Wie aus dem MTV-Moderator Christian Ulmen Herr Lehmann wurde und – unter den Händen von Leander Haußmann – aus Sven Regeners herrlichem Buch ein ebensolcher Film
Christian Ulmen wusste zuerst auch nicht, ob das funktionieren würde. Eine Verfilmung von Sven Regeners „Herr Lehmann“? Den Roman um den ambitionslosen Barkeeper, der nur bei der schönen Köchin Katrin seine stoische Gelassenheit verliert, schlössen auf Anhieb so viele ins Herz, dass man im Prinzip mit einer Kino-Version eigentlich nur verlieren konnte. Aber Ulmen, der schon „Disney & Co.“ und den Offenen Kanal überstanden und bei der MTV-Sendung „Unter Ulmen“ längst sein komödiantisches Talent bewiesen hatte, ließ sich nicht ins Bockshorn jagen: „Sicher hat man Angst, dass die Leute sich den Typen ganz anders vorgestellt haben und einen völlig doof finden, aber diese Angst muss man durch intensive Arbeit wettmachen. Man muss schon seinen Lehmann durchziehen – wie der HipHopper sagen würde.“
Und das hat er dann auch getan. Obwohl er sich das Buch erst nach der Einladung zum Casting kaufte und auf alberne Rollen-Vorbereitungen wie Kreuzberg-Kneipenzüge oder 80er-Jahre-Recherchen verzichtete, wurde aus ihm ein so glaub- wie liebenswürdiger Herr Lehmann. Aber Ulmen ist zu bescheiden, um den Dank dafür allein einfahren zu wollen: „Das große Glück war, dass Sven Regener einfach einen brillanten Text geschrieben hatte. Ab ich den las, hat eine Stimme in meinem Kopf den Text bereits mit diesem Akzent und dieser Betonung mitgesprochen. Der Text geht sofort in den Mund, er hat keine Fremdkörper-Wörter, die man erst üben muss. Es ist natürlich Svens Sprache, nicht meine eigene, aber sie ist so eingängig, dass das Lernen keine schweißtreibende Doktorarbeit war, sondern angenehme Arbeit.“
Dabei konnten Ulmen mit einigen Themen, die der Roman verhandelt, gar nicht so viel anfangen. Sein 30. Geburtstag steht erst in zwei Jahren an, dazu hat er jetzt „noch keinen Bezug“. Beim Mauerfall, der beim etwas enttäuschenden, weil doch zu plakativen Film-Ende eine entscheidende Rolle spielt, war er gerade mal 14. Was die 80er Jahre betrifft, hat er angeblich „nur Erinnerungen an Rolf Zuckowski“. Und trotzdem ist er zu Herrn Lehmann geworden, und der Film lebt hauptsächlich von seiner Präsenz.
Wie er in einer Döner-Bude die Nerven verliert, weil seine Köchin ihn mit einem Deppen betrügt, der immer Weizen trinkt – das ist eine wunderbare Szene, lustig und rührend zugleich. Oder wenn er verzweifelt und todmüde mit einem bissigen Hund ringt, der ihm frühmorgens den Nachhauseweg versperrt – dann vergisst man schnell, dass Ulmen doch eigentlich „nur“ Moderator ist, und kein Schauspieler. Glaubte er zumindest selbst einmal. „Ich dachte immer, ich bin auf Lebzeiten der Fernseh-Heini. Das wollte ich schon als Kind. Bei ‚Unter Ulmen‘ fingen wir dann aber an, so spielerische Elemente einzubauen – und da habe ich Lunte gerochen. Vor vier Jahren hätte ich das noch nicht spielen können. Auf der Straße Figuren zu spielen, die Passanten dir glauben müssen, war schon ein kräftiges Training. Man verliert die Hemmungen. Das war meine individuelle Schauspielschule.“
Und so gelang es Ulmen schließlich, sogar Detlev Buck an die Wand zu spielen, der den hektischen, drogenumnebelten Künsder Karl ein wenig übertreibt. In Nebenrollen sind auch noch Karsten Speck (als „Lederuschi“), Tim Fischer und Christoph Waltz zu sehen – und Thomas Brussig als unerbittlicher DDR-Zöllner. Aber mit Abstand der schwierigste Kollege war ein ganz anderer, erinnert sich Ulmen: „Der Hund war echt anstrengend. Da kam nichts zurück, weil der eben nicht spielen kann. Man redet ins Nichts hinein, zum Teil war er ja überhaupt nicht da. Und wenn er da war, hat er auch oft nicht gemacht, was er sollte, obwohl er natürlich trainiert war. Es war schon ein ungewöhnlich begabter Hund.“ Immerhin wurde Ulmen nicht gebissen. Man muss für alles dankbar sein.
Die Arbeit an „Herr Lehmann“ kann insgesamt nicht leicht gewesen sein. Wer Regener kennt (und gerade wegen seines Sturkopfs mag und weil er von Diplomatie so wenig hält), kann sich vorstellen, dass es zwischen ihm und Leander Haußmann desöfteren Diskussionen bei der Umsetzung des Drehbuchs gab, das Regener selbst verfasst hatte. Aber so muss es wohl sein, wenn sich zwei Künstler treffen, die ungern Kompromisse eingehen.
Ulmens Einstieg war auch kein Zuckerschlecken. Neun Castings musste er innerhalb eines Monats durchstehen und ein paar Kilo abnehmen, aber die Zusammenarbeit mit Haußmann war dann sehr angenehm – er habe sofort Vertrauen zu dem Regisseur gehabt, sagt Ulmen, und jede Menge „Anregungen, Verständnis und Unterstützung“ bekommen. Eine Erfahrung, die ihn durchaus dazu bringen könnte, bald die Drehbücher zu lesen, die ihm jüngst zugeschickt wurden wenn er endlich ein bisschen mehr Zeit hat. Momentan konzipiert Ulmen eine neue Sendung für MTV – „etwas mit Leidenschaft. Bei ,Unter Ulmen‘ war am Ende alles sehr routiniert. Da wollten wir uns lieber was Neues ausdenken, bevor die Leute merken, dass die Luft raus ist.“
Nebenbei moderiert er bei „Radio Fritz“, aber so recht konzentrieren kann er sich auf all diese Aktivitäten zurzeit wohl nicht. Da ist immer diese „Grundnervosität“, die nicht verschwinden wird, bis der Film am 2. Oktober endlich angelaufen ist. Einstweilen hält Christian Ulmen die Augen offen mit Kritik kann er gut leben, aber „man will natürlich lesen, dass es ein toller Film ist“. Bitte sehr.