Wie Amerika sich selbst (und uns) vernichtet
Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie über den Ausgang der US-Wahl und das nicht länger vermeidbare F-Wort.
Auf einem Schweizer Stimmzettel zur Wahl der Züricher Steuerkommission 1874 schrieb ein anonymer Verfasser: „Die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“ Der bittere Spruch wird oft Bertolt Brecht zugeschrieben, der in seinem Kälbermarsch 1943 das Horst-Wessel-Lied der NSDAP auf ihrem Weg in der totalen Krieg paraphrasierte: „Hinter der Trommel her/Trotten die Kälber/Das Fell für die Trommel/ Liefern sie selber. /Der Schlächter ruft: /Die Augen fest geschlossen/Das Kalb marschiert/ In ruhig festem Tritt/ Die Kälber, deren Blut im Schlachthaus schon geflossen/ Marschiern im Geist in seinen Reihen mit.“
Was das mit den US-Wahlen zu tun hat, liegt auf der Hand: Die knappe Mehrheit der Amerikaner und Amerikanerinnen (ja, die auch) hat einem unflätigen, unfähigen und unberechenbaren Autokraten alle Mittel an die Hand gegeben, die älteste Verfassungs-Demokratie der Welt zu zerstören und die ohnehin wackelige Weltordnung mit unabsehbaren Folgen zu chaotisieren. Er hat das Weiße Haus, das Oberste Verfassungsgesicht plus unzählige lokale Gerichte in den Bundesstaaten und den Kongress zu seiner Verfügung und kann damit den Kern der liberalen Demokratie attackieren, die Gewaltenteilung. Er hat sich die Grand Old Party der Republikaner, die einmal für die Abschaffung der Sklaverei stand und Grundrechte von Minderheiten verteidigte, so stark unterworfen, bis es viel zu wenige „Harris-Republikaner“ gegeben hat. Die glühendsten Verehrer des Polit-Pornografen sind ausgerechnet die evangelikalen Christen, die bei ihm Gottes Vorsehung walten sehen.
Mitleidlose Oligarchie
Unterdessen ist ihm das Gros der sozialen Medien ergeben, wird er Wissenschafts- und Kunstfreiheit angreifen und damit die letzten wahrheitsverbürgenden Institutionen einer Tyrannei der Mehrheit zum Fraß vorwerfen. Alle Erwachsenen im Raum, die ihn in während seiner ersten Amtszeit bremsen konnten, sind vom Hof gejagt; die Pläne des Project 2025 zur Säuberung der Ministerien und Bundesämter darf man ernst nehmen. Man muss jetzt schon auf seine langjährige Wahlkampfmanagerin Suzie Wiles als neue Stabschefin im Weißen Haus hoffen, um Trump von seinen schlimmsten Eskapaden abzuhalten. J.D. Vance ist kein Hoffnungsträger, im Gegenteil: Er wird Trumps improvisierte Autokratie perfektionieren, wenn der Amtsinhaber (der älteste, der je gewählt worden ist) demnächst die Lust am Regieren verliert oder aufs Altenteil geschickt wird.
Den Spruch von den dümmsten Kälbern rechtfertigt die Tatsache, dass die Strategie von Trump und Vance aufgegangen ist: Eine mitleidlose Oligarchie, verstärkt durch eine dubiose Riege Superreicher, hat die „Sorgen und Nöte der kleinen Leute“, die unter Preissteigerungen, Suchtproblemen und schlechten Arbeitsbedingungen leiden, in einen nach rechts verschobenen Klassenkampf kanalisiert.
Eine frivole Versammlung von Milliardären, die solche Verhältnisse sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit selbst erst hergestellt haben, konnten die (von ihnen!) Erniedrigten und Beleidigten hinter sich versammeln. Das kennt man doch … Ich weiß, dass man in Deutschland das F-Wort vermeiden muss. Aber die Mischung aus verwirrten Gefühlen, gezielter Hetze gegen Minderheiten und Gewaltdrohung (das alles im Gewand einer toxischen Männlichkeit) war die Essenz des historischen Faschismus, dessen letzte Version wir nun Trumpismus nennen können.
Verheerende Folgen für Europa
Europa stehen unruhige Jahre bevor. Die Zahl der Trump-Bewunderer und Opportunisten wird wachsen, man wird sich mit seiner Administration arrangieren. Trumps angekündigter Deal mit Wladimir Putin wird die Ukraine ausliefern und weitere Gebiete der ehemaligen Sowjetunion ausliefern, Millionen weiterer Flüchtlinge in die EU wandern lassen, unsere innere und äußere Sicherheit essentiell bedrohen, der europäischen Industrie massiven Schaden zufügen und die Klima- und Umweltpolitik ins dritte Glied schieben. Damit steht auch in den zwei- und drittältesten Verfassungsstaaten die liberale Demokratie zur Disposition. Dagegen muss man entschieden Widerstand leisten und sich auf eine Art Guerilla-Demokratie einstellen. Wenn man jetzt die Hoffnung aufgäbe, wäre Trumps Triumph perfekt.
Worin das Goldene Zeitalter bestehen soll, das Trump nun angekündigt hat, bleibt schleierhaft. Mit dieser Wahl dürfte sich Amerika als wirtschaftliche, politische und kulturelle Weltmacht verabschiedet haben und den Staffelstab an China und den Globalen Süden übergeben.