Weihnachtsgeschenke: Die besten Musikbücher des Jahres 2016

Dylan, Cash, Moby, Carrie Brownstein und mehr – dies sind die Anthologien, (Auto-)Biografien und Porträts, die zum Besten gehören, was 2016 auf dem deutschen und internationalen Buchmarkt erschien.

Jörg Heiser  – Doppelleben. Kunst und Popmusik

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Jörg Heiser war in den Neunzigern mal Sänger und Texter der leider fast vergessenen Hamburger Diskursrockband Svevo und ist heute Chefredakteur des Londoner Kunstmagazins „Frieze“. Er ist also schon rein biografisch ein Go-Between zwischen Pop und Kunst. In seiner Abhandlung „Doppel­leben“ widmet er sich nun weniger der Vermischung der beiden Gattungen als vielmehr dem Wechsel von einem Kontext zum anderen, und zwar anhand von Warhols Einstieg in die Popmusik mit Velvet Underground im New York der mittleren und John Lennons Wechsel in die Performance-Art mit Yoko Ono im London der späten 60er-Jahre.

Und er fragt am Beispiel der Kunst-, Krautrock- und Kraftwerkstadt Düsseldorf, warum ähnliche Entwicklungen in der Bundesrepublik ausblieben. Schließlich folgt er den Spuren, die Brian Enos „apollinischer Tagtraum“ und Throbbing Gristles „dionysischer Alptraum“ – beides Synthesen von Kunst und Pop –in den Werken zeitgenössischer Künstler wie Carsten Nicolai und Fatima Al Qadiri hinterlassen haben.

Da der Text ursprünglich als Doktorarbeit angelegt war, muss man sich erst durch etwa hundert Seiten akademisches Gebimmel lesen, bevor Heiser in medias res geht. Doch was er anschließend über Warhols Inszenierungen, dessen Verhältnis zur Gegenkultur und das The Velvet Underground zugrunde liegende (sehr klassische, sehr europäische) Künstlerbild zu sagen hat, wie er die Kunst und Rezeption Yoko Onos und ihr Verdienst um die Politisierung der Popstarrolle mit den Mitteln der Kunst skizziert und die missglückte Liaison von Joseph Beuys und Popkultur analysiert: Das liest sich äußerst spannend und eröffnet eine neue interessante Perspektive auf die Werke der genannten Künstler.

(Philo Fine Arts, 28,80 Euro) Maik Brüggemeyer

Tilman Baumgärtel – Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops

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Loop: Es gab mal eine Band, die so hieß und gar nicht schlecht war. Und es gibt natürlich das Stilmittel in Kunst und Musik, die kurzen, repetitiven Ton- oder Bildsequenzen. Man muss schon ein popverliebter Medienwissenschaftler sein, um derart tief in ein derart spezielles Thema einzutauchen.

Dass die Lektüre Spaß macht, hat wiederum mit Tilman Baumgärtels erzählerischen Qualitäten zu tun. Er spannt den Bogen von Elvis Presley bis Richie Hawtin, von Karlheinz Stockhausen bis Genesis P‑Orridge, von deutschen Toningenieuren zu amerikanischen Filmkünstlern, von Echo­Sonic-Verstärkern zu Laptops. Der Fußnotenterror hält sich in Grenzen, klüger wird man dennoch.

(Kadmos, 24,90 Euro) Sebastian Zabel

Robert Hilburn – Johnny Cash. Die Biografie

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Der tote Bruder, der hartherzige Vater, „Folsom Prison Blues“, die Pillen, die nicht enden wollenden ­Konzertreisen, die erste Ehe, die Kinder, die Zusammenbrüche, die Wieder­auferstehungen, schließlich June Carter: Es ist alles da in diesem 832 Seiten starken Werk.

Der renommierte Musik­journalist Robert Hilburn wandert die wohlbekannte Cash-Dramaturgie hier unterhaltsam, jedoch ohne originelle ­Gedanken ab. Die besondere Existenzberechtigung des Buches findet sich erst im starken letzten Viertel, in dem sich der Autor mit offenkundiger Empathie Cashs Spätwerk und Niedergang widmet. Die definitive Cash-Bio­grafie hat Hilburn hier allerdings trotzdem nicht vorgelegt.

(Berlin, 34 Euro) Jan Jekal

Gareth Murphy  – Cowboy & Indies

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Laut Gareth Murphy wurde die Geschichte der Musikindustrie von drei Faktoren bestimmt: technischen Neuerungen, musikalischen Ausnahmetalenten und den „record men“ im Hintergrund, deren Leidenschaft entweder für Musik brannte oder die, wie der einst selbst in der Industrie tätige Autor mehrfach schreibt, „ein erotisches Verhältnis zu Geld“ pflegten. Auf knapp 400 Seiten versucht Murphy die Geschichte eines ganzen Wirtschaftszweigs aufzurollen, von der Erfindung erster Tonkonserven bis zum Streamingdienst. Im Mittelpunkt stehen die schillernden Geschäftsmänner, etwa Columbia-Präsident Goddard Lieberson, der seine Telegramme gern mit „God“ unterschrieb, oder Ahmet Ertegun, dessen Zockernatur seine Untergebenen oft an den Rand des Nervenzusammenbruchs brachte. Dass die Industrie dann ausgerechnet mit der psychedelischen Musik der Gegenkultur die ersten wirklich exorbitanten Gewinne einfuhr und Anwalts­mannschaften, standardmäßigen Knebelverträgen und gerissenen Managertypen wie Allen Klein Tür und Tor öffnete, ist eine Ironie der Geschichte. Vieles davon wird in „Cowboys & Indies“ nur angerissen, oft kann sich der Autor nicht entscheiden, welchen Aspekt er in den Vordergrund stellen will: die Formate, die Firmen oder die Musik. Ansonsten gelingt dem Buch, was jedes gute Geschichtswerk auszeichnet: die Gegenwart in eine größere Narration einzuflechten und Parallelen zu früheren Ereignissen aufzuzeigen. Gleich zu Beginn zitiert er einen Zeitungsartikel, der Euphorisches über das gerade erst entwickelte Radio prophezeit: „Alle Völker dieser Erde würden ihren Ohren nicht trauen, wie viel Informationen auf sie einprasseln werden.“ Nur acht Jahre später warnte eine andere Zeitung vor der „draht­losen Telegraphen-Blase“.

(Edition Tiamat, 24 Euro) Fabian Peltsch

Fundus
Kadmos
Berlin Verlag
Edition Tiamat
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