The Who :: Who’s Next
Eine fürwahr schwere Geburt. Und ein von Irrungen, Wirrungen sowie Missverständnissen begleiteter Geburtsvorgang, der sich vom Herbst 1970 bis in den Sommer 1971 hinzog. Mit seinem ambitionierten „Lifehouse“-Projekt, einer Art Science-Fiction-Rockoper im Multimedia-Format, hatte sich Who-Mastermind Pete Townshend heillos verzettelt. Von seinen ehrgeizigen Plänen hatte er weder seine Bandkollegen noch das Bandmanagement geschweige denn die Plattenfirma überzeugen können. Was letztlich im Frühling 1971 von „Lifehouse“ geblieben war, waren – neben einem frustrierten Townshend und seiner ratlosen Band – ein paar Songs, die bei Sessions in Petes privatem Studio, in New York und im Londoner Young Vic Theatre entstanden waren.
Im April endlich erschien Produzent Glyn Johns auf der Bildfläche und zerschlug den gordischen Knoten: Er verfrachtete die Band zunächst in Mick Jaggers Anwesen Stargroves in Berkshire, dann in die Londoner Olympic Studios, wo nun konzentriert gearbeitet wurde. Ziel: Wenn schon nicht eine neuerliche Rockoper – bekanntlich hatten The Who dieses Genre mit „Tommy“ etabliert – dann sollte das Material wenigstens zu einer ordentlichen Langspielplatte verarbeitet werden. Und die wurde es. „Who’s Next“ ist ein Musterbeispiel für ein Album, das, obwohl es keine offensichtliche Verbindung zwischen den einzelnen Tracks gibt, mehr als die Summe der Einzelteile ergibt. Ein homogenes Ganzes, das seine eigene einzigartige Welt schafft und den Hörer augenblicklich dort hineinzieht. Eins passt hier ins andere, zusammengehalten werden die neun Stücke durch das ungeheuer dynamische Spiel der Band, die für die damalige Zeit sensationell gute Aufnahmequalität und nicht zuletzt die gleichermaßen zornige („Won’t Get Fooled Again“) und sensible („Behind Blues Eyes“, „Song Is Over“) Attitüde des Songwritings.
Ganz nebenbei führte „Who’s Next“ eine folgenreiche Innovation in die Popmusik ein: Zum ersten Mal waren hier programmierte Synthesizer-Loops zu hören, die nicht als isolierte Effekte verwendet wurden, sondern zum integralen Bestandteil der Komposition wurden. Und doch blieb all dies trotz aller Kunstfertigkeit in jeder Sekunde roher, höchst vitaler Rock’n’Roll, gespielt von der vielleicht besten Rockband aller Zeiten auf der Höhe ihres Schaffens. Die Entstehung dieses epochalen Albums ist eindrucksvoll dokumentiert im 2003 erschienenen 60-minütigen Dokumentarfilm „Who’s Next“ aus der DVD-Serie „Classic Albums“.