„Warfare“: Die Kunst, einfach keinen Antikriegsfilm drehen zu können
In den vergangenen 45 Jahren hat kein großer Regisseur einen Antikriegsfilm gedreht, der nicht in Wirklichkeit ein Kriegsfilm ist. Alex Garland bildet mit „Warfare“ keine Ausnahme

Alex Garland ist ein getriebener Künstler. Weil er sehr jung sehr viel Zuspruch erfahren hat. Zu Recht. Mit 26 Jahren veröffentlichte er seinen Debütroman „The Beach“ und zerstörte mit seiner Gewaltgeschichte den ewigen Mythos von Thailand als Backpacker-Lonely-Planet-Paradies. Sein Drehbuch zu „28 Days Later“ führte 2002 zur bis heute anhaltenden Renaissance des Zombie-Kinos, wenn auch mit den viel langweiligeren Sprintern statt den gruseligeren Schleichern.
Mit seinem Drehbuch zu „Sunshine“ belebte Alex Garland 2004 den philosophischen Science-Fiction-Film neu, außerdem leistete sein kongenialer Regiepartner Danny Boyle mit seiner Inszenierung die Space-ästhetische Vorarbeit zu Christopher Nolans bestem Film, „Interstellar“ von 2014. Für „Dredd“ schrieb Garland 2012 nicht nur das Script, sondern übernahm auch off the record die Regie von einem überforderten Mann namens Pete Travis. „Dredd“ ist eine der gelungensten, aber unbekanntesten Comic-Verfilmungen der Neuzeit.
Es geht auch ums Einspielergebnis, nur würde das keiner einräumen
Seit seinem Film „Annihilation“ (2018) interessiert ihn die Kriegsführung sehr, und in nahezu jedem Interview zu seinem letzten Werk, „Civil War“ aus dem vergangenen Jahr, sprach Alex Garland über seine Vision. Er wollte mit „Civil War“ einen Film über Krieg drehen, der kein Kriegsfilm ist, sondern ein Antikriegsfilm. Ein Antikriegsfilm, dennoch erzählt mit den Mitteln von authentischem Sound und Ruckelbildern durch 360-Grad-Kameras. Alex Garland würde damit der Erste sein, das weiß er. Denn es gibt keinen einzigen Antikriegsfilm, der militärische Gewalt abbildet, und in Wirklichkeit kein Kriegsfilm ist.
In den vergangenen 45 Jahren ist keinem Regisseur, so groß er auch ist, mit einem Kriegsfilm ein Antikriegsfilm gelungen. Coppola, Spielberg, Malick, Eastwood, Nolan: Jeder Antikriegsfilm mit Kriegsschauplätzen, „Apocalypse Now“, „Saving Private Ryan, „The Thin Red Line“, „Letters from Iwo Jima“ und „Dunkirk“, ist ein Kriegsfilm. Krieg ist die schlimmste Erfindung des Menschen, darin sind sich die Regisseure einig. Aber keinem von ihnen gelingt es, den Zuschauern den Thrill am Kinoerlebnis zu verleiden. Warum sollten sie das auch wollen. Es geht auch ums Einspielergebnis, nur würde das keiner einräumen.
Ein einfacher Versuch, die eigene Arbeit aufzuwerten
Mit „Warfare“ bemüht Alex Garland sich nun um eine derart „realistische Darstellung von Krieg“ (man kann diese Phrase nur noch in Anführungszeichen schreiben), dass er im Filmabspann Szenen mit seinem Co-Regisseur einblendet, um die Authentizität der Nachbildung seiner Kriegsführung zu belegen. Denn sein Co-Regisseur ist ein Ex-Navy-Seal, Ray Mendoza, der die Darsteller in ihren Bewegungsabläufen anleitet. Ein etwas zu einfach aussehender Versuch Garlands, die eigene Arbeit aufzuwerten. Zugute halten muss man Ray Mendoza, dass dieser Film seine eigenen Erlebnisse im Irak abbilden soll. Wenn er „Warfare“ als gelungene Abbildung von Krieg bezeichnet, wer könnte ihm widersprechen?
Aber auch „Warfare“ arbeitet intensiv mit Bild und Sound (etwa mit der durch „Saving Private Ryan“ populär gewordenen temporären Taubheit und Benommenheit nach einer Detonation), er arbeitet mit Leichen und Zerstörung, so sehr, dass man gar nicht mehr wegsehen möchte. „Warfare“ wird damit zum Opfer des eigenen Anspruchs, vor Krieg zu warnen. Vielleicht sind No-Brainer-Actionfilme wie Peter Bergs beeindruckender „Lone Survivor“ die ehrlichere Variante, weil wir uns beim Betrachten des Mark-Wahlberg-Vehikels nicht schlecht fühlen, weil wir uns nicht schlecht genug fühlen.
Bis zur Belagerung ist „Warfare“ ein guter Film
„Warfare“ erzählt in 95 Minuten und in Echtzeit die Flucht eines im Irakkrieg kämpfenden Platoons von Navy Seals aus einem Wohnhaus, das von Rebellen belagert wird. Keine Landnahmen, Geiselnahmen, keine epischen Militärmanöver mit entscheidenden taktischen Eroberungen – es ist Garlands Versuch, „das Große im Kleinen“ zu finden.
Bis zur Belagerung ist „Warfare“ ein guter Film. Der angespannte Blick (auch des Zuschauers) durchs Zielfernrohr auf mögliche Gegner, dazu auf klar erkennbare Zivilisten, unterlegt mit hastigem Atmen, ist ein Kino-Klischee der Gefechtsvorbereitung. Aber immer wirksam. Die Stille in den Straßen ist unangenehm, gerade weil das Zwitschern der Vögel so schön ist. Die Soldaten trinken aus ihren Wasserflaschen, der Fluss des Wassers im Plastik ist das einzige, schnell irritierende Geräusch. Man fühlt sich in den ersten 20 Minuten hypersensorisch. Es müsste ja bald irgendwo knallen. Und das tut es. Umso bemerkenswerter ist, nach Beginn des Infernos, der Fokus auf die Schwerverwundeten. Für sie greift ein Evakuierungsplan, den man als Nicht-Militärtaktiker nicht hätte erahnen können. Ein Panzerwagen wird zur No-one-left-behind-Abholung der Versehrten herbeigerufen, und erst dann soll ein weiterer Panzerwagen angefunkt werden, um die Nicht-Verwundeten zu evakuieren. Falls sie nicht vorher einfach ihre Mission beenden können.
Es muss kein Anspruch eines (Anti-)Kriegsfilmers sein, beide Kriegsparteien fair abzubilden. Malick, Spielberg, Coppola und Nolan haben sich gar nicht erst die Mühe gemacht. Eastwood stellte sich der immensen Herausforderung, indem er beide Seiten mit einem jeweils eigenen Film würdigte: „Flags of our Fathers“ und eben jener „Letters from Iwo Jima“.
Wie ein Mahnmal für die vielen Gefallenen, für die sich keiner interessiert
Für Alex Garland sind die irakischen Partisanen wie Telespielfiguren, Non-playable-Characters, die schemenhaft mal links oder rechts auf den Dächern aufblitzen. Das ist nicht schlimm, denn seine Kritik am Irakkrieg reicht an anderer Stelle tiefer. Im nach und nach zerbombten Haus, in dem die Navy Seals sich verstecken, lebt noch eine Familie, die in den Trümmern zurückbleiben wird. Viel dramatischer ist der Umgang der Truppe mit zwei irakischen verbündeten Soldaten, die US-Uniformen tragen dürfen, aber als erste aus dem Haus und ins gegnerische Feuer geschickt werden. Sie wissen, dass sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Sogar von den amerikanischen Heldenfiguren des Platoons (mit mal wieder großartigen Darstellungen von Will Poulter und Joseph Quinn).
Die Gebeine eines der beiden Iraker, zerfetzt durch eine Bombe, liegen auf dem Schlachtfeld der Straße. Keiner beachtet den massakrierten Körper. Jeder kämpft über ihn hinweg. Das abgerissene Bein und der Torso sind wie Mahnmale für die vielen Gefallenen, für die sich keiner interessiert. Am Ende des Gefechts, als die Amerikaner evakuiert sind, liegen sie noch da.