Whisky zum Frühstück
Nach Kate Bush und Tori Amos: My Brightest Diamond ist die Pop-Innovatorin der Stunde
Wenn Shara Worden so herzhaft lacht, wundert man sich, wie man je auf die Idee kam, sie könnte unnahbar sein. Aber durch ihre Musik und ihre Aura wirkt die zierliche Songschreiberin eben bisweilen nicht wie eine Frau aus Michigan, sondern wie ein Wesen von einem fernen Planeten.
Die studierte Komponistin verwebt experimentellen Rock, Art Pop und Kammermusik zu eklektischer Avantgarde wie ein Prisma, das alle Farben in einen Lichtstrahl verwandelt. Dazu passt auch der Name ihres Solo-Projekts, My Brightest Diamond, unter dem Shara Worden seit 2006 musiziert. Wurzelt das Debüt „Bring Me The Workhorse“ im Rock, überbordet auf „A Thousand Shark’s Teeth“ ein klassisches Orchester, während auf dem dritten Album, „All Things Will Unwind“, jedes Lied wie ein eigener Film wirkt. Worden arrangiert so verspielt und vielschichtig, als könnte sie mit den Instrumenten sprechen: Da meldet sich eine Marimba zu Wort, ruft ein Banjo dazwischen, erhebt ein Horn Einspruch. Wordens Gesang ist mal flirrend, mal vom Soul befeuert und guttural, als würde sie Whisky zum Frühstück trinken.
Für ihr neues Album „This Is My Hand“ orientierte sie sich an dem Buch „The World In Six Songs“ von Daniel J. Levitin – sie wollte erforschen, wie elementar Musik für die Menschheit ist. Dazu las Worden akademische Schriften über Elementarteilchen und die Evolutionstheorie. „Bevor wir Worte erzeugten, erzeugten wir Töne. Wie geben Menschen der Musik heute Wert, wenn sie immer weniger bereit sind, dafür zu zahlen? Ich mache mir Gedanken über diese bedenklichen Entwicklungen, weil ich es liebe, Platten zu produzieren.“
Die 40-Jährige stammt aus einer musikalischen Familie. Mit ihrem Vater, einem Akkordeonisten, und ihrer Mutter, einer Organistin, zog sie als Kind quer durch die USA, um Kirchenmusik zu machen. Nach ihrem Musikstudium lebte Worden ein Jahr in Moskau, bevor sie nach New York zog und das Band-Projekt Awry gründete, in dem auch mal auf Weingläsern oder einem Windspiel musiziert wurde. Außerdem war sie Mitglied von Sufjan Stevens Liveband, sang für die Decemberists, tourte mit David Byrne und Fatboy Slim und komponierte Musik für eine Barock-Oper sowie für Theaterstücke. Ihre Performances stehen in der Tradition des Kabaretts. In einem YouTube-Video von einem ihrer Auftritte steht sie allein in einem knallroten Kimono mit E-Gitarre auf der Bühne und stülpt bei einem Song plötzlich Schnurrbart, Polizeihut und Umhang über; in einem anderen Clip covert sie Prince-Songs, flachst mit dem Publikum und verwendet skurrile Instrumente aus exotischen Ländern, für die wir keine Namen haben. Aber die Solo-Auftritte sind auch notgedrungen: „Ich habe leider noch nicht die finanziellen Mittel, um mit meiner Band, dem Kammerorchester von yMusic, auf Tour zu gehen.“ Die Multiinstrumentalistin könnte aber fast selbst ein Orchester bilden – wenn sie sich siebenteilen würde.
Was nach anstrengendem Kunstgetöse klingen mag, ist zwar dramatisch und höchst künstlerisch, aber nie zu exaltiert oder prätentiös. Dazu ist sie als Musikerin zu sehr im Klassischen verwurzelt und als Mensch zu umgänglich:“Ich versuche inständig, eine Verbindung zu den Menschen aufzubauen.“ Vor allem in ihren Texten über Beziehungen zeigt sie sich verletzlich. Sie schreibt über alte Themen, als wären es neue.
Um weniger zu irritieren, gibt sich Worden nun minimalistischer und lässt frühere Kostümierungen hinter sich, in denen sie wie eine Disneyfilm-Königin anmutete. Eine Künstlerin denkt eben die Optik mit. „Ich stelle mir meine Musik vor wie die japanische Designermode von Comme des Garçons mit ihren asymmetrischen, architektonischen Schnitten, dazu goldener Prunk von Run-DMC, aber gebrochen durch Punk-Elemente – wie einem geschorenen Kopf.“
Auf so viel Komplexität muss man sich einlassen. Shara Worden kommt nach Tori Amos und Kate Bush, Björk und PJ Harvey – ihre Musik ist ein Manierismus von erhabener Schönheit.