Warum das „Anti-WAAhnsinns-Festival“ 1986 die Musikwelt veränderte
Es war gerade die große Zeit der deutschen Rockmusik. Die NDW war abgeebbt, der Spaß vorbei.
Juli 1986: Showdown gegen die Strahlung – Beim fünften „Anti-WAAhnsinns-Festival“ nahe Wackersdorf protestiert die gesamte Deutschrock-Elite
Angst hatten alle. Vor Champignons und Beeren. Und dass Tschernobyl kein Einzelfall bleiben würde. Der Super-GAU dort bestätigte am 26. April 1986 allen, was Atomkraft-Gegner schon lange befürchtet hatten: dass Kernenergie niemals wirklich kontrollierbar ist. Die Stimmung in Deutschland zeigte sich auf Tausenden von knallbunten „Atomkraft? Nein, danke!“-Stickern, die plötzlich überall waren. Es waren jetzt nicht mehr bloß ein paar hundert komische Autonome, sondern vom Staat bislang als unverdächtig eingestufte Bürger, die Widerstand anmeldeten und keinen Atommüll mehr haben wollten, zumindest nicht in ihrer näheren Umgebung. Nun sollte dummerweise genau zu diesem Zeitpunkt im oberpfälzischen Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage entstehen.
Gegner hatten bereits ein Hüttendorf errichtet, immer wieder wurden Demonstranten festgenommen. Das erste „Anti-WAAhnsinns-Festival“ in Burglengenfeld fand schon 1982 statt, aber erst das fünfte, am 26. und 27. Juli 1986, entpuppte sich als Showdown gegen die Strahlung: Es wurde das größte deutsche Festival aller Zeiten, zu dem nicht nur 120 000 Besucher kamen, sondern die gesamte Elite des sogenannten Deutschrock. Es war gerade die große Zeit der deutschen Rockmusik. Die NDW war abgeebbt, der Spaß vorbei.
Spätestens bei „Live Aid“ und „Nackt im Wind“ hatten die hiesigen Musiker ihr soziales Gewissen entdeckt, da kam Wackersdorf gerade recht. Sie wollten für die Auftritte kein Geld, und ausnahmsweise verzichteten sie auch auf Eitelkeiten. Die Toten Hosen fanden sich damit ab, dass sie neben „diesen Rockleuten“ wie Wolf Maahn und Herbert Grönemeyer auf der Bühne stehen sollten.
Udo Lindenberg pfiff auf sein Panikorchester und ließ sich von einer auch nicht üblen Band namens BAP begleiten. Natürlich fehlten auch bayrische Lokalhelden wie Haindling und die Biermösl Blosn nicht. Alle sprachen von Solidarität und hatten Spaß dabei. Das Wort „Gutmensch“ spielte noch keine Rolle. Es war das eine Wochenende in Deutschland, an dem Pop und Protest zusammenkamen, ohne peinlich zu sein. Am Ende sangen alle zusammen noch „Sag mir, wo die Blumen sind“, und Rio Reiser krähte „Over The Rainbow“. Nach 28 Stunden Programm waren alle redlich erschöpft, die Arbeit war getan. Der Bau der WAA Wackersdorf wurde drei Jahre später eingestellt. Die Proteste gingen später im britischen Sellafield weiter, wo dann einer der großen Protestler der 80er Jahre aktiv wurde: Bono.