Warum heute zwar jeder so klingen will wie die Beach Boys damals, aber keiner es wirklich hinkriegt
Die Beach Boys feiern mit Tour und Album ihr 50. Jubiläum - Anfang August sind sie in Deutschland. Ein guter Anlass für uns, die großen Fragen zu klären, was verschiedene Autoren in unserer aktuellen Ausgabe getan haben. Wir werden die zehn Texte bis zu ihrem Tourstopp bei uns auch auf rollingstone.de veröffentlichen.
Von den High Llamas bis zu Beach House – Seit gut 20 Jahren gibt es jenseits von Metal und HipHop so gut wie keine Band, die in ihrem Sound nicht irgendwann die Beach Boys referenziert hätte. Zu verführerisch ist die Versuchung jener symbolisch für die höhere Schule des Popsongs stehenden Chöre, schon erst recht im Zeitalter der endlos vielen, mittels einer dezenten Dosis Autotune harmonisierbaren Aufnahmespuren. Alles, was der heutige Westentaschen-Brian-Wilson zu seiner eigenen „pocket symphony“ braucht, ist ein bisschen Gehör und ein halbwegs gutes Mikrofon.
Dass die Magie des Vorbilds dennoch verlässlich ausbleibt, ist zunächst einmal eine Frage des zeitlichen Zusammenhangs. Schließlich waren die Werke Brian Wilsons goldener Schaffensperiode keine Rekonstruktion eines vorhandenen Formats, sondern Vorstöße ins Unbekannte, denen man ihren dringlichen Pioniergeist immer noch anhört.
Dies war der unwiederbringliche Moment der Idealkonstellation des Pops: 1966 erwuchs die Single vom Instant-Wegwerfprodukt zum großen Kino, just bevor das gleichzeitig erblühende Album sie als führender Fetisch ablösen sollte.
Wilsons ehrgeiziges Avancieren in beiden Formaten (er arbeitete parallel an „Good Vibrations“ und „Pet Sounds“) war keine exzentrische Schrulle, sondern ein öffentlicher Auftrag. „Sie haben endlich den neuen Sound gefunden“, titelte das britische Boulevardblatt „Sunday Express“, so als hätte da jemand Leben auf dem Mars entdeckt.
Capitol Records bzw. Brian Wilsons konservativer Bandkollege und Cousin Mike Love mochten die historische Einmaligkeit der Lage nicht erfassen. Aber 16 Millionen verkaufte Surf-Music-Platten gaben ihm den nötigen finanziellen Rückhalt, um in vier Studios über sechs Monate hinweg 90 Stunden Tonband für weniger als vier Minuten „Good Vibrations“ aufzuwenden – ein mit heutigen Aufnahmebudgets völlig unvorstellbares Privileg.
Der technologische Fortschritt hat solchen Aufwand mittlerweile scheinbar überflüssig gemacht.
Doch selbst wenn heute jeder seiner Home-Recording-Epigonen Wilsons damals revolutionäre Praxis des Overdubbens der eigenen Stimme beherrscht, waren an einem Song wie „God Only Knows“ auch noch 19 Sessionmusiker beteiligt. Erst diese Mischung aus Ego und Ensemble verlieh der Melancholie seiner inneren Einsamkeit einen äußeren Kontext und somit eine nachfühlbare Tiefe.
Davon abgesehen ersetzt kein noch so schlaues Plug-In Wilsons irrwitzige Methode, „Module“ eines Songs voneinander getrennt in verschiedenen Studios einzuspielen und später händisch an Mischpult und Schneidetisch zusammenzufügen. Die so entstandene Kombination verschiedener Raumklänge sollte die Hörer desorientieren und die Musik von ihrer akustischen Verortung befreien. Dabei bildete jeder einzelne der im Nichts schwebenden Räume, durch die Brian Wilson sein Publikum trieb, eine in sich schlüssige Einheit.
Jeder Versuch, diesen Arbeitsprozess durch das Einschleifen verschiedener Halleffekte digital nachzustellen, ist in etwa so unsinnig und zwecklos wie die Herstellung einer dadaistischen Collage per Photoshop.
The Beach Boys live: „Celebration – The Beach Boys‘ 50“
03.08. Berlin, o2 World
04.08. Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle
05.08. Mönchengladbach, HockeyPark
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In unserer aktuellen Ausgabe können Sie bereits alle zehn Texte inklusive eines aktuellen Interviews mit Mike Love lesen.
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