Warum die Lady ein Tramp bleibt
Rickie Lee Jones, das Zigarillo-Girl von der Jazz-Seite des Lebens, lässt auch den Messias cool aussehen
Was wird aus dem Beatnik-Mädchen, wenn es älter wird? Was macht Rickie Lee jones? Ums Älterwerden an sich geht es bei ihr gar nicht – sie ist ja erst 52, da bleibt noch viel Zeit, aber diese Zeit wird sie wahrscheinlich nicht auf der jazzigen Seite des Lebens verbringen, zumindest nicht auf der allerjazzigsten, von der sie früher immer gesprochen hat. „Robert Hillburn hat das geschrieben, von mir ist das nicht“, quäkt Rickie Lee Jones, „obwohl… nein, nein, ich hab das doch gesagt, stimmt! We live on the jazz side of life, genau.“ Das hieß damals: mit dem Barrett auf dem Kopf den Santa Monica Boulevard entlanggehen, die Straße entlangimprovisieren, höchstens an den nächsten Tick der Uhr denken, sich alle Fluchtwege offenhalten. So ist sie heute natürlich nicht mehr.
So viel anders ist sie allerdings auch nicht. Sängerin wurde ja vor gut 28 Jahren ihr erster richtiger Beruf, weil Rickie Lee Jones aus allen anderen Jobs immer so schnell gefeuert wurde. Obwohl sie alles richtig machte und sich echt bemühte, sie versteht es auch nicht. Muss etwas mit ihrer jazzigen Aura zu tun gehabt haben. Aber wie gesagt, als Sängerin gibt es sie noch immer, ihr neues, elftes Album „The Sermon On Exposition Boulevard“ ist sogar das ganz überraschende Zeichen einer späten Blüte, eine ihrer tollsten Platten überhaupt, ungefähr ihre dritt-tollste.
Außerdem handelt sie tatsächlich von Jesus Christus, und wenn man das voreilig überinterpretieren würde, könnte man sagen: Es geht bei ihr jetzt langsam mehr um die ewigen Werte und nicht mehr so um das, was sie mal Jazz nannte. Aber Rickie Lee Jones sagt, dass es sie wirklich wahnsinnig stören würde, wenn Leute das als christliche Platte verstehen. „Würde mich aber auch überraschen, wenn sie das täten.“ Ihre Stimme trötet und meckert dabei genau wie beim Singen. Ihr Gesicht ist riesig, vor allem ihr Mund. Sie schnieft und quäkt heute noch bedrohlicher als sonst, muss zwischendurch sogar vom Sofa aufstehen und ins Bad gehen, um sich unbeobachtet die Nase putzen zu können. Beim Auftritt am Vorabend, im „Makor“ auf der Upper West Side von Manhattan, war alles gut – das mit dem Rotz komme nur vom vielen Reden, das würde sie jedes Mal fertigmachen, sagt sie. „Wenn die Leute den Begriff ‚christliche Musik‘ hören, denken die meisten doch an versteckte politische Interessen, an Religionswerbung. Und dass diejenigen, die die Musik machen, selbst Christen sind. Nichts davon stimmt bei mir.“ Sie sei zwar katholisch, aber sie habe es doch nicht nötig, Gott in Religionen zu suchen, mosert Ricke Lee Jones. „Das ist ein Album, das sich mit Christus beschäftigt. Nicht mehr und nicht weniger.“
Das Dementi fällt wohl nur deshalb so strikt aus, weil Jones jeden TV-Prediger-Verdacht sofort totdrücken will. Ursprünglich war „The Sermon On Exposition Boulevard“ ein Projekt des eigenartigen jüdischen Schriftstellers, Fotografen und Weltreisenden Lee Cantelon aus L.A., der seine Nachdichtung der biblischen Evangelien – vor zehn Jahren unter dem Titel „The Words Of Jesus“ erschienen – als Hörbuch mit Musik aufnehmen wollte, gelesen von Prominenten. Als Rickie Lee Jones für ihren Beitrag im Studio saß. verfiel sie ungeprobt in den typischen Sprechgesang, ihren ureigenen Ton, der schon auf der ersten Platte von 1979 mehr wie ein Saxofon als wie ein Mädchen klang, improvisierte aus Stücken von Cantelons Text auf der Stelle ein Lied. Cantelon lud angeblich sofort alle anderen Sprecher wieder aus und machte aus der vorbereiteten Musik lieber gleich ein Rickie-Lee-Jones-Album.
Ein fantastisches, in der Discografie der Jazz-Pop-Pippi komplett überraschendes, ungepflegtes. Mit Nestern aus tiefergestimmten Gitarren, lange gedünsteten Blues-Akkorden, leise brodelnden Straßenecken-Sachen a la Lou Reed, zu denen Jones so nervend und auferweckend singt und koloriert wie eine verkaterte Katze, eine lungenkrank fiepende Lolita, eine tobende Gewitterziege, die sich mit generöser Freigiebigkeit in Dissonanzen und Schrägtöne wirft, mit expressionistischer Jesus-Lyrik und fliegenden Schweinen über den Dächern Jerusalems.
Keine Gefahr, zum frommen Missbrauch ist alles viel zu abstrakt und zu rätselhaft. Initiator Lee Cantelon hat mit seiner Website thewords.com durchaus missionarische Absichten und pflegt Kontakt zu deutschen Freikirchen, aber Rickie Lee Jones ist offensichtlich leopardenhaft entschlossen, sich diese Platte weder von rechts noch von links madig machen zu lassen. „Ich sage nur: Das ist ein Porträt, das ich von der Figur Christus gemacht habe“, überzeugter kann kein Mensch mit Rotznase klingen. „Und: Ja, es rockt übrigens.“
Und wo man schon mal bei Ideologie und Gruppenzwang ist, streitet Rickie Lee Jones gleich noch rückwirkend alle anderen Mitgliedschaften ab, die Mitgliedschaften in der New Wave oder bei den Beatniks oder bei den Coolen vom Los Angeles der Mittsiebziger. Dabei hatte sie auf dem Cover ihrer ersten LP von 1979 doch den paradigmatischen Look, die rote Kappe. Den Zigarillo mit der Aschespitze, den Jazz-Blick. Journalisten haben mich hinterher mit so einer Bewegung in Verbindung gebracht“, nörgelt Rickie Lee Jones, „oder sie haben mich dadurch damit in Verbindung gebracht, dass sie mich mit Tom Waits in Verbindung gebracht haben. Alles schön und gut, aber ich bin damals definitiv nicht mit Kerouac-Büchern unterm Arm durch die Stadt gelaufen.“
Das ist doch wohl niemand. „Aber sicher doch. Ich kannte mehrere.“
So mies gelaunt, wie das hier wahrscheinlich wirkt, ist die schniefende Rickie Lee Jones an diesem Nachmittag in New York übrigens überhaupt nicht. Sie trinkt sogar Schokomilch, aber gleichzeitig passt sie auf, jeden Verdacht zu zerschlagen, dass irgendjemand auf sie, ihre Gedanken, ihre Position Einfluss nehmen könnte. Mit dem Protest gegen George W. Bush hatte sie ja auch schon früher angefangen als der Rest, auf ihrer letzten Platte von 2003, unter anderem mit einer genauen Analyse des „Patriot Act“. Zu den Mid-Term-Elections 2006 stiftete sie den Song „Have You Had Enough?“ zur freien Verfügung: Alle Gegenkandidaten durften ihn in ihren Spots verwenden und verändern. Vor ein paar Jahren hat sie sogar Boxen gelernt. Weil man damit Fitnesstraining und Selbstverteidigung auf so kommode Art kombinieren könne, erklärt sie.
Und noch eine Angelegenheit, bei der Rickie Lee Jones heute uncooler und letztendlich unjazziger reagiert. Tom Waits, der um 1977 für einige Zeit ihr Boyfriend wurde, mit dem sie im Tropicana Motel sinnlos trank, auf dessen Plattencover sie zu sehen war und den sie karrieretechnisch von hinten überholte, als sie 1979 über den gemeinsamen Trinkfreund Chuck E. Weiss „Chuck E.’s In Love“ sang. „Es macht mir was aus. Keine Tom-Waits-Fragen“, näselt sie heute knapp, und das ist schade, weil ein paar Antworten in dieser Sache die von Rumhänger-Boheme-Klischees durchspießte Frühzeit erklären könnten, die bei weitem interessanteste Zeit in Rickie Lee Jones‘ Karriere. Vielleicht war ja auch alles genau so.
Als sie, die abgebrannte Ex-Kellnerin, ihren ersten Vertrag bekam, ging gerade den großen Goldschweinen der Siebziger-Los-Angeles-Musik die Luft aus, in jeder Hinsicht. „In Kalifornien gab es damals ein starkes Elite-Denken“, sagt Jones, „unter den ach-so-coolen Countryrockern wie den Eagles und Jackson Browne. Alle super-kokainsüchtig und super-privilegiert und super-reich. Ich hatte nichts gegen sie, aber ich interessierte mich für Jazz und wollte mit dieser Countryrock-Szene nichts zu tun haben, und ich war mir eh sicher, dass die alle mich nicht so toll finden würden.“ Glücklicherweise steigerte ausgerechnet Lowell George, der an sämtlichen bösen Kokain-Folgen leidende Sänger von Little Feat, den Bekanntheitsgrad von Rickie Lee Jones bei Warner Brothers gewaltig, indem er ihren Song „Easy Money“ – nach Empfehlung durch den Songwriter und Kollaborationspartner Ivan Ulz, der ihm das Stück durchs Telefon gesungen hatte – für seine erste Soloplatte aufnahm. Als Rickie im Juli 1979 ihr erstes ROLLING STONE-Cover bekam, stand der Nachruf auf George gleich in derselben Heftnummer.
Der erste Verleger, der sie unter Vertrag nehmen wollte, habe ihr 800 Dollar pro Monat geboten, erzählt Rickie Lee Jones. Das sei in einer Zeit gewesen, in der sie die Wochenmiete von 80 Dollar kaum zusammenbekam, weil ihr ja überall immer so schnell gekündigt wurde, wo sie eine Kaffeekanne in die Hand nahm -und trotzdem habe sie dem Herren in seinem Büro nasskalt ins Gesicht gesagt, sie müsse sich das alles noch mal überlegen. „Weil ich mir dachte: Wenn der mich will, will mich auch ein anderer, der noch mehr bezahlt. Schon im Aufzug nach unten habe ich mich dafür beglückwünscht.“ Sie sei auch nie mit jemandem ins Bett gegangen, um weiterzukommen, denn schon damals habe sie gewusst, dass die wirklich wichtigen Leute so etwas eh nicht machen.
Jones, klug genug, suchte auf den Plattenhüllen von Randy Newman das Kleingedruckte, fand so die Produzenten Lenny Waronker und Russ Titleman, die Burbank-Fraktion, unter den Leuten von Laurel Canyon als intellektuell bekannt. „Rickie hat in gewisser Weise das Loch gefüllt, das Joni (Mitchell) hinterlassen hatte“, wird Jones‘ späterer Manager Ron Stone in Barney
Hoskyns‘ Buch „Hotel California“ zitiert.
Joni Mitchell machte 1979 ihre komische „Mingus“-Platte, eigentlich ja auch jazzig, aber die 24-jährige Rickie Lee gewann im selben Jahr mit dem ersten Album den ersten Grammy.
Den zweiten bekam sie 1990, für das „Best Jazz Duet“ mit Dr. John. Aber ein solcher Marktplatzknall wie mit dem Debüt – 1980 war sie gleich noch ein zweites Mal auf dem ROLLING STONE-Titel – gelang ihr nicht mehr, nicht mit guten Platten wie „Pirats“, dem von Steely Dans Walter Becker produzierten „Flying Cowboys“ und dem TnpHop-gefärbten „Ghostyhead“, schon gar nicht mit den pochierten Ersatz-Jazz-Chanson-Sachen, den Gourmet-Coverversionen und den synthetischen Pannen.
Die offizielle Chronik verzeichnet, ausgesprochen lakonisch, für die 80er und 90er Jahre vor allem zahlreiche Umzüge, New York, San Francisco, Frankreich, Hollywood, Washington. „Ich reise heute noch viel“, sagt Rickie Lee Jones. „Es fällt mir schwer, länger an einem Ort zu bleiben, deshalb ziehe ich alle zwei, drei Jahre wieder um. So bin ich ja aufgewachsen.“
Ihr Vater, Sohn des einbeinigen Showtänzers Peg Legjones, erzählte der kleinen Rickie immer, sie solle bloß stolz sein auf ihre Gypsy-Herkunft, auf die Sänger, Poeten und Schausteller in der Familie, die sie selbst als „Lower-Middle-Class-Hillbilly-Hipsters“ charakterisiert, hyperromantisch. Und was ihr Problem mit den Jobs und dem Gefeuertwerden angeht, da ging es ihren Eltern ganz ähnlich.
Man könnte sagen, dass Rickie Lee Jones praktisch schon auf der Jazz-Seite des Lebens geboren wurde. „Als Kind war ich mir nie sicher, ob ich im nächsten Moment nicht auf und davon sein würde“, sagte sie noch 1979 in einem Interview, mit 24 Jahren. „Es konnte passieren, dass ich rüber zu den Nachbarn lief, dann plötzlich den Daumen rausstreckte und durch drei Bundesstaaten trampte.“
Heute wünscht sie sich, noch nach Kenia, Südafrika, Südamerika und St. Petersburg zu kommen, obwohl sie sich gar nicht sicher ist, ob es ihre Platten in Russland überhaupt zu kaufen gibt. Das ist vielleicht das am stereotypischsten Amerikanische an der Künstlerin Rickie Lee Jones, die in ihren Texten so lange den Mythos der Beat-Boheme gesungen hat, die Gemälde von Cadillacs und Truck-Dnvern und der unsichtbaren Stadt Coolsville und ihren Boys und Girls: dass sie noch immer driftet, gern auch federleicht, von Jugend an gedriftet ist, dass es sie ins Weite zieht, nach Westen wie nach Osten.
Und dass ihre neue Platte vielleicht gerade deshalb so gut geworden ist, weil sie eigentlich das Projekt fremder Leute war, in das Rickie Lee Jones mal reingeschneit ist. Und aus dem sie nach getaner Arbeit, nach ausgereiztem Instinkt eben einfach wieder hinausschneite.
„Eigentlich ist das komisch“, sagt Rickie Lee Jones zum Schluss, nun eher auf bedächtige Weise quäkend, „dass zum Beispiel Norah Jones mit so glatter Jazzmusik bei einem so jungen Publikum ankommt. Es ist ja nicht so, dass die jungen Leute nicht auch die etwas altmodischeren Sachen mögen, aber was meine Platten betrifft: Irgendwo ist da ein dünner Hauch von Widerstand. Vielleicht, weil die Hits so lange her sind. Vielleicht auch, weil mein Image zu unklar ist. Würde ich mal raten. So in der Art: Wer ist Rickie? Was für ein Image haben wir hier?“
Rickie Lee Jones sollte das Barrett noch einmal rausholen, es passt sicher noch. Und dann, wie Jesus, auf einem Esel den Santa Monica Boulevard herunterreiten. Die Kinder sollen mal lernen, was Jazz wirklich ist.