Warum „Pet Sounds“ fast jeden Kritiker-Poll gewinnt
Die Beach Boys feiern mit Tour und Album ihr 50. Jubiläum - Anfang August sind sie in Deutschland. Ein guter Anlass für uns, die großen Fragen zu klären, was verschiedene Autoren in unserer aktuellen Ausgabe getan haben. Wir werden die zehn Texte bis zu ihrem Tourstopp bei uns auch auf rollingstone.de veröffentlichen.
Jedenfalls nicht, weil Kritiker besonders geschmackssicher wären. Zur Abstimmung hat der Kritiker hauptsächlich zwei Kreativmodelle auf dem Zettel: das verschworene Rock-Kollektiv (erdverwachsen und sinnesfroh) oder den genialischen Einzelkämpfer (Elfenbeinturm und abgedreht). Dass Brian Wilson alle überragt, dafür verbürgen sich Dylan, Bacharach oder Bernstein mit ihren guten Namen. Da schließt sich der Kritiker den Expertisen anerkannter Fachkräfte gerne an. Wenn Wettstreiter McCartney lobt, muss ja was dran sein.
„Pet Sounds“ war „Brians Egomusik“ (Mike Love), bei der die Beach Boys selber gar nicht mitspielen durften (lediglich Carl mal kurz), sondern nur zum Singen einbestellt wurden. Dem erzkonservativen Neidhammel Love war auch der Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen auf das Werk nicht geheuer, während der Kritiker LSD ja für die Stimulanz des denkenden Mannes hält.
Musikalisch wird Wilson mindestens zwischen J.S. Bach und Beethoven einsortiert. Mit Beethoven hat er den Hörschaden, mit Bach das Pastorale gemeinsam. Denn Brian sah sich auf Missionstour: „Ich habe an Kirchen-Rock gedacht.“ Und: „Das ist Jesus-Zeug.“ Und weil zum Vergeistigten, Domäne des Kritikers, der ordinäre Popjux schlecht passt, hat Wilson laut Popchronist Nik Cohn nicht nur traurige Lieder über Einsamkeit und Herzschmerz geschrieben, sondern sogar traurige Lieder übers Glück.
Dann muss noch die aufmüpfige Komponente ins Urteil einfließen. The Clash, die Sex Pistols, Bob Marley etwa? Dabei hat doch Brian Wilson das Schweinesystem aufs Kreuz gelegt und zum ersten Mal in der Geschichte des Rock’n’Roll totale Kontrolle über den Produktionsprozess erstritten. Das imponiert dem Stubenhocker-Revoluzzer. Unter Jugendlichen, also Pophörern, wäre so eine Umfrage natürlich zu jeder Zeit anders ausgegangen – die „14- bis 17-jährigen Kids“, die Brian laut Ehefrau die meiste Fanpost schicken, weil sie „Pet Sounds“ „gerade erst entdeckt haben“, vernachlässigen wir mal.
Also nicht übertreiben: Mir ist „Pet Sounds“ nur die zweitliebste Platte.
The Beach Boys live: „Celebration – The Beach Boys‘ 50“
03.08. Berlin, o2 World
04.08. Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle
05.08. Mönchengladbach, HockeyPark
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In unserer aktuellen Ausgabe können Sie bereits alle zehn Texte inklusive eines aktuellen Interviews mit Mike Love lesen.
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