Wie, bitte, geht das in Hollywood?
Der DEUTSCHE FILM verliert wieder sein Publikum - und probt jetzt das genreübergreifende Unterhaltungskino nach US-Vorbild
Weihnachten wird ein Donnerstag sein. Dann gibt Detlev Bück mit „Liebe Deine Nächste!“ die Botschaft zum Fest aus – und ein Bekenntnis des deutschen Films. Denn heimische Produktionen sind immer teurer geworden, aber die Einspielergebnisse sind gegenüber 1997 merklich gesunken. Die fetten Jahre scheinen vorbei. Alle Beziehungspannen sind verinnerlicht, alle Comics und Hera-Lind-Kolportagen verfilmt, alle Kalauer verramscht Zur Ehrenrettung aber kann man dem deutschen Film, des deutschen Kinokritikers liebster Prügelknabe, auch zugestehen, daß er sich derzeit im Umbruch befindet Nach der erfolgreichen Pflicht sollte die große Kür folgen.
Abo werden sich Regisseure, Produzenten und Fördergremien mit eitler Beschwichtigung auf die Schultern klopfen: Haben wir nicht tolle Filme gedreht! Anspruchsvolle! Gewagte! Und immer andere! Der Stuntman Hardy Martin prahlte, „Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“ sei der „erste deutsche Actionfilm“. Der erhebliche Blechschaden hat nur Heiner Lauterbach nicht geschadet. In der ersten Regiereihe phantasierten derweil alle vom großen Unterhaltungsfilm, der rühre und amüsiere, der authentisch sei und doch kunstvoll. Die UFA-Legende dräute. Mit Joseph Vilsmairs „Comedian Harmonists“ ging der Traum noch auf. Bei „Der Campus“, einer muffigen Satire (ebenso mit Lauterbach) über Political-Correctness-Hysterie, blieben die Säle allzu leer für ein Regiekaliber wie Sönke Wortmann, der das Millionenpublikum des neuen deutschen Films miterarbeitet hat. Und zur aufrüttelnden Kunst langte es auch nicht Wortmann wollte zuviel, Doris Dorne noch mehr. Drei Stunden, ein Dutzend Stars, alle Schicksalsfragen dieser Welt. „Bin ich schön?“ hat manche schöne Szene (und platte Moral), aber keine Magie, die alles zusammenhält Branchenintem wurde der offensichtliche „Short Cuts“-Versuch weit über die Millionengrenze gejubelt Nun jubeln Werbeslogans verzweifelt „Doris Dörrie begeistert Deutschland“ – und die Prognose wird umgedeutet: So ein Film sei halt nichts für die Masse.
Thomas Jahn wurde mit seinem tragikomischen Zitatenkrimi „Knockin‘ On Heaven’s Door“ das Regiewunderkind des vergangenen Jahres. Die Zitate in „Kai Rabe gegen die Vatikankiller“ (ab 26.11.) sind nun kaum noch zu fassen: Accessoires der 50er Jahre stehen in Kulissen der 60er, Moden aus den 70ern beißen sich mit der mondänen Aura von Hollywood-Streifen der 40er und so weiter und so fort In seinem erst zweiten Film hat Jahn die gesamte Filmgeschichte gezwängt, Edgar Wallacejerry Cotton, Philip Marlowe, „Platoon“, Altmans „The Player“ – und das alles mutet so tautologisch an wie jene Szene, in der Kalkofe als TalkmasterArschloch seine Parodien parodiert Heinz Honig gibt ab fieser Produzent den Gert Fröbe, „Tatort“-Kommissar Klaus J. Behrendt ist, klar, ein Kommissar, der mit Sandra Speichert ab Diva in einer Disco namens „True Romance“ tanzt wie John Travolta und Uma Thurman in „Pulp Fiction“. Am Rande dieser Geschmacksverwirrung geht es um Mord, Liebe und die Neurosen eines versoffenen Filmstars (Steffen Wink). Aber der redundante Hybrid ist lediglich Jahns Altar, auf dem er wohlfeil die verlogene Filmindustrie vorführen und den Idealismus der Autoren verteidigen will. Nur daß Jahn, der auch das Script verfaßte, ja keinen Grund zum Zorn hat Und daher knirschen bei jedem feixenden Einfall die Fugen seiner holzschnittartigen, blutleeren Collagen-Welt Ein Torso. Dagegen ist „Solo für Klarinette“ geradezu existenzialistisch und übervoll mit der Physis Götz Georges. Er bemüht seit langem schon seinen Wandel (und hat trotzdem Schimi aus der Requisite geholt), ist im Kino aber Kassengift. Gerade bepöbelte er das Publikum, und Dieter Wedel beklagte die immer höheren Gagenforderungen der Schauspieler. Nur: Wer, kauft eine Kinokarte, wenn selbige Darsteller ständig im TV antreten, um ihr Salär zu verdienen. So entstehen keine mythischen Stars. Und Bück, das immer etwas andere, bohemienhafte, bauernschlaue Talent? Der hat zuletzt Werbespots gedreht und dort den Kameramann Joachim Berc kennegelernt Das Ergebnis ist erst mal von bestechender Optik. „Liebe Deine Nächste!“ erzählt von der Soldatin Gottes Josefine (Lea Mornar), die Stadtstreicher mit „Suppe, Seife, Seelenheil“ betreut und dem zynischen Firmensanierer Tristan (Moritz Bleibtreu) begegnet. Bei ihr hat Bück an Lubitsch‘ JNinotschka“, bei ihm an „Des Teufels General“ gedacht, und alles sollte „milieugetreu und gefühbecht“ sein wie etwa in „Der einzige Zeuge“. Die Mechanik des Märchens ist überdeutlich erkennbar, aber Bück wollte Satire, Sittengemälde und Lovestory vereinen, und dabei stolpern sein Engel und Luzifer über Penner-Plattheiten, Moralismen und unpassende Erotik-Ästhetik.
Kopfgeburten, falsche Fuffziger und Stilübungen.