Wellen aus dem Wohnzimmer
Eine Minderheit von Freunden des Besonderen nutzt und betreibt schon private Web-Radios - doch geplante Gebührenerhöhungen gefährden die liebevoll gehegten Nischenprogramme.
Der alte Kummerkasten Radio: eigentlich das ideale Medium, um neue und aufregende Musik zu verbreiten. Doch im so genannten Formatradio, das sich – immer an den Werbekunden denkend – heute mehr denn je über den mainstreamigen Konsens definiert, hören wir lediglich das angeblich „Beste von irgendwann bis heute“. Ein Programm also, das bestenfalls der chronisch lächelnden Frühstücksfamilie schmecken dürfte. Dagegen steht die schöne Welt der Web-Radios: Ohne großen Aufwand kann auch der technisch weniger versierte Nutzer einen entsprechenden Sender gründen und fortan nur das wirklich Beste – natürlich extrahiert aus der eigenen, zumeist unendlichen Playlist über das Netz senden. Stilistisch gibt es bei Web-Radios kaum Grenzen: Nische ist Trumpf, all tastes considered.
Wer nur etwas Mühe in die Suche investiert, findet bisweilen tatsächlich das Elysium des alten Radios – nur eben im Internet Das technische Prinzip ist zudem denkbar einfach: Der Radiomacher überträgt seine Sendung auf einen entsprechenden Server, der interessierte Hörer erhält das Programm dann in Echtzeit via Streaming. Durch die entsprechende Übertragung der Datenströme ist die Anzahl der gleichzeitig zugeschalteten Hörer allerdings von der Bandbreite des Servers abhängig. So entsteht die Erfolgsfalle: Sollte ein privates Web-Radio einen unerwartet hohen Zulauf an Hörern aufweisen, bringt dies gezwungenermaßen auch die entsprechenden Traffic-Kosten mit sich. Doch die meisten Sender haben ohnehin eine überschaubare Gemeinde von Empfängern – man legt für Freunde und Bekannte auf, die wiederum selbst zu DJs avancieren.
Ein gelungenes Beispiel für einen solchen virtuellen Privatsender ist das Angebot „StoneFM“. Ingo Hermann, ein engagierter User aus dem Leserforum des ROLLING STONE, präsentiert sein Programm über die Webseite www.stonefm.de und bietet dabei so unterschiedliche Formate wie „Tapes“ oder „Bright Ears“ an. Auch Gastmoderatoren sind bei StoneFM stets willkommen – die dann in der Regel auch Hörer des Senders sind: „Wir sind ein kleiner, aber stetig wachsender Club Musikverrückter – im positiven Sinne, wohlgemerkt.“ Hermanns Motivation dürften die meisten anderen Wbhnzimmer-DJs sofort unterschreiben. „Die Idee ist, sich gegenseitig Musik vorzustellen, die man mag. Es gibt ja ohnehin bereits Tauschzirkel, in denen man sich untereinander fleißig Tapes schickt.“ Eine feine Sache – findet auch Hartmut Spiesecke vom Phonoverband: „Web-Radios sind ein sehr interessantes Angebot Das gilt für kommerzielle ebenso wie für nicht-kommerzielle Radios, die eine Form des Spartenrundfunks ermöglichen, den wir so noch nicht haben.“
Ganz kostenfrei ist die digitale Radiowelt indes auch für private „Webcaster“ nicht – eine Tatsache, die derzeit für heftige Diskussionen unter den Akteuren sorgt. Der Radio-Macher muss neben den eigenen Kosten zusätzlich auch obligate Abgaben an die Verwertungsgesellschaften GEMA und GVL leisten. Bisher waren diese jedoch relativ moderat und für jeden nichtkommerziellen Anbieter auch bezahlbar. Doch nun droht eine kräftige Erhöhung – was, so die Befürchtung der Radio-Community, für rein unkommerzielle Betreiber zum schnellen Kostengrab werden könnte. Schon formiert sich im Web ein erbitterter Widerstand gegen die Pläne. Wenn es in Deutschland zu teuer wird, wird vereinzelt gedroht, dann sende man eben schwarz oder gleich aus dem Ausland. Denn wo der Server zur Musikübertragung genau steht, spielt für die Anbieter keine Rolle. GVL-Chef Tilo Gerlach beschwichtigt: „Für nicht-kommerzielle Anbieter beträgt die Grundvergütung höchstens 500 Euro pro Jahr – damit ist das Webcasting von einer Million Titeln abgegolten, was für viele private Webcaster ausreichen dürfte. Die Proteste sind daher wohl eher auf die zum Teil bestehende Unkenntnis über den neuen Tarif zurückzuführen. Sie werden von aber uns sehr ernst genommen.“
Zudem drohen weitere Beschränkungen des Angebots: So soll es den Sendern untersagt werden, innerhalb von drei Stunden mehr als vier verschiedene Titel eines Künstlers oder drei verschiedene Titel von einem Album zu spielen. Tilo Gerlach erklärt die in der Tat nicht sinnvoll erscheinenden Regelungen: „Diese Nutzungsbedingungen entsprechen internationalem Standard und sind in den USA gesetzlich geregelt. Nur wenn sie eingehalten werden, können entsprechende Webcasting-Lizenzen kollektiv erworben werden.“ Es ist dennoch nahe liegend, dass diese Argumentation bei den Radiobetreibern auf wenig Verständnis stößt. Da will man lediglich sein musikalisches Herzblut spielen – und sieht sich dann mit strengen Paragrafen konfrontiert. Zudem soll es bald auch nicht mehr möglich sein, archivierte Radiosendungen – wie es etwa die BBC anbietet – online abzurufen.
Und auch Ingo Hermann freut sich über die neuen Bedingungen nicht: „Was ich davon halte, kann man sich ja denken.“ Doch noch lässt sich Stone-FM dank seiner auch in monetärer Hinsicht loyalen Hörer ganz gut über die Runden bringen. „Unser Sendebetrieb finanziert sich ausnahmslos aus Spenden unserer Hörer und über den Verkauf von T-Shirts mit unserem Logo“ freut sich Hermann, und sieht darin den Beweis, dass „Menschen für Kultur durchaus Geld auszugeben bereit sind“. Der positive Nebeneffekt: Auf störende Werbe-Einblendungen kann hier verzichtet werden.