Wangenrote Untote
Kunsttheorie, Kirchentag: "Zombi" von Kante ist ein Meilen-Brocken deutscher Pop-Möglichkeiten
Mit kleinen Scheinen kommt man hier nicht weit Das dunkle Pochen und der mächtige Strom in dieser Musik, das differenzierte Kolorit: Mit „Zombi“ haben Kante ein Album gemacht, das man gut in eine Gemäldegalerie hängen könnte. Zu den Landschaftsbildern am besten. Nicht den Idyllen allerdings. Es müssten schon die majestätischen Erfindungen einer gewaltigen Natur sein, mit dräuenden Gewitterhimmeln, Unheil spuckenden Vulkanen und tosenden Wasserfallen. Und drunten duckt sich der Mensch. Auf ein Wort: erhaben. So lässt sich das dritte Album der Hamburger Band zusammenfassen. Was dann gleich wieder viele Worte nach sich zieht und notwendigerweise ein wenig Kunsttheorie.
Also Burke. Nicht Solomon, der Soulsänger. Sondern Edmund Burke, der Mitte des 18. Jahrhunderts in seiner „Philosophischen Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen“ eben diese beiden ästhetischen Grundbegriffe einander entgegensetzte. Etwas Erhabenes (Riesiges, Unendliches, Mächtiges) erregt Schrecken, weil es die menschliche Selbsterhaltung zu gefährden scheint. Wird die Gefahr als nur scheinbar erkannt, stellt sich delight ein, während etwas Schönes (Kleines, Glattes, Sanftes) unmittelbar entspannend wirkt und einem die Empfindung von pleasure gibt Das mag jetzt verstaubt und weit hergeholt klingen, aber mit einem achselzuckenden „it’s only Rock’n’Roll“ ist diesem „Zombi“ nun wirklich nicht beizukommen. „Uns war schon bewusst“, sagt Kante-Kopf Peter Thiessen, „dass wir den Leuten damit einen Brocken vorsetzen.“ Als Leitmotiv zieht sich das Zombiehafte durch das Album. Die Krise. Die Gleichzeitigkeit von Zerfall und dem Aufscheinen neuer Möglichkeiten. Gegenwärtig sei die „Zeit eines unglaublichen Umbruchs“, sagt Thiessen, „wo sich auch offene, noch nicht definierte Räume auf tun.“
In diesen Platz haben Kante ihr Album hineingestellt, und wo sich welche aus dem Fenster lehnen, muss man sich auch als Hörer ein wenig strecken. „Einfache Lösungsvorschläge greifen nicht mehr“, weiß Thiessen. Nirgends. Nicht in der Gesellschaft, nicht in der Kunst Kante sind eben keine Band, die Komplexes auf Slogans eindampfen will, damit sie schick auf ein T-Shirt passen.
Andererseits kennt das Große seine Gefährdung immer bereits durch sich selbst Die Kirchentagsgefühle. So sperrig trägt „Zombi“ seine Kunstfertigkeit vor sich her, dass man am liebsten gleich von einem Werk sprechen will. Da aber reklamieren Kante doch noch etwas vom Rock’n’Roll mit seinen Schmutzspuren für sich. „Das Nichteindeutige interessiert uns mehr, als etwas abschließend in Marmor zu meißeln“, winkt Peter Thiessen ab. „Sich selbst fremd werden – das finde ich das Tolle an der Popkultur. Dass sie die Identitäten, also die Herkunft und so weiter, durchbricht und in Frage stellt“
Eindeutigkeit ist sowieso nicht mehr zu haben, wenn man nur einigermaßen aufmerksam um sich schaut Einerseits. Und andererseits, trotzdem: Pop als die Möglichkeit, auch wieder bei sich zu sein. Eine musikalische Utopie. Vielstimmig und mehrdeutig. Gerade in seinem Drang zur Kunst könnte ihr „Zombi“ deswegen ein Manifest sein. Elfenbein, aber ohne den üblichen Turm. Erhaben. Einfach mal der große Schein.