Weitab vom Britpop-Rummel kultivieren RADIOHEAD die musikalische Sinnsuche
Man ist anders, da draußen im Radiohead-Camp. Das psychische Handicap eines unglücklich gewachsenen Kiefers, die Jugend als Sonderling mit dem Stigma des Auf-dem-Pausenhof-rumgeschubst-werden – da will aus einem keine rechte Stimmungskanone werden.
Statt dessen wird man von Tonträger zu Tonträger immer epischer und ambitionierter und orchestraler und nennt die Stücke etwa „Paranoid Android“. Wenn Thom Yorke „I lost myself“ singt – eine Erfährung, die das Hören des dritten Albums „O.K. Computer“ auch bei Außenstehenden auslösen kann -, weiß man, daß Radiohead-Songs kaum als Anti-Depressiva taugen.
„Ich würde nicht behaupten wollen, daß es deshalb eine verztveifelte Platte ist“, meint Gitarrist Jon Greenwood. „Wir beschreiben die Dinge nur so, wie wir sie erleben, als photographische Bestandsaufnahmen. Die Stimmung ähnelt durchaus der von ‚The Bends‘ mit dem Unterschied, daß wir damals entschlossener klangen. Diesmal sind wir etwas… sagen wir: nachdenklicher. Außerdem haben wir zum ersten Mal ein Album selbst produziert. Kein Wunder, wenn’s jetzt doppelt intensiv klingt.“
Mit „Exit Song (For A Film)“, dem, so Jon, „wohl besten Stück, das wir je geschrieben haben“, geht es dabei in Richtung einer Soundtrack-Karriere, mit freundlicher Unterstützung von „Romeo & Julia“. Der Radiohead-Song „Talk Show Host“ untermalt eine Szene des Filmes, die „Exit Music“ ertönt schwelgerisch-düster zum Abspann.
Keine Überraschung, das: „‚O.K. Computer‘ ist so etwas wie unser eigener Film der letzten zwei Jahre. Die Bilder dazu würdest Du wahrscheinlich nicht ganz so fesselnd finden – und lieber vorspulen!“ Bis wohin denn? Etwa bis zur Hit-Single? Wo ist sie überhaupt?
„Wir sind nicht auf den kommerziellen Hit fixiert, sondern wollen über die Single-Auskopplungen lieber gleich zwei Alben anbieten. Mit den Bonus-Tracks auf den Singles kann man sich ein Parallel-Album basteln.“ Zum Start gibt’s „Paranoid Android“ mit zwei anderen Songs.
Thom Yorke äußert sich traditionell ungern zu seiner Arbeit. Über die Berichterstattung der Medien hat er sich so echauffiert, daß er neuerdings Interviews verweigert und über Mittelsmänner kommuniziert. Audienzen sind von der Tageslaune abhängig. Das Haus, in dem Radiohead „OK Computer“ aufnahmen, sei ein wenig unheimlich gewesen, erzählt Yorke: „Es war wie ein Sumpf, und wir steckten drin. Da passierte weirdshit – die Bänder liefen rückwärts, hielten an, wurden bespielt. Wir ließen sie überprüfen, aber es hörte nicht auf.“ Ein Märchen natürlich; nützlicher ist der Hinweis, Ybrke sei „stoned“ gewesen und habe sich den Spuk eingebildet, wie er zugibt.
Der Hokuspokus paßt zu den geheimnisvollen, seltsam schwebenden Sounds des Albums. „Die Angst war überall“, behauptet Yorke dramatisch – in dem scheinbar idyllischen Song, „No Surprises“ singt en „Such a pretty house/ Such a pretty garden/ No alarms and no surprises/ Please.“ Ein Bild wie der friedliche Garten in David Lynchs „Blue Velvet“. Und im Gras liegt ein Ohr.
Yorke will sich dieses monströse Album so bald nicht mehr anhören: „Ich möchte nicht an die Zeit erinnert werden.“