Kribbeln für die Ohren: Was ist eigentlich ASMR?
Menschen, die vor Mikrophonen Raschel-Töne erzeugen und damit für Entspannung sorgen sollen. Was einst unabsichtlich und mit Amateur-Videos startete, wird nun von der Werbe- und Musikindustrie genutzt. Ein Erklärungsversuch.
Der Begriff ASMR tauchte erstmals 2009 Netz auf und beschreibt Geräusche wie zum Beispiel Flüstern, das Rascheln von Folie oder einfaches Fingertippen auf Buchoberflächen. Das Kürzel steht für „Autonomous Sensory Meridian Response“, deutsch: selbstständige, sensorische Meridian-Resonanz. Die Geräusche sollen entspannend auf die Zuschauer der ASMR-YouTube-Videos wirken. Diese Videos erreichen ein millionenfaches Publikum weltweit, und mittlerweile bezeichnen manche auch den Flüstergesang von Billie Eilish als „ASMR“.
„Trigger“ die „Tingles“ auslösen – Was genau sind ASMR-Videos?
In den YouTube-Videos sind meist Menschen zu sehen, die vor einem Mikrofon simple Geräusche entstehen lassen, die eine große Wirkung auf die Psyche und den Entspannungsprozess des Zuschauers haben sollen. Dabei wird mit flüsternder Stimme gesprochen, mit den Fingerspitzen auf unterschiedliche Oberflächen geklopft („Tapping“), Papier oder Plastik zum Rascheln gebracht („Kringle Sounds“), auf Computertastaturen getippt oder einfach Haare gewaschen oder gebürstet.
Betrachtet man ASMR-Onlineforen, so beschreiben mehrere Kommentare die Geräuschkulisse als ein Gefühl des Wohlbefindens, dass ein Kribbeln sowohl im Nacken als auch auf der Kopfhaut verursachen sollen. Während die Töne von der Community als „Trigger“ bezeichnet werden, lautet die Bezeichnung des dadurch entstehenden Effekts „Tingles“. Die YouTube-Videos sollen dazu genutzt werden Stress abzubauen oder als Einschlafhilfen zu dienen.
Forschungen zum Phänomen
ASMR-Videos erzielen nur Millionen Aufrufe auf YouTube, sondern erregen die Aufmerksamkeit von Psychologen. Denn auch die Studie von den Wissenschaftlern Agnieszka B. Janik McErlean und Michael J. Banissy der James Cook Universität in Singapur und der Goldsmiths Universität in London ergaben 2017, dass elf Prozent der Nutzer die Videos schauen würden, um Angstzustände zu lindern. Zwar steht die Forschung noch relativ am Anfang, doch so haben Wissenschaftler bereits erkannt, dass beim Schauen der Videos gewisse Hirnareale stimuliert werden, die für Empathie und Selbstwahrnehmung zuständig sein sollen. Die Ursache dafür ist jedoch noch unbekannt.
Zwar überlegt man auch ASMR-Geräusche in Therpie-Methoden einzubauen, doch sind therapeutische Nutzen noch nicht ausgereift. Dennoch bewiesen bereits Forscher der Universität Sheffield 2018, dass AMSR-Videos die Herzschlagrate reduzieren würde.
ASMR wird zum großen Erfolg
Eine der erfolgreichsten ASMR-YouTuber*innen, „Gibi ASMR“, hat mittlerweile 3,37 Millionen Abonnenten und erhält für ihre Videos Klicks im sechsstelligen Bereich. Auch im deutschen Raum finden solche Formate Anklang, so hat zum Beispiel der YouTube-Kanal von „ASMR Janina“ 368.00 Abonnenten und genauso viele Aufrufe wie ihre amerikanische Kollegin.
Angefangen hat das Phänomen unfreiwilligerweise mit Bob Ross. Der Fernsehmaler ist mit seinem Video viral gegangen, dabei handelte es sich um die Aufnahmen seiner Fernsehsendung „The Joy of Painting“, indem der Künstler Laien das Malen beibringen wollte. Durch seine sanfte Stimme wurde der aus Florida stammende Ross zum ASMR-Star.
Diesen Erfolg wollte auch die Werbeindustrie für sich nutzen, sodass Werbespot entstanden, die ASMR-Praktiken nutzten. Der schwedische Möbelkonzern Ikea strahlte 2017 zum Beispiel einen Werbespot aus, in der eine Frau 25 Minuten lang Einrichtungsgegenstände streichelte. Auch Zoë Kravitz machte 2019 Werbung in einem der teuersten Spots– in der Werbepause des Superbowls – für eine amerikanischer Brauerei, indem sie das Bier vor Mikrofonen mit ASMR-Techniken präsentierte.
ASMR-Geräusche in der Musik
Auch in der Musik lassen sich ASMR-Merkmale wiederfinden. Sängerinnen wie Billie Eilish sind besonders beliebt in der ASMR-Welt. Die 19-Jährige ist dafür bekannt in ihren Songs öfters zu flüstern oder mit ruhiger Stimme zu singen. Auch in der Videosingle „bury a friend“ beginnt das Musikvideo mit einem schrillen Geräusch, dass an das Reiben an einem Weinglas erinnert. Auch während des Liedes werden immer wieder Töne wie das Treten auf Glasscherben oder ein tiefer langer Bass eingebaut.
Der Psychologe Craig Richard beschreibt in seinem Buch „Brain Tingles“, in dem er das ASMR-Phänomen analysierte, die Sängerin und ihre beruhigende Wirkung auf viele Hörer:
„Billie Eilishs Gesang vermittelt ein Gefühl der Ruhe, das durch ihren entspannten Gesichtsausdruck noch verstärkt wird. Sie schmettert nicht oder drängt ihre Stimme heraus, ihre Lautstärke ist leise und ihr Ton bleibt gleichmäßig. Ihre Stimme und ihr Auftreten vermitteln ein Gefühl von Komfort und Ruhe, das an ASMR-Künstler auf YouTube erinnert“