Wie die Songschreiberin Jewel den Sex und die Dance-Musik entdeckte, sich bei der Plattenfirma durchsetzte und merkte, dass ihr Kumpel Flea ganz andere Fans anzieht
Endlich sexy! Jewel fühlt sich wohl. Sie trägt ein winziges Kleidchen, das ihre Brüste gerade bedeckt, hochhackige Schuhe und ein schelmisches Grinsen. Soll das die Frau sein, die einst „I’m Sensitive“ und „You Were Meant For Me“ sang? Die in Alaska aufgewachsen war, immer so niedlich naiv schien und auf der Bühne schon mal jodelte? Sie ist es. Und doch nicht. Jewel ist inzwischen 28, mit einem Rodeo-Reiter liiert und das Schüchterne-Mädchen-Image leid. „Für mich gehörte Sexualität immer zur Musik, und auf der Bühne war das auch zu sehen. Aber Fotos und diesen Kram, das fand ich früher ein bisschen peinlich. Auch bei den Texten war ich mir nicht sicher, ob ich das rüberbringen kann. Jetzt versuche ich es einfach. Ich liebe Anais Nin und Bukowski – eher raue Erotik.“
Aber das Dekollete oder die Texte sind nicht der Grund, warum ihr neues Album, „0304“, so eine harte Nuss ist für Menschen, die „die alte“ Jewel mochten. Sie hat Elektronik und Dance-Beats entdeckt, versucht ein bisschen HipHop und kann doch ihre Folk-Wurzeln nicht verbergen. Es ist ein seltsames, undefinierbares Werk, das nur von ihrer Stimme zusammengehalten wird. Das erste Meeting mit der Plattenfirma war sicher ein Spaß, lewel winkt ab: „Ich wusste, dass es dem Label lieber gewesen wäre, wenn ich weitergemacht hätte wie bisher. Aber ich habe Dance und HipHop immergeliebt und wollte mal raus aus dem Üblichen.“
Dann lernte sie den Produzenten Lester Mendez kennen, der „Springsteen und Santana genauso versteht wie The Cure oder Dance“. Sie schrieben und arrangierten am Ende alle Songs zusammen -Jewel kennt da keine Eitelkeiten: ,Jch komponiere gern mit anderen. Manche glauben ja, das nimmt ihnen etwas weg. Aber ich brauche die Bestätigung, dass ich das allein kann, nicht mehr. Ich hatte Hits. Ich bin selbstbewusst genug, um von anderen zu lernen.“ Mendez nahm ihr auch die Angst vor Computern, die ihr früher „seelenlos“ vorkamen. „Irgendwann habe ich festgestellt, dass es Quatsch wäre, keine elektronische Musik zu benutzen – als würde ein Maler sagen, er nimmt nur Gelb und Rot. Warum soll man sich einschränken?“
Wie sie es wieder einmal geschafft hat, in diesem Geschäft ihren eigenen Kopf durchzusetzen? Ganz einfach: „Es war nie mein Ziel, berühmt zu sein. Als ich anfing, lebte ich in meinem Auto. Plattenfirmen sprachen mich an, und ich hatte Angst vor dem Ruhm. Aber ich liebe Musik, wollte immer bloß eine Künstlerin sein. Jeden Tag muss man 20 Entscheidungen treffen, und wenn die nur darauf basieren, dass man Erfolg sucht – dann fängt man als Singer/Songwriter an und endet als cheeseball.“
Ein kleines Notizbuch begleitet Jewel auf Schritt und Tritt – und jeden Tag schreibt sie irgendetwas auf, ein Gedicht, ein Songtext-Fragment, eine Beobachtung. „Ich glaube nicht an Schreibblockaden. Man darf sich nicht so anstellen. Manchmal fällt einem vielleicht nichts Geniales ein, aber das ist doch egal. Man muss es laufen lassen.“ Den neuen Song „Yes You Can“ hatte sie ursprünglich für Carlos Santana geschrieben, aber der lehnte dankend ab: „Ich dachte, er ist doch ein Latino, also schreibe ich diesen sexy Song. War ihm aber zu anzüglich. Vielleicht hätte er sich vor seinen Kindern geschämt“ Jewel schämt sich nicht mehr, sie lässt jetzt auch mal unanständigere Gedanken raus. ‚Verspricht sie zumindest für ihren Liebesgedichtband, der Ende des Jahres erscheinen soll. „Ich zensiere mich selbst nicht Ich habe immer gern Gedichte von Menschen gelesen, die ehrlich von der Liebe sprachen. Ohne Glamour, ohne Pathos. Voller Rohheit ebenso wie Schönheit.“ Da sie viel Zeit in Los Angeles verbringt, hat Jewel aber doch jede Menge Kontakt zu Glanz und Glitter. Sie findet das Star-Dasein eher ulkig. „Ich habe Freunde, die Rockstars sind und immer angehimmelt werden. Meine Fans halten sich eher zurück und sind sehr höflich. Die Chili Peppers würden das hassen. Flea liebt es, wenn er Titten signieren darf.“