„Was zählt, ist der einzelne Song“
WENN ES EINEN BRIT-AWARD FÜR DIE NETTESTE BAND gäbe – Travis würden ihn jedes Jahr konkurrenzlos gewinnen. Zum Beweis stellt Fran Healy beim Interview trotz brütender Mittagshitze erst mal den Ventilator hinter dem flauschigen Sofa, auf dem er und Gitarrist Andy Dunlop Platz genommen haben, ab, damit auch ja keine Störgeräusche das Abhören des Diktiergeräts erschweren. Die beiden Travis-Musiker wirken so gelassen und im Einklang miteinander, als kämen sie geradewegs von einem Yoga-Kurs in Prenzlauer Berg, wo Healy seit mehreren Jahren wohnt und wo er auch die Songs für sein 2010 erschienenes Soloalbum „Wreckorder“ geschrieben hat. Heute sagt er, das Album sei für ihn „die Reflexion des Moments, in dem alle auseinandergingen“. Damals schien die Band gefangen in den Mühlen der Veröffentlichungs-und Tour-Maschinerie. Travis brauchten Abstand von Travis. Für ihr siebtes Album, „Where You Stand“, näherten sie sich langsam wieder an – und beschlossen, sich weder von der Vergangenheit noch von der Zukunft verrückt machen zu lassen.
Ihr lebt in verschiedenen Städten in verschiedenen Ländern. Wie kann man unter diesen Umständen eine Platte aufnehmen?
Andy: Wir haben gelernt, keine Zeit mehr zu verplempern. Vorher waren wir drei Wochen in einem Studio. Jetzt macht sich jeder seine Gedanken und wir brauchen nur noch eine Woche, um die Ideen zusammenzutragen.
Fran: Wir sind seit 17 Jahren in einer Band. Jeder weiß, wie sich der andere bewegt. Du kannst uns in einen Raum sperren, und eine Stunde später haben wir einen Song fertig, der klingt, als würden wir ihn schon seit einem Monat spielen.
Was war der Grund für die lange Pause nach dem letzten Album?
Fran: Nach zwölf Jahren Ehe mit dieser Band brauchten wir unsere Familien, unsere Kinder, um ein wenig Abstand zu gewinnen. Dadurch konnten wir irgendwann wieder Musik machen, ohne über Alben oder das Business zu sprechen.
Was hat denn dazu geführt, dass ihr doch wieder ins Studio gegangen seid?
Fran: Wir hatten ein Meeting, obwohl wir das sonst nie machen. (lacht) Nach einem Konzert rief ich alle zusammen und sagte: „Bevor wir weitermachen, möchte ich klarstellen, dass ich nicht mehr der alleinige Songwriter, der einzige Fahrer sein will. Ich denke, wir alle können Songs schreiben.“ Das Zweite, was wir gemeinsam beschlossen, war, dass wir uns nicht mehr ums Geschäftliche kümmern wollten. Und drittens nahmen wir uns vor, alle zwei Monate für eine Woche ins Studio zu gehen. Wir haben das dann fünfmal so gemacht in Berlin, London, New York, Brighton und in Norwegen.
Andy: Das Beste daran war, dass jeder voll bei der Sache war und mit gutem Material auftauchte. Als wir in Norwegen ankamen, fühlten wir uns wieder wie die selbstbewusste Band, die wir ganz am Anfang waren. Manche fragen uns, ob wir weiser geworden seien. Dabei geht es nur darum, Sachen zu vermeiden, die alles kaputt machen
Fran: Ah, deshalb hast du deine Songs auch wieder vom Album genommen. (Gelächter)
Andy: aber wir wollen uns nicht beschweren. Im Gegenteil, wir sind sehr dankbar. Wir haben einen wundervollen Job.
Fran: Jetzt klingst du wie dein Vater.
In den vergangenen Jahren hat sich einiges getan. Heute prägen Elektro-Popbands die Szene. Da klingt „Where You Stand“ schon etwas retro.
Andy: Das ist einfach unser Sound! Als „The Man Who“ rauskam, war die Situation ähnlich. Damals gab es viele wütende Gitarrenbands. Manche Leute sagten zu uns: „Was macht ihr da? Das ist kommerzieller Selbstmord.“
Im Vergleich zu „Ode To J. Smith“ wirkt das neue Album weniger experimentell. Wolltet ihr zurück zu den einfachen Melodien?
Fran: Für mich ist es das Experimentellste, was wir je gemacht haben.
Aber ist es nicht zumindest melodisch eine Rückkehr?
Fran: Mmh melodisch sicher. Alben waren schon immer die Produkte, die die Musikindustrie für den Verkauf geschaffen hat, angefangen bei „Songs For Swinging Lovers“, dann kamen die Beatles, und Pink Floyd und haben die Albumform bis an ihre Grenzen getrieben. Heute zählen dank iTunes wieder einzelne Songs, was ich großartig finde. Alben sind weniger sakrosankt. Das gibt uns als Band mehr Freiheit.
Andy: Das Internet komprimiert alles. Die Leute scannen das Angebot nach dem, was sie mögen.
Fran: Das fängt schon bei meinem Sohn an. Er hört am liebsten „Gangnam Style“, weil er dazu tanzen kann. Und „Bonkers“ von Dizzee Rascal. Und „Man In The Mirror“. Letztens habe ich zu ihm gesagt: „Wer ist der Mann im Spiegel? Das bist du.“ Und er hat gestaunt: (flüstert mit Kinderstimme) „Meeee!“
Im Video zu „Where You Stand“ seht ihr alle so relaxt aus, als wäre der Song tatsächlich der Punkt, von dem ihr zurückblickt und eure bisherige Karriere Revue passieren lasst.
Andy: Bisher musste sich jedes neue Album mit dem messen, was wir davor gemacht hatten. Diesmal haben wir nicht versucht, gegen irgendwas anzukämpfen.
Fran: Es kommt doch immer darauf an, aus welchem Blickwinkel man Musik betrachtet. Das ist wie das argentinische Tor gegen England. Die einen sagen, Maradona hat den Ball reingeköpft, die anderen behaupten, er habe ihn mit der Hand reingeschoben. Genie oder Betrug? It’s just about (Überlegt kurz) where you stand Oh no!