Wenn Engel Singen

John Lennon singt aus den Tiefen des Grabes, Freddie Mercury ziert nicht nur das Cover des jüngsten Queen-Albums, sondern besingt auch zehn Songs, als habe er erst gestern im Studio gestanden. Was technisch machbar ist, muß noch lange nicht künstlerisch wertvoll sein. Und vor allem: nicht von dem Verstorbenen als veröffentlichungswürdig abgesegnet worden sein. Der ferdacht, da/S Lennon oder, wie in diesem Fall, Mercury ein „Nachlaß“ angedichtet wird, der so nicht gewollt war, ist nicht von der Hand zu weisen. Allein vier „neue“ Queen-Songs („Too Much Love Will Kill You“, „Heaven For Everyone“, „I Was Born To Love „Ybu“, „Made In Heaven“) existieren in anderen Versionen auf den Solo-Alben von Brian May, Roger Taylor und Mercury selbst. Das Queen-Management schüttet törichterweise öl ins Feuer der Mutmaßungen, indem es das Mäntelchens des Schweigen über die Entstehungsgeschichte des Albums zu ziehen versucht. Was im Studio wirklich passierte, wissen nur die beteiligten Musiker. Und David Richards, der seit 1980 alle Queen-Alben co-produzierte. Richards kam 1975 als Tontechniker nach Montreux, als das Casino gerade abgebrannt war (von Deep Purple in „Smoke On The Water“ verewigt) und auf den Ruinen ein neues Studio gebaut werden sollte. Die ersten Klienten im neuen „Mountain“-Studio waren die Rolling Stones, die hier an „Black AndBlue“ arbeiteten. Der Ruf des Studios machte die Runde, und 1980 klopften Queen an der Tür, um mit ihrem Produzenten Roy Thomas Baker Jazz“ aufzunehmen. Die technischen Möglichkeiten als auch die idyllische Lage fanden dermaßen Anklang, daß Queen 1982 das Studio kauften. Allein Mercury konnte sich mit der Neuerwerbung zunächst herzlich wenig anfreunden. „Dieses Studio“, brummte er, „wäre besser im See gebaut worden als daneben.“ Seine Einstellung sollte sich im Laufe der Jahre radikal ändern. „Freddie“, erinnert sich Dave Richards, „kam immerhäufiger nach Montreux, weil er die Ruhe und den Frieden zu lieben lernte. Die letzten Songs, die von ihm geschrieben wurden, wurden hier geschrieben. Und mit ,A Winter’s Tale‘ verewigte er Montreux gar in einem Song.“ Ist es der einzige Song, den er noch selbst für das Album schreiben konnte? Es ist der letzte Song, den er für die Platte geschrieben hat; als letzten gesungen hat er „Motherlove“, der von Brian für ihn geschrieben worden war. Hat Brian diesen Song nach Ideen von Freddie geschrieben? Ich kann mich nur erinnern, daß er eines Tages ins Studio kam, die Akkorde für den Song zu Papier brachte und Freddie ihn zu singen begann. Brian reichte ihm einen Zettel herüber, auf den er ein paar Textzeilen geschrieben hatte. Woher die Idee und Inspiration kam, kann ich nicht sagen. Mit welchen Gefühlen stehst Du der Veröffentlichung des Albums gegenüber? Wir haben Freddies Wunsch erfüllt. Er wollte bis zur allerletzten Sekunde Musik machen, er wollte singen. Es war eine schwierige Situation für uns alle, für ihn natürlich am meisten, aber er wollte wirklich, daß dieses Projekt noch realisiert wurde. Er wußte, daß die Platte erst nach seinem Tod veröffentlicht werden würde. Wurde Dir erst bei diesen Aufnahmen klar, wie krank Freddie wirklich war? Ich wußte, daß er schwer krank war, obwohl er erstaunlicherweise immer besser sang. „Meine Stimme ist noch da“, sagte er, „also werde ich bis zum Ende weitermachen.“ Ich persönlich wußte nichts von AIDS, sondern vermutete Krebs. Ich glaube, alle Beteiligten wollten die Tatsache verdrängen, daß es wirklich so ernst war. Es war da noch immer der kleine Funke Hoffnung, daß am Ende doch noch ein Wunder geschehen würde. War seine Krankheit schon spürbar, als „Innuendo“ aufgenommen wurde? Ich habe gemerkt, daß etwas nicht stimmte, aber ich wußte nicht, was. Inwiefern hat seine körperliche Erfassung die Arbeit an diesem neuen Album geprägt? Wir verwendeten mehr Zeit für die Gesangsaufhahmen, denn Freddie brauchte zwischendurch Pausen. Andererseits wollte er gesanglich noch präziser, noch exakter sein, weil er wußte, daß es für ihn keine Tourneen mehr geben würde; also sollten die letzten Aufnahmen perfekt sein. Waren die Songs zum Zeitpunkt der Aufnahme Demos, zu denen Freddie sang? Oder was ist der Grund, daß die Band erst im letzten Jahr die Instrumentaltracks einspielte? Wir hatten bei Aufnahmen immer zwei oder drei verschiedene Vorgehensweisen. Manchmal kam ein Bandmitglied mit einer Idee, die er bereits als Demo aufgenommen hatte – oft nur ein paar Akkorde und Worte. Die ganze Band stieg dann ein und arrangierte den Song, brachte Ideen mit ein und drückte ihm den typischen Queen-Sound auf. Eine Idee wurde graduell zu einem Song verändert. „Innuendo“ andererseits entstand aus einer Improvisation in der Casino-Halle von Montreux. Freddie, der im oberen Stock im Studio saß und mithören konnte, seufzte nur: „Oh, I love it“, hetzte hinunter und begann zu singen. Natürlich wurde nachher noch eine Menge Detailarbeit investiert, aber die ursprüngliche Idee entsprang einer spontanen Gruppen-Improvisation. Noch einmal anders gefragt: Hat die Band vor vier Jahren die Songs in einer Roh-Fassung eingespielt, damit Freddie noch dazu singen konnte? Nein, es waren live eingespielte Tracks. Es war keine Rohfassung, sondern als Endfassung geplant, weil die Spontanität bewahrt werden sollte. Wir haben die Aufnahmen noch bearbeitet, geschnitten und einige Passagen weggelassen, aber das Grundmaterial war live, inklusive des Gesangs. Ich erinnere mich noch daran, daß wir zwangsläufig technische Probleme hatten, weil über Freddies Gesangsmikrophon auch die Drums zu hören waren. Ich habe die Band auf der Bühne so angeordnet, als ob sie ein Konzert gäbe, ich wollte in dieser großen Halle ein Live-Gefühl kreieren, obwohl kein Publikum da war. Wie lange hast Du mit Freddie an diesem Album gearbeitet? Sagen wir vier Wochen fürs Aufnehmen. In dieser Zeit wurden die Songs geschrieben und aufgenommen. Nach Freddies Tod wollte zunächst niemand in der Gruppe an das Thema heran; sie brauchten Zeit für sich selbst. Während der folgenden Jahre kamen sie sich dann wieder graduierlich näher und sagten: „Laßt uns arbeiten! Freddie wollte, daß wir die fehlenden Teile des Mosaiks zusammensetzen.“ Ich denke, es waren dann weitere drei oder vier Monate Arbeit. Was ist in dieser Zeit noch rerändert worden. War es nur Feinschliff? Ja, einige Songs wurden komplett im Originalzustand belassen, andere – zJJ. zwei Lieder von Freddies Münchner Solo-Album „Mr. Bad Guy“ erhielten ein Queen-Arrangement und wurden dadurch völlig transformiert: Aus einer Solo-Produktion wurde eine Queen-Produktion. Derartige Bearbeitungen sind aufwendig und brauchen Zeit. Aber wie gesagt: Die anderen vier oder fünf Songs, die seinerzeit in Montreux aufgenommen worden wurden, blieben praktisch so, wie sie waren. Es gab einige zusätzlichen Gitarren, aber das sind Sachen, die man sowieso gemacht hätte. Wie kam Freddie mit dieser ungewöhnlichen Situation zurecht? Es genoß es. Er war so froh, daß er singen konnte, immer noch singen konnte. Er war wirklich glücklich. War die moderne Technologie für die Fertigstellung des Albums elementar notwendig oder wäre dies auch schon vor zehn Jahren möglich gewesen? Absolut. Die Technologie erlaubt uns zwar, Songs neu zu arrangieren, aber in diesem Fall wurde das Material ja nicht neu arrangiert. Insofern hätten die Aufnahmen durchaus auch mit einer zehn Jahre alten Analog-Maschine gemacht werden können. Bei „Too Much Love Will Kill You“ handelt es sich sogar wirklich um eine die einzige – analoge Aufnahme. Brian May hatte den Song zu einer Zeit geschrieben, als wir noch mit dieser Technik arbeiteten. Freddie nahm ihn auf, weil er ihn für sehr gelungen hielt; der Track wurde aber nie verwendet. Deshalb nahm ihn Brian, mit eigenem Gesang, 1992 auf sein Solo-Album. Es ist nun hochinteressant, Freddies analoge mit den übrigen digitalen „Made In Heaven „-Aufnahmen zu vergleichen. Die Klarheit im analogen Sound ist bemerkenswert. Es dauert ja manchmal ein paar Jahre, bis wir verstehen, wohin uns die Technik eigentlich führt. Wir hetzen manchmal einer technologischen Revolution hinterher, ohne uns über die Folgen im Klaren zu sein. Wie denkt die Band darüber? Roger rief mich gestern an, weil ich einen Edit für „Too Much Love Will Kill You“ für die Veröffentlichung in den USA machen mußte. Er fragte: „Was hast Du bloß mit dem Remix gemacht? Er klingt amazing!“ Ich sagte ihm, daß es vielleicht die Analog-Aufnahme sei, die diesen Eindruck erwecke. Interessanterweise ist ja gerade eine Beatles-Anthology erschienen, auf der auch ein Toter singt… Wo sie die wohl gefunden haben? Auf Pauls Klosett wahrscheinlich. Es wird nun unweigerlich eine Diskussion darüber stattfinden, ob man Platten mit verstorbenen Sängern veröffentlichen sollte… Wird uns die Technik in Kürze nicht schon erlauben, Stimmen zu samplen und sie auch nach dem Tod des Sängers einzusetzen? Nein, das ist unmöglich. Man muß verstehen, was ein Sample ist. Ein Sample ist eine Aufnahme von etwas, das schon gemacht wurde. Es ist keine Synthese. Es ist eine Aufnahme, die du dann zu jeder Zeit auf Knopfdruck abrufen kannst. Du kannst sie editieren, aus zwei Wörtern ein Wort machen. Jedesmal, wenn du diesen Knopf drückst, kommt dieses Wort heraus. Wenn du die Stimme nicht zuerst aufgenommen hast, kannst du überhaupt nichts machen. Man kann nicht Freddies Stimme synthetisch herstellen. Man muß sie zuerst haben – und dann kannst du vielleicht eine Zeile nehmen und sie ein paar Mal repetieren, aber das macht noch keinen Song. Du mußt mehr haben als das. Das heißt, daß, es auch in 30 Jahren unmöglich sein wird, einige Stunden einer Stimme aufzunehmen, um die Samples dann zu einem neuen Ganzen zusammenzusetzen? Wenn man mehrstündige Aufnahmen einer Stimme hätte, wäre es theoretisch möglich. Unter der Voraussetzung, daß ganze Worte vorhanden sind und die Tonlage stimmt. Aus nichts wird man aber auch in 30 Jahren nichts machen können. Hättest Du ein ungutes Gefühl gehabt, wenn Freddie nicht explizit diese Platte gewünscht hätte? Ja. Wenn er diese Platte nicht bewußt gewollt und deshalb auch neue Songs geschrieben hätte. Dann hätte man wirklich nur in Schränken nach unveröffentlichtem Material suchen können. Das aber war nicht der Fall. Trotzdem, es war immer noch eine sehr emotionale Erfahrung. Es war bedrückend, aber die Tatsache, daß Freddie es so gewollt hatte, gab uns die Kraft. Besitzt oder besaß, eigentlich jemand von Queen hier in Montreux ein Haus? Normalerweise lebten sie in Hotels, aber da Freddie in seinem letzten Jahr sehr häufig hier war, nahm er sich ein Appartement. Er mochte den Frieden und die Ruhe. Montreux ist ein inspirierender Ort, besonders für Musiker. In den letzten hundert Jahren waren viele Musiker hier. Wenn du spät in der Nacht ganz aufmerksam hinhörst, scheint hier Musik geradezu in der Luft zu liegen… Haben die Medien überhaupt realisiert, daß Du mit Queen an diesem Album gearbeitet hast? Ich glaube, nein. Es ist ein diskreter Ort. Deshalb kommen die Leute ja auch hierher. Wir haben unsere Ruhe, und die Einwohner von Montreux sind durch das Jazzfestival und all die anderen Veranstaltungen daran gewöhnt, berühmte Leute zu sehen. Wenn man sah, wie Freddie Mercury seinen Hund ausführte, flippte man deswegen nicht aus. Er hatte seine Ruhe. Wenn Du Dir den Showman Freddie oder einen Hit wie „The Show Must Go On“ in Erinnerung rufst – glaubst Du, daß er seine Freude daran hätte, daß wir nun um „Made In Heaven“ so viel Wirbel machen? Absolut! „The bigger the better war sein Motto. Für ihn war Leben immer auch mit Erfolg verbunden. Dafür war er da. Es mußte eine Nummer 1 sein. Er lebte dafür. Wenn dieses Album der größte Hit aller Zeiten werden sollte: Freddie würde vor Begeisterung in die Luft springen. Reinhold Hönle

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