Warren Zevon: Leben und Tod eines Mannes, den Springsteen und Dylan verehren
Ein Blick auf „the dirty life and times“ eines genialen, aber auch durchaus schwierigen Songwriters.
Warren Zevon gilt bei seinen Zeitgenossen als einer der großen Songschreiber unserer Zeit. Bob Dylan nannte ihn einst einen „musician’s musician“ und coverte ihn sogar gelegentlich. Im Mainstream ist der 2003 verstorbene Musiker vielen aber vielleicht am ehesten durch seinen einzigen wirklichen internationalen Hit „Werewolves Of London“ ein Begriff.
Später griff ihn die Popkultur wieder auf, als seine Musik eine immer wiederkehrende Rolle in der HBO-Serie „Californication“ hatte. Außerdem verwurstete Kid Rock „Werewolves of London“ gemeinsam mit Lynyrd Skynyrds „Sweet Home Alabama“ zu seinem fragwürdigen wie höchst erfolgreichen Mash-up „All Summer Long“. Talkmasterlegende David Letterman, einer von Zevons großen Förderern und Freunden, fordert seit vielen Jahren unermüdlich, Zevon müsse in die Rock & Roll Hall Of Fame aufgenommen werden. Es wäre würdig und recht, aber für die HoF nicht besonders überraschend, wenn dies so schnell nicht passieren würde. Grund genug, einen Blick auf Leben, Musik und Tod des großen, komplizierten Warren Zevon zu werfen – oder, wie er es selbst in seiner Autobiografie nannte – Zevons „dirty life and times“.
Warren Zevon: Sein Background
Warren William Zevon wurde am 24. Januar 1947 im US-amerikanischen Chicago geboren. Sein Vater, ein jüdischer Immigrant aus der Ukraine, hieß eigentlich Zivotofsky, ließ seinen Namen in Zevon ändern. Für Warren war es relativ schnell klar, dass er Musiker werden wollte. In seinen Teenagerjahren spielte er gemeinsam mit einer Schulkollegin in einer Band namens Lyme And Cybelle, schaffte mit der Debütsingle „Follow Me“ sogar den 65. Platz in den Billboard Charts, verließ die Gruppe allerdings, nachdem Single Nummer zwei (eine Coverversion des Dylan-Stücks „If You Gotta Go, Go Now“) floppte.
Warren Zevon: Geflopptes Debütalbum
Zevon blieb der Musik treu, hielt sich allerdings als Jingle-Komponist, Sessionmusiker und Songschreiber für andere Acts eher im Hintergrund. Er schrieb mehrere Songs für The Turtles (darunter etwa die Stücke „Outside Chance“ und „Like The Season“), einer seiner Songs schaffte es außerdem auf den Soundtrack des 1969 erschienenen John-Schlesinger-Films „Midnight Cowboy“. 1970 veröffentlichte er sein erstes Soloalbum, „Wanted Dead Or Alive“. Zevon spielte darauf nahezu alle Instrumente selbst.
Eigentlich hätte der renommierte Produzent und Musiker Kim Fowley (der den Titeltrack des Albums, gemeinsam mit Martin Cerl, geschrieben hatte), produzieren sollen. Allerdings zeigte sich Zevon dermaßen stur und beratungsresistent, dass Fowley sich aus dem Projekt zurückzog. Im Buch seiner Ex-Frau Crystal Zevon „I’ll Sleep When I’m Dead: The Dirty Life and Times of Warren Zevon)“ gibt es ein schönes Zitat Fowleys zu diesem Thema.
„Er wollte auf niemanden hören. Ich habe nicht versucht, ihn zu produzieren, weil man Warren nicht wirklich produzieren konnte, zumindest nicht in jenen Tagen, aber ich habe versucht, ihm zu helfen, eine Platte zu machen, die vielleicht mehr als zehn Exemplare verkaufen würde, alle gekauft von seinen Freunden. Aber er hörte auf niemanden, und eines Tages kam ich einfach rein und hatte einfach genug“. „Wanted Dead Or Alive“, veröffentlicht unter dem Namen Zevon, floppte.
Die Karriere nimmt fahrt auf
Zevon tourte die nächsten Jahre als Keyboarder der Everly Brothers, schrieb mit den einzelnen Mitgliedern auch Songs für deren Soloalben. Unzufrieden mit seiner eigenen Situation verließ Zevon die USA und verbrachte einige Zeit in Spanien. Als er wieder zurückkam, wohnte er eine Zeitlang in einer Wohngemeinschaft mit Stevie Nicks und LindseyBuckingham von Fleetwood Mac. Zu dieser Zeit begann er auch, mit einer der wesentlichen Personen in seiner musikalischen Biografie zu arbeiten: Jackson Browne. Browne verschaffte ihm seinen ersten Major-Label-Deal – und 1976, sechs Jahre nach seinem gescheiterten Debütalbum, erschien „Warren Zevon“.
Darauf enthalten sind Klassiker wie „Frank And Jesse James“, „Mohammed’s Radio“ oder „I’ll Sleep When I’m Dead“. Jackson Browne, Eagles-Mitglied Glenn Frey und Lindsay Buckingham unterstützten Zevon mit Gastbeiträgen, auch Phil Everly ist auf zwei Stücken als Hintergrundsänger zu hören. Mit Leland Sklar, Jeff Porcaro, Waddy Wachtel und Glenn Frey sind auch weitere prominente Gastmusiker zu hören. Es war aber erst das Folgealbum „Excitable Boy“ sein, das Zevon bekannt machte – eben mit dem Song „Werewolves of London“, der allerdings bei weitem nicht der beste dieses grandiosen Longplayers ist. „Excitable Boy“ schaffte es auf Platz 8 der Billboard Charts und brachte Zevon in den USA und in Kanada Gold ein, 1997 sogar US-Platin.
Alkoholprobleme und Gewalttätigkeit
Zevon hatte viel Talent, aber, das ist kein Geheimnis, auch viele Dämonen. Besonders seine Ex-Frau und Mutter seiner Tochter Ariel, Crystal Zevon, erfuhr dies intensiv. „Er hatte tonnenweise Charisma, aber wenn er nicht wollte, dass die Leute zu ihm kamen, hatte er eine Art Anti-Charisma“, zitiert „The Guardian“ Crystal Zevon. Um seine Kinder (er hatte mit einer anderen Frau einen 1979 geborenen Sohn) kümmerte er viele Jahre sich kaum: „Er hatte keine Sprache für den Umgang mit Kindern. Als Teenager war ich wütend, dass er als Kind nicht für mich da war, wütend auf ihn, weil er meine Mutter schlecht behandelte“, erinnert sich Tochter Ariel. Zevon trank viel, zu viel – und wurde, wenn er betrunken war, laut Berichten gewalttätig oder apathisch.
Die Alkoholprobleme nahmen immer mehr überhand. 1980 ließ sich Zevon in eine kalifornische Entzugsklinik einweisen und machte einen einmonatigen Intensiventzug. „Sie machen diese Interventionstherapie, bei der sie dich in einen Raum führen, in dem jeder sitzt, den du auf der Welt kennst. Jeder von ihnen hat eine Erklärung darüber vorbereitet, wie oft du betrunken warst, wie sie dir nicht sagen wollten, was für ein Arsch du dich gemacht hast und wie du alle um dich herum gefährdet hast. Aber sie sind da, weil sie an dich glauben. Das hat eine ziemlich erschütternde Wirkung“, erinnerte sich Zevon laut „forward.com“ an diese Zeit. Zevon blieb einige Jahre trocken, wurde rückfällig, schaffte den Absprung dann aber glücklicherweise.
Zevons Karriere war ein großes Auf-und-Ab. Er machte tolle Alben, fabrizierte aber auch einige Flops. 1979 nahm er ein Konzeptalbum namens „Transverse City“ auf, auf dem er seine Liebe zu William Gibson und Cyberpunk kanalisierte. Darauf zu hören sind unter anderem Jazzpianist Chick Corea, aber auch Grateful-Dead-Chef Jerry Garcia sowie Neil Young. Klingt interessant, ging aber zumindest kommerziell vorne und hinten nicht auf: Transverse City floppte, Virgin Records ließen Zevon fallen.
Apropos Literatur: Zevon war nicht nur ein Bücherwurm, sondern auch mit etlichen bekannten Autoren befreundet, unter anderem mit Hunter S. Thompson. Mit der Allstar-Gruppe Rock Bottom Remainders spielte er gelegentlich als Gitarrist auf Buchmessen. Die anderen Bandmitglieder: Horror-Gott Stephen King, Simpsons Schöpfer Matt Groening sowie Amy Tan und Dave Barry. Gelegentlich ersetzte Zevon Paul Shaffer in der „The Late Show“ Band von David Letterman, den Zevon als „besten Freund, den meine Musik je hatte“ bezeichnete.
„Er sah die Dinge mit einem verbitterten Auge“
2002 kam die Schreckensnachricht: Zevon war an einem Pleuramesotheliom erkrankt – einer aggressiven Krebsart, die Lunge, Rippenfell und Brustwand anfällt. Zevon konnte mit dem Schock nicht umgehen und begann nach fast zwei Jahrzehnten Abstinenz wieder zu trinken. Er entschied sich gegen aggressive Krebsbehandlungen – und dafür, seine verbleibende Zeit mit der Produktion eines letzten Albums zu verbringen.
Auf „The Wind“ geben sich etliche Freunde Zevons die Ehre: etwa Bruce Springsteen, Emmylou Harris, Tom Petty, Don Henley, Zevons Freund Billy Bob Thornton – und natürlich Jackson Browne. Besonders berührend ist die Single „Keep Me In Your Heart For A While“. Er konnte das Werk vollenden. Am 7. September 2003 starb Warren Zevon.
Zevon mag es international nie nach oben geschafft haben – für seine Freunde und Fans bleibt er einer der großen, originellsten Songschreiber und Interpreten unserer Zeit. „Er schrieb etwas, das eine echte Bedeutung hatte, und es war auch lustig. Ich habe ihn immer um diesen Teil seiner Fähigkeiten und seines Talents beneidet“, erläutert Bruce Springsteen in Crystal Zevons Biografie. David Crosby formulierte es indes so: „Er war und bleibt einer meiner Lieblingssongwriter. Er sah die Dinge mit einem verbitterten Auge, das dennoch die Menschlichkeit der Dinge erkannte.“
Legendärer letzter Letterman-Auftritt
Ganz großartig und empfehlenswert ist Warren Zevons letzter Talkshow-Auftritt bei David Letterman. Zevon weiß damals, dass er sterben wird. Dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Einmal noch kehrt er ins Epizentrum des Late-Night-TVs zurück, zu seinem Freund und Förderer. Es ist kein Showbusiness-Gespräch, es geht ums Eingemachte. Zevon erzählt, mit seinem unnachahmlichen Humor, dass er einen taktischen Fehler gemacht habe — nämlich jahrelang keinen Arzt aufgesucht zu haben. Er spricht mit Letterman, der ihn merklich bewundert, über das Unausweichliche, performt auch Songs.
Der Schlussapplaus ist bittersüß, es ist klar, dass es die letzten Akkorde sind, die wir von ihm hören werden. Nach der Show, das ist überliefert, schenkte Zevon Letterman jene Gitarre, die er oft in der Show gespielt hatte, mit den Worten, er möge gut auf sie aufpassen. „Keep me in your heart for a while“ war sein letzter Wunsch, den er sang – und diesen Wunschplatz nimmt Zevon ohne Frage heute immer noch ein.