Weniger Ego, mehr Einheit
VERTRAUEN SCHAFFT man nicht über Nacht. Bei den Manic Street Preachers hat es schlappe 20 Jahre gedauert, bis Sänger James Dean Bradfield es wagte, überhaupt mal das Studio zu verlassen, während Bassist Nicky Wire und Schlagzeuger Sean Moore weiter an Songs bastelten. „Ich war ein Kontrollfreak“, gibt der 44-Jährige heute zu. „Erst ab 2006 habe ich akzeptiert, dass es besser ist, die anderen auch mal in Ruhe zu lassen. Wir verbringen ja ohnehin irre viel Zeit miteinander. Normal ist das nicht.“
Bei den Walisern war schon immer einiges anders als bei „normalen“ Bands. Sie lernten sich bereits in der Schule kennen und beschlossen früh, sich von Drogen und klassischen Liebesliedern fernzuhalten. Die Songtexte schreibt meistens Wire -zumindest seit 1995 Gitarrist Richey James Edwards spurlos verschwand -, Bradfield und Moore sind für die Melodien zuständig. Diese ungewöhnliche Arbeitsteilung behielten sie auch beim neuen Album „Rewind The Film“ bei. Allerdings spielte der Schlagzeuger auch mal Trompete, während der Sänger/Gitarrist den Bass übernahm -und das Mikrofon anderen überließ. Sind die Manics jetzt doch noch verrückt geworden? Keineswegs, Bradfield langweilte sich nur ein bisschen mit sich selbst: „Nach zehn Studioalben hatte ich das dumpfe Gefühl, dass ein anderer eine frische Note reinbringen könnte. Ich bin ja nicht gerade der subtilste Sänger, und mein Ego hat es nicht mehr nötig, überall präsent zu sein.“ Also darf Gast Richard Hawley beim Titelsong mitsingen, Cate Le Bon und Lucy Rose sind bei anderen Stücken dabei. Nur an einen Kollegen traute sich das Trio nicht ran: Eigentlich sollte Morrissey „3 Ways To See Despair“ singen, doch keiner wollte ihn darum bitten. Eine Ablehnung wäre zu bitter gewesen.
21 Jahre nach ihrem Debüt „Generation Terrorists“, 15 Jahre nach „This Is My Truth Tell Me Yours“ ist den Manic Street Preachers wieder einmal ein großer Gitarrenpop-Wurf gelungen -und das ist nur der erste Teil. Zeitgleich nahmen sie im eigenen Studio in Cardiff und in den Berliner Hansa-Studios noch ein zweites Album auf, das im Frühjahr 2014 erscheinen soll. Produziert hat beide ein alter Bekannter: Alex Silva, den sie seit „The Holy Bible“ (1994) kennen und der sich heute vor allem um Grönemeyer kümmert. Aber zwei LPs auf einmal: Ist das heutzutage, da angeblich nur noch einzelne Tracks runtergeladen werden, noch erlaubt?“Was wissen wir schon über das Geschäft!“, behauptet Bradfield lachend. „Wir sind die Band, die dachte, ,If You Tolerate This‘ tauge höchstens als B-Side. Und die Band, die dachte,,The Love Of Richard Nixon‘ ist eine tolle Single. Wir hatten diesmal halt einfach viele gute Songs -die allerdings überhaupt nicht zusammenpassten.“ Wire ergänzt: „,Rewind The Film‘ ist eher getragen, introspektiv. Vieles von dem, was wir im Hansa aufgenommen haben, ist sehr europäisch, rau und fies – Postpunk, Bowie-mäßig, diese Richtung. Darf man hier eigentlich Krautrock sagen, oder ist das beleidigend? Jedenfalls wurde uns auf halber Strecke klar, dass es zwei getrennte Alben werden müssen.“
„Rewind The Film“ handelt von der Vergänglichkeit, vom Älterwerden und den zwangsläufigen Veränderungen. Wire bringt es auf den Punkt: „Um die Ecke wartet immer schon die nächste Beerdigung. Wie kämpft man sich als kraftvolle Rock’n’Roll-Band weiter durch, während man all diese Verluste erleidet? Wie ist es, mit 44 in den Spiegel zu schauen? Als verheirateter Mann, der Kinder hat? Mit dem Traum, den man auf der Bühne lebt, hat der Alltag wenig zu tun.“
Bradfield behält sich vor, immer noch manchmal über die Stränge zu schlagen. Er nennt sich einen „glücklichen Trinker“, der weder umfällt noch lallt; von ihm wird man keine peinlichen YouTube-Videos sehen. Wenn sich die Manics überhaupt noch mal danebenbenehmen oder richtig streiten, dann geht es meist um Sport oder Politik. Am Ende von „Rewind The Film“ steht der Song „30-Year War“, eine wütende Abrechnung mit der Heimat -oder, mit den Worten Nicky Wires, „eine vierminütige Zusammenfa ssung der letzten 30 Jahre in Großbritannien. Es geht nicht um Thatcher persönlich, sondern um ihre Philosophie und darum, wie die Konservativen fröhlich unsere Gesellschaft und unsere Kultur kaputt gemacht haben. Wie die Arbeiterklasse zerstört wurde.“
Dass sich heute kaum noch Bands für Politik zu interessieren scheinen, kommt Bradfield komisch vor: „Es ist bizarr, dass viele der jüngeren Leute so für ihre individuellen Rechte kämpfen, digitale Freiheit und so weiter, aber nicht für die Freiheit an sich, für größere Dinge. Schau dir die letzten zehn Jahre an: zwei Rezessionen, zahllose Kriege und Konflikte, und keiner schreibt darüber. Sie denken, sie sind zu schlau, so verkauft man keine Alben, das interessiert keinen. Aber damit lassen sie ihre eigene Generation im Stich.“
Eigentlich möchten sie sich gar nicht aufregen, auch nicht verbittert wirken, doch dann echauffiert sich Wire doch über „diese Typen in Westen, die wie Minnesänger rumlaufen und so tun, als würden sie neben einem Wasserfall aufnehmen – als wäre das authentisch“. Diese „niedliche Mittelklassewelt“ habe mit der Realität der Mehrheit nichts zu tun – verdenken können sie es den Mumfords und allen anderen allerdings nicht. Beinahe hätte Wire „30-Year War“ weggeworfen, weil der Song so „old school“ ist. „Wer will denn noch so eine didaktische Schimpftirade von uns hören? Wir können halt nicht anders. Wir haben sogar darüber nachgedacht, ob Billy Bragg nicht mitsingen könnte.“ Bragg, Paul Weller, die Manic Street Preachers – schaut man sich diese working class heroes an, fällt vor allem eins auf: Jahrzehntelanges Engagement mag anstrengend sein, aber es hält offensichtlich verdammt jung. Und das ist doch kein kleiner Trost.
„Uns nerven diese Typen in Westen, die wie Minnesänger rumlaufen“
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