Wie Brian Wilson den Gipfel seines Schaffens erreichte
Die Beach Boys feiern mit Tour und Album ihr 50. Jubiläum - Anfang August sind sie in Deutschland. Ein guter Anlass für uns, die großen Fragen zu klären, was verschiedene Autoren in unserer aktuellen Ausgabe getan haben. Wir werden die zehn Texte bis zu ihrem Tourstopp bei uns auch auf rollingstone.de veröffentlichen.
Nur gut, dass Brian Wilsons Paranoia Anfang ’66 noch nicht medikamentös gedämpft wurde. Noch konnte er sich aufraffen und Ambitionen hegen, auch wenn diese flüchtig schienen oder einem unbegreiflichen, an Selbstverachtung grenzenden Minderwertigkeitskomplex entsprangen. Wie dieser drollige Ehrgeiz, mit den Beatles um die Krone der Kreativität zu konkurrieren. Als müsste sich „Pet Sounds“ hinter „Revolver“ verstecken, und „Good Vibrations“ sich nicht bücken, um „Paperback Writer“ auf Augenhöhe zu begegnen.
Nur gut, dass Brian nicht wusste, dass er dieses selbstgesteckte Soll bereits übererfüllt hatte. Und so schulterte der Komponist sein Gershwin-Gepäck und suchte sich im Sandkasten seines Wohnzimmers wie besessen an chromatischen Leitern emporzuhangeln, in Halbtonschritten dem Gipfel seines Schaffens entgegen. Van Dyke Parks stiftete dazu verrätselte Lyrik, die Brian befremdete und beflügelte, doch der Aufstieg zog sich in monatelangen Etappen hin, zahlreiche Sessions versandeten buchstäblich. „Heroes And Villains“ drohte, unvollendet zu bleiben wie das Album, als dessen Schlüssel-Track es ausersehen war.
Nur gut, dass Brian am Scheitern von „Smile“ nicht gleich zerbrach, sondern letzte Reserven zu mobilisieren vermochte, um „Heroes And Villains“ nicht bloß zu retten, sondern endlich in eine schlüssige Dramaturgie einzubinden. Ein geniales Arrangement schuf aus dem Nebeneinander fragmentarischer, liederlich verfugter Songfetzen ein unerhört komplexes und doch mitreißendes Miniaturepos, das als Single erst im Sommer ’67 für einiges Aufsehen, nicht jedoch für die erhofften Millionenumsätze sorgte. „The last dynamic Brian moment“, so ordnete Mike Love den künstlerischen Triumph ein, nicht ohne im nächsten Moment den aus seiner Sicht wahren Schuldigen am kommerziellen Desaster an den Pranger zu stellen: Van Dyke Parks.
Nur gut, dass Brians intellektuelle Kapazitäten damals schon im halluzinogenen Koma lagen. Sie reichten ihm gerade noch, sich als Verlierer zu fühlen, weil der Beatles-Sommerhit „All You Need Is Love“ im Charts-Wettlauf locker obsiegt hatte. Sie reichten auch, um „Smile“ als gescheitertes Experiment abzuhaken. Um zu einem Disput über die Meriten des Songtextes anzutreten, hätte Brian Wilson ihn zunächst verstehen müssen, doch was er zu verstehen glaubte, war nur die letzte, seine fatalistische Weltsicht bestätigende Zeile: „Just see what you’ve done.“
Nur gut, dass die Ambiguität der Parks’schen Poesie bleibt. Wer will, mag sie analysieren, dechiffrieren, enträtseln. Erfüllender ist es, darin abzutauchen, über beide Ohren, den Plattenteller auf 45rpm, den Volume-Regler auf Anschlag: „I’m fit with the stuff to ride in the rough and sunny down snuff I’m alright.“ Yeah.
The Beach Boys live: „Celebration – The Beach Boys‘ 50“
03.08. Berlin, o2 World
04.08. Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle
05.08. Mönchengladbach, HockeyPark
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In unserer aktuellen Ausgabe können Sie bereits alle zehn Texte inklusive eines aktuellen Interviews mit Mike Love lesen.
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