) irgendeinen Platz, die vorlaute Ulla Kock am Brink und der selbstgefällige Thomas Stein vermissten Cat Stevens und Fleetwood Mac und quatschten schlecht erinnertes Zeug aus den 70er Jahren, die notgedrungen auch hier das Fundament des erschütternden Treibens bildeten. Köstlich aber doch die Vorstellung, wie Olli „der Kollege“ Geißen damals mit „The Joshua Tree“ von U2 einen Segeltörn unternahm – welche Platte könnte maritimer, wetterfester, hamburgischer sein? Am Ende bedankte sich der alte Busenfreund und Kitschkopf Chris de Burgh beim deutschen Publikum (dem einzigen, das er hat) für seinen wahrhaft unfassbaren Erfolg. Und war er damals nicht auch bei Onkel Steins Plattenfirma unter Vertrag? Die verschnodderte Waschmittelreklame Nena lobte wie immer sich selbst für den ranzigen Nostalgie-Auflauf „Nena Featuring Nena“, der die Tautologie schon im Titel trägt. Die unsympathische Hagenerin glaubt an übersinnliches und ganz doll an sich selbst.

Noch eingebildeter ist nur der verlogene Pur-Vorsteher Hartmut Engler, der im Frühstücksfernsehen von einem entfesselten Groupie angehimmelt wurde. Engler, früher ein Proll mit Vokuhila und Abitur, gibt jetzt den erleuchteten Ölgötzen von Bietigheim-Bissingen, dem – Achtung! – „eine Zeitung mit vier Buchstaben“ sehr weh getan hat, als er seine komplette Familie verließ. Natürlich sind er und seine Alte heute längst wieder die besten Freunde, und überhaupt gibt es nichts Schöneres als „Kinderkriegen“ – außer, aber „das kann nicht jeder haben: der Applaus von 60 000 Menschen im Stadion“. Die zum Glück auch seine schlecht gereimten Biedermeier-Aphorismen auswendig können, wenn der Hartmut im Text mal nicht weiter weiß. Selbstzufrieden wie sonst nur Helmut Kohl sonnt sich Engler, grienend und Arme verschränkend, in den stupidesten Allgemeinplätzen. Bei der ZDF-Gaga-Wahl „Unsere Besten“ lässt er Grönemeyer ostentativ den Vortritt, als könnte er ihm beikommen.

Ich weiß einfach nicht, weshalb das in Deutschland alles so grauenhaft ist. Johnny Cash saß auf seine letzten Tage bei der bestimmt nicht subtilen CNN-Plaudertasche Larry King. Die banalen Fragen waren vollkommen gleichgültig. Noch mit seiner letzten Kraft stand Cash dafür ein, dass es unerschütterliche Autorität und Wahrhaftigkeit auch in den Medien gibt. Oder, mit den Worten von Warren Zevon, der bei David Letterman unerschrocken wie je über seinen Tod scherzte: „Enjoy every sandwich.“ Und wenn es im Hals stecken bleibt.

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