Das New Yorker Label Matador macht seinen Frieden mit der Plattenindustrie
Wie das New Yorker Label Matador, von Musik-Liebhabern gegründet, seinen Frieden mit der mächtigen Plattenindustrie macht - und eine Menge Geld dazu
Im Matador Office am Broadway herrscht mächtiges Gedränge. Sind wir hier in einer Bar oder einem Büro? Georgia Hubley von Yo La Tengo schaut vorbei, um zu checken, ob mit den Vorbereitungen zu den CD-Wiederveröffentlichungen ihrer Band alles in Ordnung geht. Beastie Boy Adam Yauch fragt nach den neuen Matador-Releases, überbringt im Gegenzug die des eigenen Labels Grand Royal. Und Matt Sweeney, der umtriebige Chef von Chavez, berichtet jedem, wann es gestern nacht in welchem Hangout am besten war. So was interessiert die Leute hier, denn vor elferscheint niemand am Arbeitsplatz. Einen ruhigen Ort sucht man in dem New Yorker Großbüro vergeblich. Irgendwo am Rande des Gewusels, zwischen flimmernden Video-Schirmen und auf Lautsprecher gestellten Telefonen, haben Gerard Cosloy und Chris Lombardi ihre kleinen Koben. Einen Konferenztisch besaßen die Matador-Bosse auch schon mal, aber der ist jetzt unter Demo-Tapes begraben. Auf Symbole der Macht können die beiden Herren getrost verzichten, weil ihre Macht jedem im Business bewußt ist. Seit ein paar Tagen wissen sie, mit welcher Major Company sie in Zukunft kooperieren wollen, heute geben sie ihre Entscheidung offiziell bekannt. „Es ist Capitol“, sagt Lombardi nonchalant. Natürlich weiß er, daß in den Pop-Schaltstellen zwischen Los Angeles und New York heftig über diesen Entschluß debattiert wird. Genauso wie über die Dollars gerätselt wird, die zwischen den Firmen fließen. Gewagte Spekulationen liegen bei 20 Millionen. Doch über Geld sprechen Cosloy und Lombardi nicht. Die beiden sind die Pop-Stars des Indie-Betriebs, und ihnen wird ebenso viel mediale Aufmerksamkeit zuteil wie den meisten ihrer Bands. Sie ergänzen sich perfekt Lombardi, 30, ist ein Zwei-Meter-Mensch, der jede Situation mit einem smarten Errol-Flynn-Lächeln meistert; Cosloy, 31, hingegen sieht aus wie Buddy Holly, spickt seine Monologe mit Sottisen, und was hinter dicken Brillengläsern vorgeht, läßt sich nur ahnen. Obwohl Chris Lombardi die Firma 1989 mit geborgtem Geld im Alleingang gegründet hat, um ein Album der Art-Punks HP Zinker herauszubringen, wird immer wieder Kompagnon Cosloy von der Presse ins Rampenlicht gerückt Die Gazette „New York“ war sich nicht zu schade, Informationen über ihn sogar bei seiner Ex-Freundin und Danny Goldberg, bis vor kurzem Chef bei Atlantic, einzuholen. Cosloy gehört seit zehn Jahren zu den prägenden Gestalten des US-Underground. Berühmt wurde er als Talentscout von Homestead Records, für die er Sonic Youth und Dinosaur Jr. unter Vertrag nahm, berüchtigt war er wegen seiner Pamphlete gegen die Industrie. Heute hat er seine Sicht modifiziert. Cosloy wettert gegen den alten Arbeitgeber Homestead: „Die lieben die Musik nicht Früher haben sie weniger Schaden angerichtet als Gutes getan, aber heute ist es andersherum.“ Und er lobt mild die Majors: „Sie haben Möglichkeiten, die wir nicht besitzen. Zum Beispiel können sie Künstler auf die Cover wichtiger Magazine bringen oder in Fernsehshows wie ,Saturday Night Life‘. Außerdem ist es mit dem unabhängigen Vertrieb in den USA nicht zum besten bestellt, ab einer bestimmten Stückzahl versagt er.“ 1993 stieß Matador erstmals an die Grenzen der Indie-Infrastruktue Aus Angst, aufsteigenden Bands wie Pavement nicht mehr die nötige Unterstützung zukommen lassen zu können, ging Matador einen Kooperationsvertrag mit Atlantic ein, wo damals Danny Goldberg auf dem Chefsessel saß. Die Zusammenarbeit zahlte sich vor allem für die frisch gesignte Liz Phair aus, bis jetzt der Bestseller von Matador. Doch nach zwei Jahren war die Zusammenarbeit beendet. „Die Leute, die für das Zustandekommen des Deals verantwortlich waren, hatten die Firma verlassen“, erklärt Cosloy. „Die anderen interessierten sich einen Dreck für uns.“ Noch immer ist der einstige Indie-Ideologe darauf bedacht, in „die“ und „wir“ zu unterteilen. Er setzt sich zwecks Verhandlungen mit den Mächtigen der Konzerne an einen Tisch und genießt es dabei, sie seine Verachtung spüren zu lassen. Aber er gesteht auch Fehler ein: „Wir haben Atlantic gezwungen, Platten rauszubringen, mit denen sie nichts anfangen konnten. Das war nicht sehr klug.“ In Zukunft soll nur im Einverständnis mit allen beteiligten Parteien gehandelt werden. Die Bands, die in Frage kommen, werden vorher gefragt, ob sie über Capitol veröffentlichen wollen; Capitol muß wirklich hinter den zu vermarktenden Produkten stehen, und das letzte Wbrt haben natürlich Cosloy und Lombardi. „Ich schätze, wir werden jährlich vier bis fünf Platten mit Capitol machen.“ Es gibt einen Grund, weshalb immer mehr Majors versuchen, kleine Labels an sich zu binden: die Angst, das nächste große Ding zu verschlafen. Eine irrationale Angst, die sich oft genug in ebenso irrationalen far-Schüssen niederschlägt Übergreifende Trends wie „Grunge“ wird es nichtmehr geben, und Etiketten vom Schlage ,,Lo-Fi“, eigentlich ein sinniger Terminus, erwiesen sich jüngst als unbrauchbar, um ein für den industriellen Apparat handhabbares Marktsegment kenntlich zu machen. Der Goldrausch im Indie-Rock ist vorbei – in vielen kleinen Minen aber wird noch immer allerlei Strahlendes zutage gefördert. Matador kann mit dieser Aufspütterung umgehen. Weil seine Macher den Untergrund seit einem Jahrzent genau im Auge haben und weil sie auf verschiedenen Ebenen des Marketings agieren. So wird jedem Impuls die richtige Ausrichtung gegeben. Bands mit Pop-Appeal kommen bei Capitol raus – neben Liz Phair wären hier die Easy-Listening-Stars Pizzicato Five gut aufgehoben. Es bleibt zu hoffen, daß EMI, die Capitol in Deutschland vertritt, klug genug ist, nicht alles aus Amerika zu übernehmen. Denn Guided By Vbices etwa, die dort Stars sind, bleiben hier ein Spezialisten-Thema. Falsche Vermarktung wäre fatal. Auch weiterhin wird der Bärenanteil der Matador-Titel unabhängig vertrieben, hierzulande über Rough Trade. Die Free-Rocker Silkworm oder die Folk-Core-Formation Mecca Normal, die stellvertretend als sperrige Acts genannt seien, erhalten so optimale Unterstützung. Was heißt: soviel Vermarktung, wie sie aushalten, aber auch nicht mehr. Selbst der Gitarrist Jon Spencer, besonderer Marketing-Feind, und seine Blues Explosion haben bei Matador eine Heimstatt gefunden – und bringen gar das Blues-Urgestein R. L. Burnside mit. Und schließlich nimmt sich Matador, der Riese unter den Indies, auch abseitiger Mini-Labels an. Teenbeat etwa, erste Adresse für Gitarrenpop, wird ebenso betreut wie Siltbreeze, auf dem so wunderbarer Krach wie der von The Dead C. erscheint Sind Chris Lombardi und Gerard Cosloy inzwischen die Verwaltungsbeamten des Indie-Rock, die Neueingänge nur noch ins richtige Fach ablegen müssen? Keineswegs. Wer mit den beiden das neue Video einer ihrer Bands anguckt oder von ihnen eine CD des Hauses überreicht bekommt, entdeckt in ihren Augen – auch in den panzerglasgeschützten von Cosloy – ein Leuchten. Das Leuchten, das den Fan verrät J3