Was wäre der geilste Rave ohne theoretischen Unterbau?
Was wäre der geilste Rave ohne theoretischen Unterbau? Für Techno-Kids mit analytischen Neigungen liefert Techno-Literatur den Stoff fürs mentale Chillout
1995 begann mit den Büchern „techno“ und „localizer“ (in der Navigationstechnik ein Instrument zur Standortbestimmung) die Verschriftung von Techno – bezeichnenderweise just in jenem Jahr, in dem dieses Phänomen in puncto Popularität vielleicht seinen Höhepunkt erreichte. Vom Gipfel geht es bekanntlich nicht weiter nach oben, nur nach unten. Aber das will natürlich keiner hören, am allerwenigsten die eingefleischten Technoheads, die an die goldene Zukunft, das Techno-Paradies glauben und in ihren Träumen Kanzler Kohl über seinen Schreibtisch raven sehen. Denn die Welt wäre eben eine andere mit dem Techno-Tanz, mit Frieden, mit Liebe, mit Freude, alle zusammen in einem großen Stamm, „one tribe, one family“. Aber der hedonistische Überzeugungstanz durch die Institutionen dauert mittlerweile schon zehn Jahre. Solange hält keiner das Jetzt aus, sei es auch noch so spontan und lebendig und spaßig. Zur Tröstung gibt es Geld für die Veranstalter, Macher, DJs, XTC-Dealer – und die Plattenfirmen nicht zu vergessen. Für die Techno-Kids gibt es nur die Geschichte: da und dort, damals, Ursprung und Entwicklung. Auf dem Gipfel der Bewegung, hoch über den Wolken mit Fernsicht über die Welt, kann man sich so gemütlich zurücklehnen und nachblättern, woher man kommt, warum man wurde, was man ist, und was man sein wird, wenn alles so weitergeht. Die Sehnsucht nach dem Ursprung in 30 000 Meter Höhe mit Kontakt zum Weltraum. Von dort oben, mit der Geschichte in der Hand, sieht man es ganz deutlich: Die Vergangenheit hält Einzug und verwandelt das so schöne, genußvolle Ist in ein dröges War. Vor einem Jahr konnte man, auch wenn’s schon schwerfiel, noch eine Gleichzeitigkeit zwischen Geschriebenem und dem, was in der Party-Welt, nachts auf der Straße passierte, behaupten. Man konnte so tun, als ob. Die „Raving Society“ hatte noch Boden im Hier und Jetzt der Partywelt unter den Füßen. Ein Manifest („Was ist Techno? Was will Techno?“) war eine öffentliche Deklaration, die noch neugierige Hörer/Leser fand, die nicht schon alles kannten, für die nicht schon alles Schnee von vorgestern war. Techno-Geschichte hatte noch keinen faden Beigeschmack, die Namen der Techno-Protagonisten auf der Historienliste lasen sich noch relativ frisch, noch nicht wie eine Begräbnisliste. Der DJ durfte sogar noch als moderner Schamane bezeichnet werden, und die big stars des neuen big biisiness wie West Barn, Sven Väth oder Marusha hatten dagegen nichts einzuwenden. Sie fanden solch ethnologischen Vergleiche gar schmeichelhaft und schick. Auch die Massenveranstaltungen, auf denen von Mal zu Mal mit Equipment und Namen mehr und mehr geklotzt wurde, durften ungeschoren so groß und monströs werden, weil es um „Frieden, Liebe und Einigkeit“ ging. Namen wie die „Große Koalition“ wurden da ganz leicht weggesteckt. Auch die passenden Sponsoren paßten immer, ob in die Luft zum Air-Rave oder ordinär mit zwei Beinen auf dem Boden der „Love Parade“. Hauptsache „May Day, May Day, können Sie mich hören?“. Wer es nicht tat, war ein dummer, altmodischer Spielverderber und hatte schlechte Karten. Nun geht Techno also in Serie: „localizer 1.1.“ erscheint, „localizer 1.2.“ und „localizer 1.3.“ des „Die Gestalten Verlages, Berlin“ werden im September veröffentlicht- Nachfahren des legendären „localizer L0. – the techno house book“, das zusammen mit dem Buch „techno“ des Ricco Bilger Verlages aus Zürich erstmals Techno in Buchstaben faßte: Geschichte, Entwicklung, Ästhetik, Köpfe. Das nämlich war die Verschriftung von Techno, part one. Nun folgt part two – die zweite Generation. Man versucht sich nicht mehr an den ideologischen, programmatischen, inhaltlichen Grundpfeilern von Techno, sondern widmet sich den künstlerischen Folgen von Techno: Technoart. Und Technoart ist das Ergebnis, das sich bei der kreativen Arbeit mit dem Computer, an der Leinwand oder mit dem Foto-Apparat in der Hand ergibt, vorausgesetzt man hat Techno im Kopf. Und das heißt, frei sein von alten Denkschablonen, das Neue wagen, auf Abenteuerreise gehen, unentdecktes Land erforschen, rein in den Grenzbereich, rein in die Zukunft. Ganz deutlich aber wird hier auch die Vergangenheit, die man braucht, um der Technoart die Gegenwart zu übergeben für ein Leben im Jetzt: „die Ursprünge für das eitstehen von technoart sind ohne frage in der partybewegung zu suchen. es war eine neue generation, die sich aufmachte, in kellern, lagerhallen und industrieruinen für kurze zeit eine eigene umweit zu schaffen.“ („localizer 1.1.“) Es gilt „besondere augenblicke zu entdekken, die wir alle erfahren haben“. („localizer 1.1.“)Visualisiert werden techno und house tnusic „artgerecht“ natürlich mit Computerbildern -Fotoarbeiten, die sich von „normalen“ Arbeiten allenfalls dadurch unterscheiden, daß Raumschiffe darin segeln oder ein Silberstreif auf den Gesichtern liegt. Man darf bezweifeln, ob diese Fotos als Techno-Fotos wahrgenommen würden, wenn man sie in einem anderen Kontext präsentieren würde. Nichts Spezifisches, nichts wirklich Außergewöhnliches ist feststellbar, das es nur hier und nirgendwo anders gäbe. Was für die Fotografien gilt, gilt auch für die anderen Objekte, Bilder und Collagen: Was zu sehen ist, kann auch überall gesehen werden und wurde auch schon zum Großteil gesehen, in anderen Zusammenhängen, zu anderen Zeiten. Technoart als absolutes Spezifikum scheint nichts weiter als eine Fiktion und ist bestenfalls eine Stilfrage, eine spezielle Typografie im Universum der phantastischen, der Sci-Fi-Kunst. Und mit Eklektizismus ist die fehlende Eigenständigkeit wohl auch nicht zu erklären: „schon von den allerersten anfangen an zielten die künstler dieser neuen szene auf die Verschmelzung der eigenschöpfungen mit den kreationen anderer künstler.“ Das aber war noch nie ein Hinderungsgrund für Innovation. Die Definition des Begriffs Technoart im „localizer 1.1.“ erinnert stark an die Vorgehensweise des Buches „Techno Style“, das ’95 im Schweizer Olms-Verlag erschien. Dort wird in ähnlicher Weise suggeriert, daß es eine spezielle Techno-Grafik gibt; als Beweis führt man seitenweise Platten-Cover auf. Man blättert gerne in dem kompetent gestalteten Buch, aber daraus gleich eine „Techno-Grafik“ abzuleiten, ist auch hier wenig überzeugend. Suche ich in meiner CD-Sammlung nach typischen „Techno-Covern“, muß ich schnell feststellen, daß rund 50 Prozent der ausgewählten CDs mit Techno partout nichts gemein haben; viele sind sogar lange vor dem „Beginn des Techno-Zeitalters“ erschienen. Technoart und Technostyle haben dem denn auch herzlich wenig hinzuzufügen. Bezeichnenderweise umfaßt das Kapitel „Typografie“ im Techno Style-Buch gerade mal zwei Seiten; bei der Mode hingegen kommen die Herausgeber Martin Pesch und Markus Weisbeck auf sechs, bei der Party-, Event-, Rave-Abteilung immerhin auf vier Seiten. Die Geschichte von Techno ist in Tabellenform auf knappen vier Seiten dargestellt Plattencover und Flyer-Kultur bekommen dagegen über 100 Seiten. Ist ja auch viel wichtiger, schließlieh richtet sich „Techno Style“ als „unentbehrliches Handbuch zur Techno-Bewegung“ nicht nur an die Jünger, „sondern an alle Grafiker, Designer, Fotografen“. Damit sie aus dem Ansichtsmaterial schön easy das entnehmen können, was sie brauchen, um ihren Arbeiten das populäre und zeitgenössisch richtige Outfit zu verpassen. An dieser Stelle paßt es ganz gut, noch einmal zum „localizer 1.1.“ zurückzukehren und ein Beispiel herausgreifen, wie man sich technomäßig die Aufhebung von „kommerziell“ und „nicht-kommerziell“ vorstellen soll – übrigens eine der wichtigsten Leistungen, die Techno vollbracht haben soll. Also hier aus der Abteilung Technoart der Chroma-Park-Ausstelllung im Berliner E-Werk: Der „Camel“-virtual-mover ist „ein hypermodul, das, gesteuert von tonquellen, schnell ablaufende bildcollagen (max. 200 bilder/sec.) auf den bildschirm bzw. über videobeam auf die leinwand bringt“, bei dem „der anwender ganz persönliche bilderfolgen erstellen kann“. Die aktive Beteiligung des potentiellen Konsumenten am Kunstobjekt sei aber kein Versuch einer direkten Markenanbindung. Sicher, die Zigaretten des Sponsors sollen trotzdem gekauft werden, aber bitte schön im Tabakladen. Die beiden anderen „localizer“ (surreality/icons), die erst im Herbst erscheinen werden, schlagen auch in die ästhetische Kerbe: Techno und Design, Techno und digitale Bildästhetik. Wobei icons ein Sammelband mit Aufsätzen bekannter Kulturphilosophen (etwa Luhmann und Kittler) ist, die sich über Design-Strömungen, Neue Medien, Techno auslassen, und surreality die Arbeiten von Fotografen präsentieren wird, die Bilder mit Computer nachbehandeln und verfremden. Aber gleich „der Geschmack einer ganzen Generation“? „Camel“ vielleicht? „Kult und Chaos“ sollen gezeigt werden – jener Schnittpunkt, an dem laut Techno-Lingo „Alltagsrealitäten und Traumwelten zusammentreffen“. Der Schwammigkeit eine Schneise! Treffen nicht immer und überall Alltagsrealitäten auf Traumwelten? Dennoch: Techno hat inzwischen zu reflektieren begonnen und führt selbst Protokoll. Techno denkt über Zukunft nach und glaubt den Schlüssel (oder besser: die richtigen tools in der Hand, die bessere Software auf der Festplatte) zu haben. Und Techno natürlich im Kopf. Aber das haben schon viele gesagt: Man könne das Richtige vom Falschen deutlich unterscheiden. Tanz den Mussolini!