„Woke-Wahnsinn“ oder zeitgemäßes Update? Verlag stellt Sprache von Roald Dahl auf Prüfstand
Es gibt mächtig Ärger wegen Änderungen in den Werken des englischen Bestseller-Kings
Der Im November 1990 im englischen Oxford verstorbene Bestseller-Autor Roald Dahl gilt als Meister des schwarzen Humors. Der Ex-Soldat im Zweiten Weltkrieg schrieb anfangs Militärprosa, später dann Kinder- wie Erwachsenenbücher. Wobei er selbst auf Grenzlinien für Literatur für „Jung“ und „Alt“ stets verzichtet hat. Sein erster „Kinderstoff“ entstand 1943 mit „The Gremlins“; der Jahrzehnte (1984) später als US-Horrorkomödie verfilmt worden ist.
Die Kinder-Fantasie „Charlie and the Chocolate Factory“ wiederum, erfolgreich verfilmt mit Johnny Depp, sprengt in seiner knallbunt-psychedelischen Reise durch eine Schoko-Fabrik alle Kategorien. Auch durch seine schrullige Eigenwilligkeit konnte (der vielfach umstrittene) Dahl weltweit mehr als 200 Millionen Bücher verkaufen. Übersetzungen gibt es in über 60 Sprachen.
33 Jahre nach seinem Tod gibt es nun neue Aufregung um seinen schriftstellerischen Nachlass.
Ein Bericht des „Daily Telegraph“ löste unter dem Titel „The Re-Writing of Roald Dahl“ eine munter mäandernde Debatte aus. Nun berichten auch der „Guardian“ und andere UK-Medien, dass der Verlag „Puffin Books“, eine Subdivision des Buchgiganten Penguin Random House, eine Überarbeitung an Dahls Büchern vorgenommen hat. „Mit Blick auf ein modernes Publikum“, wie es bei Puffin Books heißt.
Nicht mehr „enorm fett“, sondern nur noch „enorm“
Kritiker, darunter auch Booker-Preisträger Salman Rushdie, werfen den Verlegern dagegen „Zensur“ vor, nachdem eine Überprüfung der neuen Auflagen ergeben hatte, dass einige Passagen, die sich auf Gewicht, psychische Gesundheit, Geschlecht und Rasse beziehen, im englischen Original verändert worden sind.
So ist Augustus Gloop, Charlies gefräßiger Widersacher in der Schokofabrik aus dem Jahr 1964 nicht mehr „enorm fett“, sondern nur noch „enorm“. In 2023-Version von „Witches“ kann eine übernatürliche Frau, die sich als gewöhnliche tarnt, nunmehr auch als „Spitzenwissenschaftlerin oder Geschäftsführerin“ arbeiten. Und nicht nur als „Supermarkt- Kassiererin oder Schreibkraft für einen Geschäftsmann“. Das Wort „schwarz“ wiederum wurde aus der Beschreibung der bösartigen Traktoren in „Der fabelhafte Mr. Fox“ aus den Siebzigern komplett entfernt. Die gemeinen Maschinen sind nunmehr „mörderische, brutal aussehende Monster“.
„Roald Dahl war sicher kein Engel, aber DAS ist absurde Zensur“, schrieb Salmon Rushdie seinem Twitter-Account: „Puffin Books und der Dahl-Nachlass sollten sich schämen ….“
Diese aktuelle Kontroverse in Großbritannien erinnert, obwohl anders gelagert, an die hiesige „Winnetou“-Aufregung aus dem letzten Jahr. Oder auch um das woke Aufhübschen der Saga des schwedischer Rebellenikone Pippi Langstrumpf auch in der deutschen Übersetzung.
Hüben wie drüben geht es um so genannte „kulturelle Sensibilitäten“. Aktivisten versuchen, junge Menschen vor kulturellen, ethnischen und geschlechtsspezifischen Stereotypen in der Literatur und anderen Medien zu schützen. Deren Kritiker bemängeln, dass solche Anpassungen im Hinblick auf die „Empfindlichkeiten des 21. Jahrhunderts“ („Guardian“) das Gesamtwerk großer Künstler glattbügeln – und somit die Leserschaft daran hindern, selbst ihre Schlüsse aus dem zu ziehen, wie vor Jahrzehnten nun mal geschrieben worden ist. Wer genau sich „empfindlich verletzt“ fühlt, bleibt auch in diesem Fall unklar.
Die Sprache jedenfalls wurde in Zusammenarbeit mit der NGO „Inclusive Minds“ überprüft: Das (durchaus umstrittene) UK-Kollektiv setzt sich dafür ein, besonders Kinderliteratur inklusiver und zugänglicher zu machen. Alle Änderungen seien „klein und sorgfältig überlegt“, so die Organisation.
Die „Roald Dahl Story Company“, die als Rechtsträger der Bücher den Nachlass von Dahl verwaltet, bezieht zumindest Stellung. Sie habe mit Puffin Books bei der Überarbeitung kooperiert. In einer Stellungnahme heißt es, man wolle, dass „Dahls wunderbare Geschichten und Figuren auch heute noch von allen Kindern genossen werden können“.
Die Werk-Analyse begann demnach im Jahr 2020, als Netflix die „Roald Dahl Story Company“ aufkaufte – und mit der vorbereitenden Produktion einer neuen Film-/Streaming-Generation auf der Grundlage der Dahl-Stoffe in Angriff nahm.
„Bei der Veröffentlichung neuer Buchauflagen ist es keineswegs nicht ungewöhnlich, die verwendete Sprache zu überprüfen und gleichzeitig andere Details zu aktualisieren, einschließlich des Covers und des Seitenlayouts eines Buches“, so die UK-Verleger. „Unser Leitprinzip war immer, die Geschichten, die Charaktere, die Respektlosigkeit und den scharfen Geist des Originaltextes beizubehalten“.
Auf Anfragen britischer Medien hat Puffin Books bislang nicht reagiert. Auch die deutsche Dependance der Bertelsmann-Tochter hält sich bislang bedeckt. Ähnlich wie im „Winnetou“-Streit ist davon auszugehen, dass es zu einem erneuten Aufflammen der Debette kommen wird. Zumal Netflix in absehbarer Zeit mit neuen Dahl-Verfilmungen an die Öffentlichkeit geht.
Über allem schweben die üblichen Streitfragen: Wie woke müssen historische Stoffe sein? Oder wie Gender-bewusst Literatur-Sprache von einst?