„Wer sind diese Piraten eigentlich?“
Warum wird die Piratenpartei immer mit den Grünen verglichen und nicht mit anderen Parteien? Ich glaube, das liegt daran, dass sehr viele Menschen heute die Anfänge der Grünen miterlebt haben, wogegen Zeitzeugen der Gründung der älteren Etablierten meist nicht mehr am Leben sind.
Und im Jahr 2011 tritt die Piratenpartei erstmals vor ein größeres deutsches Publikum und wird bestaunt, beäugt, belächelt und zur Protestpartei erklärt. Das war nie unser Ansatz. Eine junge Partei muss sich immer erst strukturieren und zueinander finden. Bis dahin wirkt sie unkoordiniert. Frischer Wind ist auch etwas Ungewohntes für den langjährigen Politikbetrachter. Während sich in anderen Parteien eingebürgert hat, dass man ein Hemd mit Hosenanzug trägt, ist es ungewohnt zu sehen, wenn auf einmal Politiker in T-Shirt und Latzhose vor den Kameras stehen und reden. Dazu kommen neue Themen, die am Anfang mitunter verwirrend klingen und bei manchen Fragen aufwerfen mögen.
Doch die häufigste Frage lautet: Wer sind diese Piraten eigentlich?
Die Piratenpartei ist gerade mal fünf Jahre alt. Auf der Flagge stehen ganz oben Transparenz des Staates und Bürgerbeteiligung, dicht gefolgt von sozialen Themen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, liberalen Themen wie Gleichberechtigung aller Lebensgemeinschaften und gefühlten Geschlechtern und ganz neuen Themen wie Freifunkanlagen über ganz Berlin, damit jeder Zugang zum Internet hat. Andere unkonventionelle Gedanken stehen auch im Wahlprogramm.
Natürlich haben wir noch nicht jedes Thema besetzt, das es zu besetzen gilt, und vor uns liegt noch ein langer Weg. So muss zum Beispiel ein wirtschaftspolitisches Programm entwickelt werden, was selbstverständlich einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber wir sind ja viele – und werden jeden Tag mehr. Ich bin der Meinung, dass unsere bestehenden Idealvorstellungen nun konkreter werden müssen, um in der Realpolitik bestehen zu können. Die Schwierigkeit dabei ist, sich selbst treu zu bleiben und die Idealvorstellung nicht zu verraten.
Es braucht kein Vollprogramm von jeder Partei, da niemand auf jedem Gebiet die besten Lösungsmöglichkeiten anbieten kann. Vor allem geht es aber darum, mit sich selbst und seiner Umwelt ehrlich zu sein. Wir brauchen eine Politik, die auf Tatsachen beruht! Bei wissenschaftlichen Forschungen werden die Ergebnisse, die in den momentanen Politikstil passen, klar hervorgehoben – dagegensprechende allerdings vertuscht. Mein Traum von Politik ist eine Demokratie, die nicht von Parteien geführt wird, sondern in der jeder Bürger sich bestimmten Themengruppen anschließen kann. Warum sollte sich auch in der heutigen komplexen Welt nicht jeder auf das Themengebiet spezialisieren, von dem er wirklich was versteht?
In vielen Punkten wissen wir schon, wohin wir wollen, aber der Weg dorthin muss noch gepflastert werden, selbst wenn es dabei um schwierige Themen wie Finanzierungsmodelle für unsere Anliegen geht. So fordern wir zum Beispiel ein Bildungssystem, dass inzwischen schon sehr detailliert ausgearbeitet ist. Nur kann man ein Schulsystem nicht einfach von heute auf morgen umkrempeln. Also noch jede Menge Arbeit vor uns und für uns.
Politik bedeutet auch, Rückschläge hinzunehmen und sich davon nicht entmutigen zu lassen. Es ist klar, dass wir als Opposition unser Wahlprogramm in den nächsten fünf Jahren nicht durchgesetzt bekommen. Entscheidend ist aber, dass wir den Weg ebnen und es immer im Auge behalten.
Wir wollen eine Politik, die auf alle Bürger Rücksicht nimmt und sie in die Entscheidungen mit einbindet. Wir denken nicht, dass es reicht, alle fünf Jahre einmal zur Wahl zu gehen. Auch eine Partei kann nicht in die Zukunft sehen und zu kommenden Ereignissen bereits im Vorfeld eine Meinung haben. Daher ist es nötig, dass die Bürger aktiv in Entscheidungen einbezogen werden, um diese dann gemeinsam zu realisieren. Wir sind Basisdemokraten, die die Meinung der Bevölkerung interessiert. Wir haben noch nicht – und werden es hoffentlich auch nie – vergessen, woher wir kommen und wer wir sind. Wir sind Demokraten in ihrer Ursprungsform! Schlimm genug, dass wir in der derzeitigen Parteienstruktur die Umsetzung von demokratischen Grundsätzen einfordern müssen.
Susanne Graf (19) ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Piratenpartei – und ab dem 27. Oktober das jüngste Mitglied im Abgeordnetenhaus Berlin.