„Was mich früher befriedigt hat, bringt’s heute nicht mehr“ – Devin Townsend im Gespräch
Der ehemalige Sideman von Steve Vai hat bereits 30 Alben veröffentlicht. Sein beliebtestes, „Ocean Machine: Biomech“, führt Devin Townsend zum 20. Jubiläum nun live auf. Ein Gespräch über wahnwitzige Musikprojekte – und Penis-Sinfonien.
Auf sich aufmerksam machte Devin Townsend erstmals in den 1990ern als Sänger der kurzlebigen (und einfach „Vai“ betitelten) „Sex & Religion“-Band von Steve Vai. Townsends Lektion daraus: Als Sideman und musikalischer Dienstleister zu arbeiten, ist nicht so wirklich seine Sache.
Was auf diese Erkenntnis folgte, ist eine facetten- wie outputreiche Karriere zwischen Progressive Rock, Metal, Ambient und absurdem Musical. Ganze 30 Alben umfasst der Backkatalog des 44-Jährigen schon. Sein zweites, der Fan-Favorit „Ocean Machine: Biomech“, feiert dieses Jahr seinen 20. Geburtstag. Am Dienstag gastierte der Musiker und Produzent mit seinem Devin Townsend Project im Berliner Columbia Theater. ROLLING STONE traf Townsend vor dem Konzert zum Gespräch.
„Ocean Machine“ feiert dieses Jahr sein 20. Jubiläum. Was denken Sie heute über dieses Album?
Ein gewisser Teil davon ist wirklich romantisch. Dinge, die für meinen Sound heute selbstverständlich sind, waren zu jener Zeit eine wahre Neuigkeit für mich. Ich bin damals mit Sachen durchgekommen, die ich heute nie mehr so machen würde. Aber damals war es eben brandneu für mich. „Ocean Machine“ hat diese Energie, diese Naivität und diesen rudimentären Sound. Einen Song der Platte, „Things Beyond Things“, habe ich aufgenommen, als ich 19 war. Wenn ich das heute höre, ist ein Teil von mir ein wenig nostalgisch, ein anderer Teil verspürt aber Ekel. (lacht)
Ekel wovor?
Ich bin zwar immer noch eine seltsame Person, aber damals ich noch viel seltsamer. Das so ungeschönt von anderen zu hören, ist manchmal nicht leicht zu verdauen. Aber der Großteil der Platte war für mich etwas sehr spezielles – und ist es heute noch.
Befassen Sie sich ungerne mit ihrer Vergangenheit?
Nein, aber es ist doch so: Dein Leben wird zum Ausgangsmaterial, wenn du eine Platte schreibst. Als Resultat ist die Musik dann sozusagen das, was aus dem Auspuff rauskommt. Normalerweise habe ich kein Interesse daran, zu diesen Sachen zurückzukehren. Wenn ich es doch tue, dann bin ich oft enttäuscht von der Produktion. Man lernt ja während des Gehens. Ich habe zum Beispiel Jahre an „Infinity“ gearbeitet – und wenn ich mir das Album heute anhöre, ist es dieses verrückte, höhenlastige Geräusch-Chaos. Aber andererseits ich mache die Musik ja auch nicht für mich, sondern als Resultat meiner Person. Man versucht eine bessere, gesündere Person zu werden. Das, was passiert ist, existiert ja nicht mehr. Die Alben sind quasi Denkmäler, die mich daran erinnern, dass meine Musik mal existiert hat. Wenn ich mir aber alte Alben anhöre, dann tue ich mir schwer, mich in diese Zeit hineinzuversetzen.
Anlässlich des Jubiläums von „Ocean Machine“ treten Sie mit Orchester auf.
Ja – und was ich jetzt sage steht im Widerspruch zu dem, was ich vorhin gesagt habe: Was ich sehr wohl genieße, ist altes Material wiederzubearbeiten. Als Perfektionist, der so gar nicht perfekt ist, ist nichts von dem, was ich je gemacht habe, für mich zufriedenstellend. Die Möglichkeit, zurückzugehen und es nochmal zu versuchen – sei es mit Orchester oder für ein neues Album – ist für mich interessant. Ich denke mir, vielleicht schaffe ich es diesmal ja näher ranzukommen. Ich bin von einer Vision getrieben und wenn ich mich an irgendetwas aus der Vergangenheit erinnern kann, dann daran, was diese Vision war, die Intention, die Ästhetik, die Farben. Das ist für mich immer noch klar. Aber ich denke nicht, dass irgendetwas von dem, was ich gemacht habe, an die Vision auch nur rankam. Deswegen ist es aufregend, mit dem Orchester aufzutreten.
Gibt es Alben von Ihnen, die Ihnen nicht mehr gefallen?
Es kommt immer auf meinen Gemütszustand an. Wenn ich die Alben nicht hören möchte, klingen für mich alle scheiße. Aber wenn ich weiß, warum ich etwas wollte – wie bei „Deconstruction“: da denke ich, oh das ist toll, das ist gut artikuliert. Ich würde sagen „Casualties Of Cool“, vielleicht „Deconstruction“ und Teile von „Ki“. Die einzigen Platten, die nicht gut wurden, sind „Phycisist“, das selbstbetitelte Strapping-Young-Lad-Album und Teile von „Dark Matters“ [Der zweite Teil von Z2, Anm].
Können Sie schon von Ihrem nächsten Projekt erzählen?
Es heißt „The Moth“. Es ist massiv. Ich bin jüngst ins Sony-Büro nach London gegangen und habe sie um zehn Millionen Pfund gebeten, um es verwirklichen können. Sie haben nein gesagt. (lacht). Aber ich werde das Geld auftreiben. Sie haben nach einigen Verhandlungen eingewilligt, für einige sehr elaborierte Demos mit Orchestern und Chören und Artwork zu bezahlen. Ich werde dann mit mehreren Autoren zusammenarbeiten um es Geldgebern vorzustellen und ein Musical daraus machen. Das wird enorm, hoffe ich. Es ist ein heavy Project, das sich um Menschen, Sex, Tod und die Verbindung zum Unendlichen dreht. Orchester, Chor, Multimedia. Es wird außerdem sehr düster, denke ich.
Nichts also mit: zukünftig kleinere Brötchen backen.
Weißt du, ich habe jetzt 30 Alben gemacht. Ich bin wie ein Heroinsüchtiger: Das, was mich früher befriedigt hat, bringt’s heute nicht mehr. Früher, bei Ocean Machine, reichte mir ein Echo-Effekt, um daraus eine Platte machen zu wollen. Oder ein Song über die Liebe, ein paar Lyrics: Das kommt bei mir nicht mal mehr durch die Oberfläche, es muss ein 200-Leute-Orchester, ein Chor und Puppen sein. Und wenn’s um lyrische Konzepte geht: Ich bin Mitte 40, Liebe als praktisches Thema inspiriert mich einfach nicht mehr, ich brauche etwas, das auf der metaphorischen Ebene passiert. Das ist so, weil ich einfach soviel gemacht habe – und „The Moth“ ist ein Beispiel von einem völlig überdrehten Konzept, dass ich hoffentlich verwirklichen kann. Vielleicht läuft es auch darauf hinaus, dass es Bullshit ist und nur ein Mittelfingerzeig meinerseits: Dass ich eine Penis-Sinfonie schreibe und dafür ein paar Millionen Dollar auftreibe. Aber auch damit bin ich cool, wenn’s als Motivation dient.