5 Gründe, warum „Twin Peaks“ erneut TV-Geschichte schreibt

„Twin Peaks: The Return“ ist mehr als nur eine Fortsetzung der kultisch verehrten Mystery-Reihe aus den 90ern. Mit im TV bisher nie gesehenen Bildern und einer atemberaubenden erzählerischen Freiheit definiert David Lynch noch einmal neu, was das Serienfernsehen zu leisten in der Lage ist.

5. Die unheimlichsten Bilder der TV-Geschichte

Die große, 2001 leider verstorbene Filmkritikerin Pauline Kael urteilte einst zum Filmstart von „Blue Velvet“, dass David Lynch schlicht ein naives Genie sei und wohl der einzige (Kino-)Surrealist, der zum popkulturellen Phänomen wurde. Damit hatte sie durchaus recht, wenn man bedenkt, dass den wenigsten Zuschauern die Namen Maya Deren oder Jan Svankmajer etwas sagen dürften. Doch viel wichtiger ist Lynchs passionierte Inszenierung unheimlicher Zustände. Die erstreckt sich von der Darstellung surrealistischer Tableaus, über die Fragmentierung von Sinnzusammenhängen bis hin zur akustischen Atmosphäre der Filme, wonach das Rauschen einer Heizung genauso viel Bedeutung trägt wie der Monolog eines rückwärtssprechenden Zwergs.

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„Twin Peaks“ definierte sich in den 90ern durch einen heiter-komischen Kontrast zwischen einer im Grunde an der Oberfläche heilen Welt (in der es an perversen Außenseitern allerdings nie mangelte) und einem Verbrechen, das wie eine kosmische Wucht über das kleine fiktive US-Städtchen hinwegfegte. Suburbia-Kritik, wie sie von vielen amerikanischen Literaten und Filmemachern wie ein abseitiges Hobby gepflegt wird, war aber nie Lynchs Hauptbestreben.

Twin Peaks
Agent Dale Cooper in Twin Peaks.

Die Pointe, dass sich unter der zunächst glanzvollen Fassade aus Douglas-Tannen und verdammt gutem Kaffee Intrigen, Vergewaltigungen und natürlich eine Gegenwelt aus Glücksspiel und Drogenhandel finden lassen, ist nicht das mächtigste Wirkprinzip in „Twin Peaks“ gewesen. Allerdings war es in den ersten Staffeln der einzige düstere Horizont, der eigentlich nur kurz unter einem Schleier aus komischen Dialogen und merkwürdigen Geschichten hervorlugte. Treibstoff, um die Story voranzubringen.

Anders schon „Twin Peaks: Fire Walk With Me“. Der Film, zum Kinostart 1992 fast einhellig verrissen, inzwischen glücklicherweise rehabilitiert worden, ist all das, was die Serie im Fernsehen nie sein durfte: konkret, unheimlich,  düster, schockierend, sinnbefreit – ein Albtraum ohne Erwachen. „Twin Peaks: The Return“ setzt diesen Weg nun fort, knüpft an viele Bilder aus dem Kinofilm an, zeigt erschreckend explizite, stets aber hochabstrakte Gewalt und manifestiert das Unheimliche nicht nur als brodelnde Kraft des Bösen, die im dunklen Wald lauert.

Stattdessen ist das Unheimliche hier Legion: Ein finsterer, undurchschaubarer Doppelgänger von Agent Dale Cooper treibt sein Unwesen, kommt kurzfristig in den Knast und kann fliehen, nur weil er das Wort „Strawberry“ verwendet.  Der gute Cooper fährt in einen fahrigen, plötzlich zum Automaten verwandelten Typen namens Dougie Jones, der ohne Mimik und Geist einen Versicherungsbetrug aufdeckt und zuvor ein Casino mit geheimnisvoller Hilfe in den Ruin treibt. Und dann sind da noch die seltsamen Woodmen, der Riese in einer anderen Zeitdimension, ein Froschwesen, das vielleicht das Böse in die Welt trägt und überhaupt eine Atombombenexplosion, die zur Generalmetapher für dieses neue, kraftvolle „Twin Peaks“ geworden ist. Ein von Menschenhand geschaffener Schrecken, ein obszönes Bild der Vernichtung.

„Willkommen in Twin Peaks!“

Mit BOB (dargestellt von Frank Silva) schufen Mark Frost und David Lynch in den ersten Staffeln der Serie die Chiffre des absolut Bösen. Auch wenn es den Anschein hat, als würde sich das Serienfernsehen erst mit dem Boom der Qualitätsstoffe – von den „Sopranos“ bis „American Gods“ – wirklich ambivalenten Gestalten und maliziösen Charakteren zuwenden, so bewies „Twin Peaks“ nur, dass es auch in der Vergangenheit eine geradezu stocksimple Vorstellung des Bösen gab. Die unheimliche Dimension in diesem Stoff ist es aber gerade, finstere Kräfte nicht als Fantasy-Mächte herunterzubrechen, als individualpsychologische menschliche Schwächen zu etablieren oder sie mittels religiöser Symbolsprache einem wie auch immer gearteten Teufel zuzuschreiben.

Viel mehr erzählt „Twin Peaks: The Return“ von der magischen Anziehungskraft des Bösen als Antrieb für die großen Bilderzählungen unserer Zeit und verleiht ihm eine nahezu spirituelle Körperlichkeit, die weit über die Figuren hinausgeht und die gesamte Inszenierung, von der Beleuchtung bis zum Sound-Design, sozusagen mit dem Bösen als eigene Energieform infiziert. Wie die Schlange im Paradies für Adam und Eva die große unbekannte Versuchung ist, so ist die unerklärliche Anwesenheit des Bösen als polymorphe Erscheinung das Geheimnis, um das „Twin Peaks“ wie wahnsinnig geworden kreist. Dagegen ist Francis Underwood ein blasser Clown mit schlechten Manieren und das Hauen und Stechen in „Game Of Thrones“ moralisch stumpfes Kasperletheater.

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