Warum verursacht Musik Gänsehaut? Musikmedizin entschlüsselt Hör-Phänomene
Eckart Altenmüller ist Musikmediziner, Musikpsychologe und selbst Musiker. Darum ist er einigen Geheimnissen auf der Spur und analysiert auch, warum wir beim Hören die berühmte Gänsehaut bekommen können.
Musik ist ein untrennbarer Teil des menschlichen Lebens. Doch was beim Hören von Klängen konkret im Gehirn abläuft, ist nicht selten rätselhaft. Experten nähern sich in ihren Forschungen gewissen Mystiken der Musik, nennen sich Musikmediziner und Musikpsychologen.
Dass Klänge und Melodien heilsam auf die Seele wirken, wissen wir unlängst durch eigene Erfahrungen. Doch gewisse Phänomene, die wir als gegeben und natürlich betrachten, werden selten hinterfragt. So auch die Gänsehaut. Forscher wie Eckart Altenmüller gingen dem Phänomen nach und untersuchten, welche Prozesse im Gehirn ablaufen, während die Musik uns berührt.
Die Gänsehaut, so Altenmüller gegenüber der dpa, sei ein in der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Säugetiere herausgebildeter Reflex. „Er hängt ursprünglich mit der Wärmeregulation zusammen – daraus folgt die Gänsehaut. Offensichtlich hat sich der Reflex auf das Akustische übertragen. Der Mensch will so innere Wärme herstellen, Nähe und Verbundenheit mit anderen programmieren“, erklärte der Mediziner. Um eine Gänsehaut zu bekommen, müsse die Musik interessant sein, einen Strukturwechsel haben und Neues enthalten.
„Das Musikerlebnis hängt mit Erwartungen zusammen, die bei mir programmiert sind“, erklärt der Experte. „Häufig sorgt Musik, die man liebt, für Gänsehaut – auch die Musik eines Instrumentes, das man besonders mag, oder die menschliche Stimme. Sie ist wegen der Kommunikation das mächtigste emotionale Instrument.“
Eine Herausforderung für die Wissenschaft, nicht jedoch für den Musikmarkt, bleibe hierbei jedoch, dass jedes Hirn Musik anders hört und jedes Hirn Musik auch anders macht. „Es gibt große individuelle Unterschiede, und das hängt ganz stark mit der eigenen Lebensgeschichte zusammen. Wenn ich als Flötist einen anderen Flötisten höre, dann funktioniert mein Gehirn anders als das eines Nicht-Flötisten beim Hören des gleichen Stückes“, so Altenmüller im Gespräch mit der dpa.
Die Verarbeitung der Musik sei relativ gut ermittelt, auch wie komplizierte Bewegungen programmiert sind. Altenmüller und sein Forschungsteam haben Strukturveränderungen des Gehirns im Zusammenhang mit dem Musizieren festgestellt. „Zum Beispiel werden die Handregionen des Gehirns größer. Sie sind aber nur dann sichtbar, wenn man relativ spät mit dem Musizieren beginnt – so ab dem siebten Lebensjahr. Wer früher anfängt, hat gewissermaßen schon ein hochoptimiertes Gehirn, das mit der Vernetzung all das schafft, was man später erst durch Nervenmasse erreichen kann.“
Nützlich sei dieses gewonnene Wissen für vielerlei. Derzeit forscht Eckart Altenmüller in der neurologischen Rehabilitation unter anderem an einem „Verklanglichungskonzept“. Hierbei werden Patienten mit Sensoren ausgestattet, die die Position des Armes in Klänge umsetzen kann. „Geschwächte oder gelähmte Patienten können so mit Armbewegungen musizieren. Wir bringen ihnen bei, bestimmte Melodien mit dem Arm zu spielen. Mit neurologischer Musiktherapie wollen wir die Rehabilitation motivieren und erleichtern.“