„Watt En Schlick–Fest“-Chef Krägeloh: „Montreux des Nordens sein: Das wäre schön“
Wie holt man seine Lieblingsbands nach Friesland – und was macht man bei Schietwetter? Ein Gespräch mit „Watt En Schlick-Fest“-Leiter Till Krägeloh über die Verwirklichung eines Traums: ein Festival in der Provinz.
Mit dem „Watt En Schlick-Fest“ hat nicht nur die Region Friesland, sondern ganz Norddeutschland ein sympathisches Festival in schöner Umgebung dazugewonnen: Direkt am Meer gelegen, treten in Dangast bei Varel Bands, Solokünstler und Autoren vor einem altehrwürdigen Kurhaus am Wattenmeer auf.
Das Event, das in diesem Jahr von 21. bis 23. Juli stattfindet, wird immer bedeutender. Leiter Till Krägeloh konnte in den vier Jahren des Festival-Bestehens bereits Acts wie Element Of Crime, Wanda, Kakkmaddafakka, Weekend oder Sophie Hunger gewinnen, fördert aber auch lokale Künstler. In diesem Jahr sind die Headliner des dreitägigen Events Bilderbuch, Jamie Lidell und Joy Denalane.
Ein Gespräch mit über Wünsche, Watt und Wetter.
ROLLING STONE: Das „Watt En Schlick-Fest“ bewerben Sie als „schönstes Festival aller (Ge)Zeiten“. Welche Umwelt-Auflagen müssen eigentlich erfüllt werden?
Till Krägeloh: Einige. Das Fest findet ja an einem besonders schützenswerten Ort statt, am Wattenmeer. Die Idee ist, Kunst und Natur im Einklang miteinander zu verbinden. Dafür gibt es genau an diesem Ort, dem Strand am Kurhaus Dangast, Vorbilder, die das vorgelebt haben. Zum Beispiel die Künstler Eckart Grenzer oder Anatol, der über die „Documenta“ Bekanntheit erlangte. 1984 hatte Grenzer hier unter großer Aufregung einen steinernen Riesenphallus am Strand errichtet, der bis heute steht. Oder der Beuys-Schüler Anatol, der 1977 ein Schiff aus Polyester gebaut hat, das aussah wie ein riesiges Papierschiffchen. Mit dem ist der Dangaster Kapitän Anton Tapken dann nach Kassel zur Documenta geschippert. Es gibt hier schon lange eine künstlerische Tradition, den Ort mit kreativen Ideen zu füllen – aber immer mit Bedacht und Rücksicht auf die Natur und die Menschen. Und in dieser Tradition sehen wir auch unser Festival.
Wie stellt man denn die Anwohner im Kurort, die nicht Lust auf Musik haben, zufrieden?
Alle Bewohnerinnen und Bewohner Dangast erhalten vergünstigte Tickets, wenn sie das möchten. Zudem gibt es ja neben der Musik auch leisere Angebote wie Literatur, Film, Kunstaktionen, leckeres Essen und die Deutschen Meisterschaften im Schlickrutschen. Darüberhinaus haben wir ein wunderbares Soundsystem, das dafür sorgt, dass der Ort und seine Bewohner nicht beeinträchtigt werden.
Ich habe die ersten 19 Jahre meines Lebens in der Region verbracht, und ich weiß aus eigener Erfahrung: Die Gegend gilt im Bereich Konzerte, von Festivals gar nicht erst zu sprechen, eigentlich als öde. Welchen Hürden standen Sie gegenüber, um das „Watt En Schlick“ erstmals zu veranstalten. Warum glaubten Sie, dass das Event in Dangast funktionieren könnte?
Natürlich brauchte es Überzeugungsarbeit, aber es waren genauso auch viele Menschen Feuer und Flamme für die Idee, ein solches Fest am Strand des Kurhauses Dangast zu machen. Klar gab es die üblichen Vorbehalte: zu teuer, zu laut, zu viel Arbeit – das ist normal. Wenn man etwas Neues schaffen will, muss man am Anfang auch kämpfen. Wir haben hier das Glück, viele tolle Leute um uns herum zu haben, die sich mit der Sache identifizieren können. Unsere Vision ist, hier hier ein sogenanntes „Montreux des Nordens“ zu schaffen. Zugegeben kein kleines Ziel, aber für mich zählt hier in erster Linie der Weg dahin: Das ist unglaublich spannend und bereichernd! Wenn es uns weiterhin, so wie in den letzten Jahren gelingt, das Festival inhaltlich immer weiter zu verfeinern, dann wird ein unverwechselbarer Charakter entstehen. Der Nährboden dafür ist ideal: der Ort Dangast mit seiner künstlerischen Tradition, das Kurhaus, in dem stets Freigeister jeglicher Couleur willkommen waren, und die wirklich einzigartige Natur, die eine ganz eigene Magie entfaltet.
„Rocko Schamoni und sein Tontechniker lieferten sich den besten Schlagabtausch“
Welche Erfahrungen fanden Sie bislang am schönsten?
Sophie Hunger, Bilderbuch 2015 und Element of Crime gehören zu meinen persönlichen Highlights. Es ist aber wirklich schwer, einzelne Geschichten hervorzuheben, weil die Stimmung ingesamt so beeindruckend ist. Letztes Jahr war es wunderschön: FM Belfast hatte gerade gespielt und alle waren ganz beseelt und guter Laune, die Bötchen schaukelten auf dem Wasser und der Sonnenuntergang war besonders malerisch … 2015 lieferten sich Rocko Schamoni und der Tontechniker Helmut Döbler einen wunderbaren Schlagabtausch vor der Show. Das ganze Zelt war schon voller Zuschauer – es war dieses Unperfekte, was diese Einlage zum perfekten Moment machte. Ich habe geweint vor Lachen, der ganze Stress der vorherigen Tage fiel von mir ab.
Wie binden Sie lokale Künstler ein?
Wir versuchen immer wieder lokale Künstler einzubinden und ihnen eine Plattform zu bieten. Lokal ist für uns der nordwestliche Bereich. Hier schauen wir sehr genau hin. Es ist mir wichtig, jungen Künstlern wirklich eine Bühne zu bieten und sie nicht als Lückenfüller zu missbrauchen. Ich sehe das wirklich so: Jeder Künstler, jede Künstlerin, die ich einlade, ist schon ein großer Künstler.
Zumindest das Wetter spielt an der friesischen Küste ja nicht immer mit …
Beim ersten „Watt En Schlick“ 2014 hatte das Wetter gar nicht mitgespielt, es kamen viel zu wenige Leute, es hat geregnet und war kalt – eine Katastrophe, auch finanziell. Danach musste ich mich oft erklären und ziemlich kämpfen. Aber ich bekam auch riesige Unterstützung, vor allem aus meinem direkten Umfeld. Diesen Menschen bin ich zu großem Dank verpflichtet! 2015 erinnere ich mich an den Aufbau: Die Woche vor dem Fest hat es nur geregnet und gestürmt. Aber es war ein wahnsinnig tolle Moral im Team, obwohl alle nach zwei Tagen schon durch waren. Pünktlich zum Festivalfreitag kam die Sonne und blieb. Es war genial!
Was macht den Reiz des Küstenstädtchens Dangast aus?
1907 hatten die expressionistischen „Brücke“-Künstler Erich Heckel, Karl Schmidt Rotluff und später Max Pechstein das damalige kleine Fischerdorf Dangast für sich entdeckt. Sie waren fasziniert von der Landschaft, dem Licht, den Sinneseindrücken und auch dem malerisch gelegenen Kurhaus, das auf einem Geestrücken oberhalb der See regelrecht thront. Die Künstler fanden hier Meer, Watt, Geest, Moor und Marsch auf engstem Raum und ineinander verwoben. Mit Franz Radziwill kommt 1921 ein weiterer Künstler nach Dangast, der sich sogar dauerhaft niederließ.
Heute gilt das Kurhaus, vor dem Sie ihr Festival errichten, als kreatives Zentrum der Region.
In den 1970er-Jahren wurde das Kurhaus erneut zum Treffpunkt für viele Künstler u.a. aus dem Beuys-Umfeld. Rund um das Haus wurden viele Kunstaktionen veranstaltet – immer mit großer Unterstützung des damaligen Wirts Karl-August Tapken, der den liberalen Geist im Kurhaus sehr geprägt hat. Er besorgte auch Material für die Künstler und stellte seinen Kurhaus-Saal als Atelier zur Verfügung. Selbst Joseph Beuys rückte einmal mit breiter Hutkrempe und fettem Bentley in Dangast an. Das erste Punkkonzert in der Gegend fand natürlich auch im Kurhaus statt. Im Kurhaus durfte man immer sein, wer man ist. Das ist bis heute so. Jeder ist willkommen.
Wie sind Sie auf die exakt richtige Position der großen Bühne am Strand gekommen? Mein erster Gedanke wäre gewesen, nicht den Strand, sondern die Wohnwagen-Wiese daneben zu nehmen.
Dies war auch mein erster Gedanke, aber eine Bühne am Strand ist doch viel romantischer. Am Ende hat es einfach am besten dort gepasst, direkt am Strand mit Blick auf Schlick.
„Träumen darf man ja: Vielleicht schauen Radiohead mal vorbei“
Wie stellen Sie sich „Watt En Schlick“ für die nächsten Jahre vor?
Ich sehe das Fest in ständiger Entwicklung, in einem Prozess, es wird nie fertig sein – selbst, wenn es in einigen Jahren etabliert sein wird. Das „Watt En Schlick“ ist kein Event, sondern eine Utopie, die mit Leben gefüllt wird! Tja, wer soll kommen: Prince ist leider gestorben, aber Radiohead werden hoffentlich eines Tages mal vorbeischauen. Träumen darf man ja, oder?
Stehen Sie in Kontakt zu anderen Veranstaltern? Gerade im Norden ist ja auch die Konkurrenz unter kleineren Festivals nicht so groß …
Ja, als kleine Boutique-Festivals tauschen wir uns schon aus, z.B. haben wir zum „Appletree“ und zur „Breminale“ einen guten Kontakt. Natürlich gibt es auch Konkurrenz. Aber ein „Deichbrand“ und ein „Hurricane“ sehe ich gar nicht als große Konkurrenz, da diese Festivals einen ganz anderen Charakter haben. Hier in Varel läuft das eigentlich ganz wunderbar: Es wird sich immer in großer Runde einmal im Jahr getroffen, dann wird diskutiert, sich abgestimmt und am Ende steht bei allen auch der Wunsch, das „Watt En Schlick Fest“ stattfinden zu lassen.
Welches ist das schönste Lob, das Sie bislang für das Festival bekommen haben?
Was mich wirklich berührt, ist diese beseelte Zufriedenheit, die die Gäste auf dem Fest haben. Mein Eindruck ist es, dass sich alle sehr freuen, dass es so etwas gibt an einem solchen Ort. Das Lachen der Menschen macht mich glücklich.
Till Krägeloh, 35, ist studierter Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler. Der gebürtige Marburger arbeitete 15 Jahre als Kellner im Dangaster Kurhaus. Ab 2012 übernahm er dort Organsation und Durchführung von Kulturveranstaltungen (Lesungen, Film, Musik). Er war Projektleiter beim Filmfest Oldenburg, 2014 erfolgte die Firmengründung und Leitung des „Watt en Schlick Fest“. Aktuell ist Krägeloh Marketingleiter im Bereich Event & Sponsoring bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen.