Weyes Blood live in Berlin: Priesterin im Gespensterkleid
Das erste Europa-Konzert von Weyes Blood gerät zum Triumph. Natalie Mering entfacht einen „quiet storm“ im Berliner Festsaal Kreuzberg.
Das Debütkonzert der Europa-Tournee von Weyes Blood rund um das aktuelle Album „And In The Darkness, Hearts Aglow“ ist Krönungsmesse und Gottesdienst zugleich. In Deutschland spielt sie nur noch am kommenden Freitag (03. Februar) in Köln. Doch keine unnötige Hast bei der Jagd nach Tickets; alle Konzerte der Rundreise der Kalifornierin sind samt und sonders ausverkauft. Vielleicht gibt der „Schwarz- oder Secondary-Markt“ noch etwas her.
Im Gegensatz zur Indieclub-Formatierung ihrer bisherigen Auftritte vor der Pandemie, etwa hierzulande in der eher kuscheligen „Kantine am Berghain“, merkt man in Berlin im „Festsaal Kreuzberg“ einen neuen Willen zur Inszenierung.
Das Smartphone-Männeken aus dem Revue-Matrosinnen-Video zu „It´s Not Me, It´s Everybody“ grüßt als Standbild auf einer Leinwand, die flächendeckend hinter der Bühne gespannt ist. Weyes Blood, die nun seit fast 20 Jahren vielfach unterwegs ist, hatte es nie eilig mit ihrer Karriere. Einst im Krawallproket Jackie O Motherfucker den Bass zupfend, dann mit ihrem Westcoast-Produzenten-Kumpel Drugdealer allerlei Tracks fabrizierend.
Nun, wo sie auf den 35. Geburtstag zugeht, ist die Live-Produktion offensichtlich aufwändiger und „größer“ geworden.
Ein wenig spartanische Kulisse, die gleichwohl Opulenz andeutet, gibt es auch: LED-Kerzen flackern auf verschnörkelten Armleuchtern. Zuweilen wird dieses „Phantom der Oper“-Szenario grellweiß durchzuckt, als würde der Heilige Geist das Grenzgebiet zwischen Kreuzberg36 und Alt-Treptow heimsuchen wollen.
Sakrale Bühnenoptik
Hatte Natalie Mering früher oftmals auf Hosenanzügen in türkis oder weiß als Bühnen-Outfit gesetzt, ist ihr Gewand nun passend zur sakralen Bühnenoptik ausgesucht. Eine hohe Priesterin mit langen braunen Haaren in einem weiß wallendem Gespensterkleid. Wir verstehen: Von der Cover-Optik des Albums bis zur Live-Aufführung alles aus einem Guss. Bei der Fashion-, Trashfilm- und Hollywood-affinen Multi-Instrumentalistin ist nichts dem Zufall überlassen.
Schließlich kommen an diesem Samstagabend recht kompakt die mellow-melancholischen neuen Songs zur Aufführung, das Tempo von etwa 55 BpM wird nur selten überschritten. Der Langsame Walzer mag ihr als Vorbild aus der Klassischen Musik gedient haben.
„When the mirror takes you too far. Oh, God, turn me into a flower..“, schwelgt Weyes Blood in ihrem Atmo-Schleicher „God, Turn Me Into a Flower“. Ihr fließendes Gewand wird zur Abspielfläche einer floralen Hippie-Optik. Nicht nur die französische Ausgabe der Modebibel „Vogue“ zeigt sich begeistert über das vieldeutige 1968-Re-Inactment mit apokalyptischer Text-Grundierung.
Unter dem weißen Gespenstergewand schimmert rötlich ein pochendes Herz, das von Festsaal-Theke ausschaut wie ein Alien-Baby, das bereits mehrfach in ihren Online-Videos zum Einsatz gekommen ist.
Verzauberung angenommen
Und dass Natalie Mering nicht irgendeine der gerade aktuellen Wasserleichen-Musikerin mit Esoterik-Botschaft ist, merkt man allein daran, dass vielfach Humor beweist. Bei ihrem Berliner Konzert macht sie lässige Ich-kenne-Mich-Aus-Scherzchen bei den Ansagen. Ob sie etwa mit ihrer Enya-Kluft in den örtlichen Technoclub Berghain reinkäme, fragt sie in die Menge. Wohlwissend, dass der Dresscode in der Baller-Hochburg dort eher pechschwarz ist.
„Wenn es um die Grundsatzfrage „Zauberei gegen Unterhaltung“ geht, dann ist mein Metier mehr die Verzauberung“, sagt die Westcoastlerin in einer Titelstory im US-Magazin „SPIN“, wo sie gerade zum „Artist oft he Year“ gekürt worden ist. Die Liveaufführung bestätigt dieses Statement ohne Zweifel.
Die große Frage ist doch, bekommt Mrs Mering ihre barocken Soundkathedralen auch auf die Straße, ohne dass das geschätzte Publikum der komplett ausverkauften Metropolen-Tournee sanft entschlummert? Von wegen! Das von zwei Orgelsynthies, einem Bass und ihrem Gitarrenvortrag interpretierte Programm ist selbstredend ein leises. Da sind Uptempo-Nummern wie „Children Of The Universe“ fast schon Speedmetal. Doch der frenetische Beifall des Ü27-Publikums signalisiert deutlich: „Verzauberung angenommen!“
Merings Songliste umkreist das „And in the Darkness“-Epos, und es spricht für ihr Timing, dass sie kongenial die phantastische Hippie-Operette „Wild Time“ aufführt: Ein sechsminütiger Monsters-of-Laurel-Canyon-Choral. „With no Fear, We would Fall!“ Hexenwerk, das nur sie kann.