Warum die Wahl am Sonntag wichtig ist (echt jetzt)

Im Wahlkampf ging es viel um Migration. Aber bei der Bundestagswahl stimmen wir nicht nur über Abschiebeflüge ab. Sondern ein bisschen auch über die Demokratie an sich. Warum und was das mit Tump zu tun hat, lesen Sie hier.

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Wahlaufrufe sind langweilig. Der immer gleiche pädagogische Zeigefinger, der uns ermahnt, unserer staatsbürgerlichen Pflicht nachzukommen und unsere Stimme nicht zu verschenken.

Und dennoch. Es stimmt mehr denn je: Diese Wahl ist wichtig.

Dass keine der demokratischen Parteien hundertprozentig sympathisch ist und keine hundertprozentig zu den eigenen Ansichten passt – ein Luxusproblem. Haben wir alle vier Jahre (ok, dieses Mal schon nach drei Jahren). Doch eine hohe Wahlbeteiligung und ein nicht durch die Decke gehender Stimmenanteil für die Rechtsextremen kann zeigen, dass uns die Demokratie etwas wert ist.

Jede Stimme für eine demokratische Partei ist eine Stimme gegen die Rechtspopulisten

Denn darum geht es am Sonntag auch: Die Demokratie verteidigen. Der Pluralismus, in dem wir leben, wird von allen Seiten bedroht. Da ist die (wie man so schön juristisch sauber sagt: in Teilen) rechtsextreme AfD, die im Schulterschluss mit Trump/Musk/Putin eine andere Republik will: Nationalistisch, autoritär, illiberal. Sie wird am Sonntag mutmaßlich die zweitstärkste Kraft im Bundestag werden. Wer den Wahlwerbespot mit Alice Weidel in den schneebedeckten Bergen (bei ihr in der Schweiz?) gesehen hat, in dem sie lächelnd und in die Ferne schauend den Amtseid als Kanzlerin ablegt, dem darf zum Frösteln zumute sein. Jede Stimme für eine demokratische Partei ist eine Stimme gegen die Rechtspopulisten. Ein Minimalkonsens, nicht mehr, nicht weniger.

Denn der bröckelt, europaweit: In neun EU-Ländern haben Rechtsextreme bereits (teilweise deutlich) mehr als 20 Prozent der Stimmen, in Italien, Ungarn und den Niederlanden regieren sie; in Finnland, Schweden, Kroatien, Belgien und der Slowakei regieren sie mit; in Österreich stellen sie die stärkste Partei und in Großbritannien liegen sie zumindest in den Umfragen vor Labour und Tories.

Nahezu alle Parteien überboten sich in Abschiebezahlen und Einreiseverschärfungen

Trump und Musk befeuern das. Ihre irre Mixtur aus Ideologie und Opportunität, gerne als „Unberechenbarkeit“ gelesen, folgt einer klaren Linie: Disruption erzeugen, maximalen Profit rausholen. In atemberaubendem Tempo schränkt die autoritäre Trump-Regierung bürgerliche Freiheiten ein, reißt den Staat und demokratische Gewissheiten ab, freundet sich mit dienstbaren Diktaturen an und verachtet die sozial und politisch Schwachen.

Selbstbestimmungsrecht, Minderheitenschutz, Bürger- und Menschenrechte? Fuck it.

Was das mit der Bundestagswahl am Sonntag zu tun hat? Eine Menge. Wir leben in keinem Vakuum. Trotz der enormen Schwierigkeiten, die aufgrund des demographischen und des Klimawandels auf uns zurasen, wird die Abwehr des antidemokratischen, nationalistischen Moods, inklusive aller Implikationen (Rechtsbrüche, Grenzverschiebungen, Atavismus, Kriege) in den kommenden Jahren zentral sein. Doch in dem kurzen und erschreckend inhaltsleeren deutschen Wahlkampf ging es ganz überwiegend um Migration. Nahezu alle Parteien überboten sich in Abschiebezahlen und Einreiseverschärfungen, und wer gegen rechts demonstrierte, wurde vom designierten Kanzler Merz ermahnt, doch lieber für die Opfer der jüngsten Anschläge auf die Straße zu gehen.

RALF HIRSCHBERGER AFP via Getty Images

Schön, dass mal jemand daran erinnert hat, dass nicht alle zugewanderten Menschen Sozialschmarotzer und Verbrecher sind

Migration ist ein bequemeres Thema für viele Wahlkämpfer als Rentenfinanzierung und Klimawandel. Denn da geht es vermeintlich um die „Anderen“. Erst im allerletzten TV-Wahl-Duell wies der gescheiterte Kanzler Scholz darauf hin, dass unter den Opfern der furchtbaren Anschläge der vergangenen Wochen auch Migranten waren, und dass viele der Rettungs- und Pflegekräfte, die sie versorgten, Migrationsgeschichten haben. Schön, dass mal jemand daran erinnert hat, dass nicht alle zugewanderten Menschen Sozialschmarotzer und Verbrecher sind. Das ist Trump- und Weidel-Sprech. Und trotz aller mit Migration verbundenen Probleme ebenso falsch wie das Bild eines Diktators Selenskyj, eines friedliebenden Putins und das einer palästinensischen Riviera.

Mit den neuen falschen „Wahrheiten“ umzugehen, mit einem irrlichternden US-Präsidenten und einem rechtspopulistischen Mood, das wird die vielleicht größte Herausforderung für eine neue Bundesregierung. (Neben Renten, Pflege, Digitalisierung, Inflation, Klima, Verteidigung, maroder Bahn und steigender Mieten – you name it. Die neue Bundesregierung ist nicht zu beneiden.)

Also, haltet euch am Sonntag ein Stündchen frei und geht wählen!