Weiße Jungs bringen’s doch
Soul ohne Knödel, Steely Dan ohne Stahl, Erwachsenenmusik mit Buben-Frisuren: Die befreundeten Bands Geschmeido und Tele spielen grandiosen Clubsessel-Pop
Dass es Musik für Eltern und Musik für Kinder gibt – die Vorstellung ist heute eh unhaltbar, nicht nur wegen der Rolling Stones. Aber trotzdem: Wenn einer auf dem E-Piano einen Jazz-Akkord anschlägt, dann gilt er- zumindest in unserem Kulturkreis, gefühlsmäßig – als erwachsen, erwachsener als einer, der Gitarrenrock spielt. Obwohl man damit eigentlich nicht „erwachsener“ meint, sondern: uncooler.
Die zwei Berliner Bands Tele und Geschmeido haben nun fast gleichzeitig zwei ganz großartige, in diesem Sinn sehr uncoole Platten veröffentlicht: Musik, wie man sie auf den Soundtracks von Achtziger-Fernsehserien vermutet, obwohl sie eindeutig keine Hommage sein soll. Die in Hotelbars zu passen scheint, aber in kein aktuelles Ausgeh-Club-Ambiente. In der Keyboards grundsätzlicher sind als Gitarren. Soul und Jazz, wie weiße Jungs sie sehen, im Zweifel näher am Lied des Entertainers als am Pop-Hit. Mit Rhodes-Piano, überraschenden Harmoniefolgen und Melodien, Goldaugen-Gesang, Harmonika, Saxofon und Erinnerungen an Stevie Wonder, Prefab Sprout, Steely Dan, freilich auch an Fleetwood Mac, Chicago und unbeliebte Sachen.
Viele merken’s wohl gar nicht, und die Idee selbst ist alt: Einige Fischermützen-tragende Post-Punk-Bands haben das so gemacht, Paul Weller auch, in der letzten Zeit Phoenix. Und doch sind die Alben „Wir brauchen nichts“ von Tele und „Auf Wiedersehen“ von Geschmeido etwas Besonderes: weil deutsche Bands Soul und Jazz sonst nur in völlig über-affirmativen, fürs Zielpublikum deutlich gekennzeichneten Formen spielen. Und weil in einer Zeit, in der Indie-Rock-Abstammer wie Wir sind Helden wahnsinnig viele Platten verkaufen, eine von Typen um die 30 gespielte uncoole Erwachsenenmusik paradoxerweise viel undergroundiger erscheint. „Im Second-Hand-Laden habe ich neulich alte Alan Parsons Project-Platten entdeckt“, sagt Tele-Gitarrist Tobias Rodäbel und tritt ohne Betäubung in die Liebe-gegen-Coolness-Falle: Mit den Alan-Parsons-Platten seiner Schwester ist er aufgewachsen. „Ich habe dann wieder reingehört und und sofort gemerkt: Ach, da kommt das her! Von da habe ich abgespeichert, wie ich heute meine Noten denke!“
Mit den üblichen Lieblingsplatten-Listen kann man die Frage schon irgendwie beantworten, warum die Musik jetzt so klingt. Obwohl da freilich eine Lebensform-Sache mitschwingt: „Die Typen, die in den Jugend-Gangs waren, haben Heavy Metal gehört, während ich in meinem Pink Floyd-Genesis-Universum war“, sagt Rodäbel. Sie seien eher unrebellische Jugendliche gewesen, meint Sänger Francesco Wilking, nur Bassist Jörg Holdinghausen sei mal Punk gewesen und habe eine Band namens Kalter Krieg gehabt.
Tele und Geschmeido entstammen derselben Musiker-Clique aus Freiburg, haben heute noch denselben Schlagzeuger. Sind zuletzt beide nach Berlin umgezogen und teilen dort, in einem schönen Hinterhofbüro in Prenzlauer Berg – in dem natürlich früher ein Sado-Maso-Club und der Proberaum von acht dänischen Experimentalmusikerinnen war -, ein selbstgebautes Studio, in dem beide Alben großteils entstanden. Unterschied: Tele sind bei Universal Music untergekommen und verfolgen konzentriert die Popkarriere, Geschmeido hatten in den letzten sechs Jahren keine Veröffentlichung und sehen die Band bei allem Ehrgeiz mehr als Nebenjob. „Die Musik entsteht ja auch dadurch, dass wir so was wie hier zur Verfügung haben“, sagt Geschmeido-Sänger Philippe Frowein und deutet in den schnuffeligen Aufnahmeraum des „Mixdiemotions“-Studios. „Wenn wir in einem fremden Studio arbeiten und alles ganz schnell machen müssten – wer weiß, vielleicht wären es dann auch wieder schnelle Gitarrenlieder geworden. Man könnte nie so komplex arbeiten wie hier.“ Auch das gibt es: Leute, die nicht deshalb unabhängig sein wollen, um sich Lo-Fi-Schrullen zu gestatten, sondern damit sie ihre Musik besonders aufwändig gestalten können. Leute, die so toll klingen wollen wie in einer Beverly-Hills-Produktion, ihre Berliner Hänger-Existenz dafür aber keinem Effizienzgedanken unterordnen würden. „Steely Dan faszinieren uns schon“, sagt Frowein, am Ende lachend: „Wie kann man so tolle Musik machen, so elegisch mit den Sounds arbeiten und gleichzeitig Leute zu Grunde richten, rausschmeißen, sechs Gitarristen ausprobieren? Dieses Größenwahnsinnige der Top-Acts, das spielen wir hier im Kleinen nach.“
Klar ist das nicht ganz dasselbe, gehen Geschmeido mehr ins virtuose Kunstlied und Tele mehr ins radiomäßig Soulige. Und eine Geschmacksfrage ist tatsächlich schwarz auf weiß dokumentiert: Die verchromten Saxofon-Licks auf Teles Song „Mario“ wurden für die Single-Version entfernt, weil sie einigen Bandmitgliedern zu cheesy waren. „Zum Entwurf von Soul gehört ja auch, dass da noch etwas über der Musik steht, unter das die Musik sich unterzuordnen hat“, sagt Tele-Mann Tobi Rodäbel. „Dass man sagen kann: Hey, du kannst an dieser Stelle nicht einfach ein Solo spielen, weil Soul so nicht funktioniert – das finde ich legitim.“ Irgendwie doch eine sehr erwachsene Sicht der Dinge.