Wie aus der Zeit gefallen
Mit ihrem Album „Helplessness Blues“ schaffen die Fleet Foxes die perfekte Symbiose aus Beach-Boys-Pop und englischer Folkmusik.
Die Umgebung könnte nicht unpassender sein: London an einem frühlingshaften Wintertag. Robin Pecknold, Sänger, Songschreiber und Gitarrist der Band Fleet Foxes, sitzt in einem geräumigen Konferenzraum im Kellergeschoss eines Hotels, als wollte er sich vor dem Großstadtgetöse verstecken. „Im Vergleich zu London ist Seattle winzig. Dafür liegt es in einer viel schöneren Umgebung“, sagt er über seine Heimat und schaut dabei ziemlich zerknirscht unter seiner Wollmütze hervor. Zwei Tage hat sich die britische Pop-Presse bereits an Pecknold abgearbeitet, ihn über das mit Spannung erwartete zweite Fleet-Foxes-Album „Helplessness Blues“ ausgequetscht. Das gehöre schließlich zum Geschäft, bemerkt er mit einem resignierten Schulterzucken. Die anderen Bandmitglieder seien indes froh darüber, dass die Promotion weitgehend ohne sie abgewickelt würde. Pecknold gibt sich auch am dritten Interviewtag die größte Mühe, formuliert mit Bedacht und macht häufig lange Pausen, um seinen Gedanken auf den Grund zu gehen. Dann glaubt man fast, jene magische Stille zu hören, die auch in der Musik der Fleet Foxes eine wichtige Rolle spielt. Natur und Ruhe nennt Pecknold als Grundlagen seiner eklektischen Liedkunst. Bei solchen Weisheiten gerät schnell in Vergessenheit, dass Pecknold erst vor Kurzem seinen 25. Geburtstag feierte.
Sie ziehen die Inspiration für Ihre Musik aus der Natur. Wie fühlen Sie sich in einer Metropole wie London?
Es fühlt sich so an, als ob man hier festklebt und nicht mehr wegkommt. Alles ist riesig, überdimensional, und man ist mittendrin. In einer Band zu spielen, bedeutet automatisch, in gro-ßen Städten unterwegs zu sein. Daran muss man sich eben gewöhnen. Oft hängt man tagelang in Tonstudios ab – da hat man keine Zeit, um zusammen irgendwo ins Grüne zu fahren.
Seattle verbinden viele noch immer zuerst mit Grunge. War es für Sie schwer, aus diesem fast übermächtigen Schatten der 90er-Jahre hervorzutreten?
Für mich hat es den Anschein, dass Grunge mit Kurt Cobain Selbstmord begangen hat. Danach haben sich diese Bands nach und nach verabschiedet. Heute hört man kaum noch Grunge in den Clubs in Seattle. Für uns hat diese Musik nie eine große Rolle gespielt. Ich wuchs mit Dylan, Neil Young und Joni Mitchell auf.
Ihr Debütalbum war in künstlerischer wie kommerzieller Hinsicht erfolgreich. Was hat sich in Ihrem Leben seither verändert?
Natürlich viel. Unser Leben hat sich komplett geändert. Wäre unser Debüt nicht so erfolgreich gewesen, würden wir schließlich immer noch in Restaurants jobben. Stattdessen touren wir durch die ganze Welt und nehmen unser zweites Album mit großem Budget auf. Das alles ist ein großer Veränderungsprozess, obwohl der Erfolg auch Schattenseiten hat. Ich hätte manchmal gern mehr Zeit, um dem Leben nachzugehen, das ich vorher geführt habe.
Schlägt sich das in den neuen Songs nieder?
Ich kann da nur für mich sprechen: Mein Fokus lag diesmal darauf, meine Gedanken und Meinungen stärker in die Texte einfließen zu lassen. Auf dem letzten Album gibt es Songs, die für mich eine persönliche Bedeutung haben, zu denen ich jedoch keine Verbindung mehr herstellen kann, weil ich darin Worte verwende, die mir heute völlig fremd erscheinen. Manchmal spiele ich einen Song und frage mich: ‚Was zum Teufel singst du da?‘ Auf „Helplessness Blues“ habe ich versucht, Texte zu schreiben, die mir auch in zwei Jahren noch gefallen. Es ist mir wichtig, dass die Leute verstehen, worum es uns geht: um das Verhältnis zwischen Pop- und Folkmusik.
Klanglich unterschiedet sich das neue Album nur geringfügig vom Vorgänger. Besteht da nicht die Gefahr, dass man sich wiederholt?
Hätten wir ein Elektro-Album gemacht, wäre es wahrscheinlich einfacher, die Unterschiede hervorzuheben. Leider kenne ich mich mit elektronischer Musik überhaupt nicht aus. Die Herausforderungen, die wir eingehen, haben mit Songwriting und Ausdrucksform zu tun. Wir versuchen, ein kompositorisches Level zu erreichen. Bands, die ständig ihren Sound ändern, werden meistens von Menschen gehört, die um jeden Preis anders sein wollen. Denen geht es nicht um gute Songs.
Es gibt Bands wie My Morning Jacket, die einen ähnlichen musikalischen Ursprung haben, jedoch auch elektronische Klänge in ihre Musik integrieren. Ist das eine Option für kommende Alben?
Es ist ja nicht so, dass wir uns generell elektronischen Einflüssen verweigern. Wir haben auf „Helplessness Blues“ auch Synthesizer verwendet. Das kommt immer aufs Arrangement an, ob ein Instrument zum Song passt. Ich hätte Lust, in Zukunft noch akustischer zu werden, orchestrale, rein instrumentale Stücke zu schreiben.
Neil Young hat einst den Ausspruch geprägt: „It’s all one song.“
„It’s all one guy“ trifft es wahrscheinlich besser. Je mehr Songs man von einem Musiker kennt, desto mehr kennt man den Menschen dahinter – so sollte es zumindest sein. Neil Young hatte über einen sehr langen Zeitraum sehr viele gute Ideen. Solche Leute spornen uns an, noch besser zu werden.
Warum heißt das Album „Helplessness Blues“ ? Ist der Titel Ausdruck Ihrer Gemütsverfassung während der Aufnahmen?
Der Titel beschreibt die Themen, um die es auf dem Album geht: Zweifel und Hilflosigkeit. Das betrifft universelle und persönliche Erfahrungen.
Sie werden oft verglichen mit einigen Psychedelic-Pop-Bands der 60er-Jahre.
Ich würde uns nicht unbedingt als Psychedelic-Pop-Band bezeichnen, obwohl sicherlich Elemente davon in unserer Musik zu hören sind. Ich mag The Zombies, The Byrds, The Millennium. Genau genommen ist das letzte MGMT-Album auch eine sehr gute Psychedelic-Pop-Platte.
Trotzdem gibt es einige Songs, die in ihrer Komplexität an große Vorbilder erinnern.
Ich hörte während der Aufnahmen viel John Coltrane. Er vereint unruhige und verschrobene Momente mit purer Schönheit. Das schien mir künstlerisch der richtige Weg für uns zu sein.
Die Vergleiche mit Bands der 60er- und 70er-Jahre haben Ihrer Popularität keinen Abbruch getan. Im Gegenteil …
Die meisten Leute interessiert es nicht, welchem Genre ein Song zuzuordnen ist. Wichtig ist für sie, dass sie sich daran erfreuen können. Es ist schon merkwürdig, weil das meiner Meinung nach nichts mit handgemachter Musik zu tun hat.
Sie beschreiben Ihre Musik selbst als „baroque harmonic pop“.
Barock-Pop ist für mich ein Song, in dem ein Cembalo vorkommt. (lacht) Judee Sill ist für mich Barock-Pop. Man kann aus ihrer Musik klassische Einflüsse heraushören.
Ein wesentliches Element Ihrer Musik ist der Satzgesang, der an den Beach Boys oder Crosby, Stills, Nash & Young geschult ist.
Als ich mit 15 Jahren zum ersten Mal „Pet Sounds“ hörte, erschloss sich mir ein ganzes Universum. „I Just Wasn’t Made For These Times“ war für mich die alles entscheidende Erfahrung. Es ist die perfekte Symbiose aus Schwermut, Euphorie und Hoffnung.
Ein paar der neuen Songs erinnern stark an die Incredible String Band. Haben Sie sich diesmal mehr auf britische Folkmusik konzentriert?
Ich liebe englische Folkmusik. Vashty Bunyan, Pentangle, Fairport Convention, Bert Jansch – das waren Pioniere, die die diese Musik erneuert haben.
Wen verbinden Sie eher mit amerikanischer Folkmusik: Pete Seeger oder den frühen Dylan?
Pete Seeger, obwohl ich mit seiner Musik nicht so viel anfangen kann. Dann schon eher Bob Dylan, als er Songs wie „Girl From The North Country“ geschrieben hat. In dieser Periode hat er für viele, die nach ihm kamen, Türen geöffnet.