Wie Elektronikelfen den Pop retten
Das zurückliegende musikalische Jahr ist nicht zuletzt ein Jahr des Gesangs gewesen; die aufregendste Popmusik 2012 beschäftigte sich immer auch mit den Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Stimme und ihrer technischen Manipulation, Veränderung, Verbesserung, Zersetzung, Zerstörung und Rekonstruktion. Am auffälligsten war dies bei jungen Produzenten und Sängerinnen wie Julia Holter und Grimes, Laurel Halo und Nite Jewel, Holly Herndon und Channy Leaneagh von der fabelhaften Gruppe Poliça. Sie alle machten mit Hilfe von Autotune und anderen elektronischen Produktionsmitteln ihre Stimme zum Instrument, verdoppelten und verspiegelten sie und sangen mit sich selber im Chor, verflochten ihren Gesang mit den klanglichen und rhythmischen Texturen ihrer Musik und traten sich also als Sängerinnen unentwegt selber entgegen.
Was für eine Wohltat gegenüber dem ewig gleichen Wahrhaftigkeitstimbre der Folkmusikelfen und Retrosouldiven, die in den vergangenen Jahren kohortengleich an uns vorbei defilierten, von Amy Winehouse über Amy MacDonald bis neuerdings zu Lianne La Havas. Wo diese das nostalgische Faible für „handgemachte“ Musik mit künstlerischer Authentizität verwechseln, sucht die „New Wave of Voice Processing Girls“ gerade in der Aneignung neuester Produktionsmittel nach persönlicher und ästhetischer Selbstbestimmung. Allzu lange, sagt Holly Herndon, haben Sängerinnen den Sound und die vermeintliche Natürlichkeit ihrer Stimme von männlichen Produzenten herstellen lassen – es sei höchste Zeit, dass sie selbst die Verfügungsgewalt über die Gestaltung ihres Gesangs gewinnen.
So gab es in diesem Jahr zwar auch vereinzelt interessant manipulierte Männerstimmen zu hören wie etwa von Rudi Zygadlo. Doch die meisten und bedeutendsten Werke hierzu stammten fraglos von Frauen, sei es im Feld der elektroakustischen Avantgarde (Laurel Halo), sei es in den radio- und mainstreamtauglich gewordenen Spielarten neuerer Clubmusik (Jessie Ware). Mögen Nostalgie und Melancholie aufseiten von Männern wie, sagen wir mal, Michael Kiwanuka gewesen sein – die Zukunft des Pop lag 2012 bei den Technikerinnen des eigenen Gesangs: bei den stolzen Ingenieurinnen des Selbst.